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Special Olympics in Berlin: Eine Bewegung kommt an

Von Ulrike Spitz

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Eine knappe Woche voller großartiger Leistungen und Geschichten: Bei den nationalen Wettbewerben im Rahmen der Special Olympics in Berlin wurden von Veranstaltungsseite sowie durch die 4.000 Athlet*innen und Unified Partner*innen Zeichen gesetzt. Nun richtet sich der Blick hoffnungsvoll nach vorne: Im kommenden Jahr steigen die Special Olympics World Games – auch diese werden in der Hauptstadt ausgetragen. Gastgeber aber ist dann ganz Deutschland.

 

Die Stimmung ist unglaublich. Eine La Ola nach der anderen, Klatschen, Trommeln. Die Siegerehrung der U21-Fußballerinnen bei den Special Olympics Nationalen Spielen Berlin 2022 steht an. Mehrere 100 Menschen, Teilnehmende, Trainer*innen, Betreuer*innen, Volunteers und Zaungäste, stehen oder sitzen auf dem Rasen und bekunden laut und fröhlich ihre Begeisterung. Zu den Klängen von „Ich gewinn, egal ob ich letzter, erster oder zweiter bin“… kommen die sechs Teams aus dem Vorbereitungszelt in Richtung Roter Teppich. Vorne stehen schon Fredi Bobic, Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC Berlin, Dennis Mellentin, Athletensprecher bei Special Olympics Deutschland (SOD), und Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behinderten-Sportverbands, bereit. Sie werden die Medaillen und Platzierungsschleifen übergeben. Als die jungen Frauen aus Spanien auf Platz sechs als erste ausgezeichnet werden, schwappt die Stimmung über. Das ändert sich während der gesamten Siegerehrung nicht – es ist stimmungstechnisch kaum ein Unterschied zu spüren beim Sechst- oder Fünftplatzierten und bei den Goldmedaillen-Gewinnerinnen aus Dänemark.

Es ist eine typische Szene für die Wettbewerbe bei Special Olympics. Die Siegerehrungen sind ein Höhepunkt für die Athlet*innen und werden nach getaner Arbeit ausgiebig zelebriert. Denn bei Special Olympics werden alle Teilnehmer*innen geehrt, die ersten drei einer jeden Leistungsgruppe mit Medaillen, die auf den Plätzen vier bis acht mit Platzierungsschleifen. Bei den Nationalen Spielen in Berlin gab es mehrere 100 dieser Siegerehrungen – jede Leistungsgruppe hat höchstens acht Startplätze – und immerhin waren in Berlin 4.000 Athlet*innen und Unified Partner*innen in 20 Sportarten am Start.

Gut lachen: So sehen Sieger*innen aus! (Foto: Florian Conrads)

 

Inklusion war in Berlin dieser Tage nicht nur Gesprächsthema – sie wurde gelebt

Sie haben das Stadtbild deutlich bereichert – an den Sportstätten in ganz Berlin ebenso wie an den Orten wie dem Neptunbrunnen oder vor dem Brandenburger Tor, an denen das Rahmenprogramm mit sportlichen Mitmach-Angeboten, kulturellen Veranstaltungen, der Athletendisko oder zuletzt auch der Abschlussfeier stattfand. Damit ist in Berlin schon einmal ein wichtiges Ziel erreicht: Die Athlet*innen von Special Olympics wurden wahrgenommen, als aktive Sportler*innen und als Menschen.

Berlin hat in diesen Tagen gezeigt, was alles möglich ist auf dem Weg zu mehr Sichtbarkeit, gesellschaftlicher Teilhabe und Anerkennung für Menschen mit geistigen Behinderungen. Über Inklusion wird nicht nur gesprochen, sie wird tagtäglich gelebt. An den Wettkampfstätten, an denen die Athlet*innen auf dem jeweils passenden Niveau ihren Lieblingssport betrieben und dabei ihr Bestes gaben, in den Unified Teams, in denen Menschen mit und ohne geistige Behinderung gemeinsam gleichberechtigt um Medaillen und Plätze kämpften getreu dem Motto der Spiele, #ZusammenUnschlagbar. Und auch in der Organisation der Spiele, in die immer mehr Athlet*innen mit ihrem Expertenwissen eingebunden und zu großen Stützen werden. Ein Beispiel ist Dennis Mellentin, Athletensprecher von Special Olympics Berlin, der hauptberuflich als Manager für Athleteneinbindung im Organisationskomitee (LOC) tätig ist.

Auch beim Basketball ging es hoch her (Foto: Anna Spindelndreier)

 

Gegen Unterschätzung und Ausgrenzung: Ein Anstoß für das ganze Land

„Wir binden hier sehr viele Athlet*innen ein. Und alle zeigen und beweisen täglich, dass sie viel können,“ sagt Mellentin, „unser Ziel ist ja, dass Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen nicht immer unterschätzt und ausgegrenzt werden. Hier machen wir das gut, und ich hoffe sehr, dass wir einen Anstoß geben können für das ganze Land.“

Das ist die ganz große Hoffnung, die auf den am Freitag zu Ende gegangenen Nationalen Spielen Berlin 2022 und den Weltspielen in einem Jahr an gleicher Stätte liegt: dass sie zu nachhaltigen gesellschaftlichen Veränderungen im ganzen Land führen. Dass mehr Zugang zum Sport für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen geschaffen wird.

Derzeit treiben nur rund acht Prozent der Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen Sport. Diese Zahl in absehbarer Zeit mindestens zu verdoppeln, ist das erklärte Ziel von Christiane Krajewski, der Präsidentin von Special Olympics Deutschland. Sport bringt nicht nur Spaß und Freude, sondern ist gerade für die Menschen mit geistiger Behinderung ein wichtiger Gesundheitsfaktor, der noch viel zu wenig genutzt wird. „Früher musste ich Medikamente nehmen“, sagt Michael Lofink, Radsportler und Athletensprecher bei Special Olympics Baden-Württemberg, „und jetzt nehme ich gar nichts mehr.“ Der zweifache Goldmedaillengewinner der Weltspiele von Abu Dhabi 2019 hat 2006 mit dem Sport begonnen, und sukzessive hat sich seine Gesundheit verbessert. Heute ist er topfit. „Meine Eltern wohnen 160 Kilometer entfernt von mir. Andere fahren so etwas mit dem Zug. Ich nehme das Rad, wenn ich sie besuchen will.“

 

Ein nicht immer zu erlebender, positiver Wettkampfgeist

Darüber hinaus haben die Nationalen Spiele in Berlin auch auf eindrucksvolle Weise demonstriert, dass Sport ein perfektes Mittel ist, um Brücken auf- und Berührungsängste abzubauen und das Denken zu verändern. Viele Berliner*innen waren tief beeindruckt von den sportlichen Leistungen und der großartigen Stimmung an den Sportstätten, wo Sport im allerbesten Sinne zu erleben war. Es herrsche „ein positiver Wettkampfgeist, den man nicht immer erlebt“, sagte Kampfrichterin Annette Flegel aus Berlin, die bei der Leichtathletik ehrenamtlich im Einsatz war und beobachtet hat, dass sich alle riesig freuen, wenn einem Konkurrenten zum Beispiel ein Sprung über die Hochsprunglatte gelingt. „Das hat man in einem Wettkampf der Fachverbände eher nicht.“

So wurden die Nationalen Spiele auch von den Berliner*innen positiv aufgenommen: als ganz besonderes stimmungsvolles Ereignis, aber gleichzeitig auch als Botschaft, dass Menschen mit geistigen Behinderungen einfach Sport treiben wie alle anderen auch. Die Weltspiele im nächsten Jahr werden dies sicher noch verstärken und sich hoffentlich noch weiter auf das ganze Land ausdehnen.

Superstimmung nicht nur bei der Eröffnung: Durch Berlin wehte ein ganz besonderer Spirit (Foto und Titelfoto: Sarah Rauch)

 

Host Town Program umfasst 216 Kommunen

Einen guten Grund, dass sich diese Hoffnung erfüllt, liefert das Gastgeber-Programm (Host Town Program), das seit 1995 fester Bestandteil der Special Olympics Weltspiele ist. Denn die Spiele im nächsten Jahr finden zwar in Berlin statt, aber Gastgeber wird ganz Deutschland sein. 216 Kommunen aus allen Regionen haben in den vier Tagen vor Beginn der Weltspiele im nächsten Jahr jeweils eine der Delegationen aus aller Welt zu Gast und zeigen den Athlet*innen und ihren Begleiter*innen ihre Stadt und deren Möglichkeiten zum Sporttreiben für alle. Dadurch setzt quasi das ganze Land die Idee von Special Olympics um, und zwar schon lange vor Beginn der Weltspiele: Um Gastgeber-Stadt zu werden, war eine Bewerbung mit inklusiven Projekten und Ideen Voraussetzung – im Januar wurden die 216 Städte bereits nominiert.

Die Berliner Veranstaltungen in diesem und im nächsten Jahr sind zweifellos ein Highlight in der gut 30 Jahre alten Geschichte der Special Olympia Bewegung in Deutschland, seit im Jahr 1991 Special Olympics Deutschland gegründet wurde. Sie werden der Bewegung einen großen Schub verleihen, das Thema nachhaltig stärker etablieren und hoffentlich dafür sorgen, dass langfristig mehr inklusive Sportangebote geschaffen und bekannt gemacht werden. Und dass Einstellungen in der Bevölkerung langfristig verändert und Inklusion und Teilhabe mehr gelebt werden.

 

Ulrike Spitz war DOSB-Pressesprecherin bis Dezember 2021, seither ist sie im Ruhestand – was man indes nicht wörtlich nehmen sollte, wie man sehen und lesen kann. Ihre vorherigen Stationen: Leiterin Medien und Prävention bei der Nationalen Anti Doping Agentur. Zuvor, bis 2007 Sportjournalistin, u.a. als Leiterin der Sportredaktion der Frankfurter Rundschau.

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