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„Einen zweiten Lockdown darf es nicht geben“

In Deutschland gibt es mehr als 88.000 Sportvereine – und sie alle kämpfen mit den Folgen der Corona-Pandemie. Wie gehen Amateur- und Breitensportvereine mit der Situation um? Welche Auswirkungen hat Corona auf die Mitgliederzahlen? Und wie ist die Stimmung abseits des Scheinwerferlichts des Profisports? Geschäftsführer Udo Hein (61) leitet seit rund 28 Jahren die Geschicke des Turnerbund Hamburg-Eilbeck, einem der ältesten Sportvereine in der Hansestadt mit rund 3.000 Mitgliedern und einem eigenen Sportzentrum. Für Hein steht fest: „Einen zweiten ‚Lockdown’ darf es nicht geben, das wäre existenzbedrohend.“ Aufgezeichnet von Julia Nikoleit

[ALLGEMEIN | MENSCHEN | GESELLSCHAFT]

Seit März denken wir von Woche zu Woche. Damals wurde – direkt nach den Hamburger Frühjahrsferien – der ‚Lockdown’ angeordnet und wir mussten unser Sportangebot von einem Tag auf den anderen einstellen. Im April und Mai waren wir in Kurzarbeit, dann lief alles nach und nach wieder an. Es war rückblickend natürlich eine schwierige Zeit – und ist es noch -, aber es gab bisher keinen Moment, in dem ich Angst hatte, dass unser Verein nicht überlebt. Ich bin selbstbewusst davon ausgegangen, dass der Vereinssport einen so wichtigen gesellschaftlichen Wert darstellt, dass Lösungen gefunden werden – und das hat sich bestätigt.

Insgesamt sind wir überraschend gut durch die bisherige Situation gekommen. Wir haben aktuell rund 150 bis 180 Mitglieder weniger als in den letzten Jahren um diese Zeit, aber die Austritte haben nicht das Ausmaß angenommen, das ich im März befürchtet hatte. Wir hatten zum Sommer zwar etwas mehr Kündigungen als sonst, aber das war nicht eklatant.

Bitterer als die Kündigungen sind die fehlenden Neueintritte. Nach dem ‚Lockdown’ lief unser Programm zwar im Mai langsam wieder an, doch Anfang Juli waren dann schon wieder Sommerferien und damit eine lang geplante Umbauphase in unserem Sportzentrum, die wir nicht verschieben konnten. Summa summarum fehlen uns knapp fünf Monate Neueintritte, das spüren wir schon. Und sollte es noch einmal einen ‚Lockdown’ geben, würden die Mitglieder noch stärker mit den Füßen abstimmen und uns verlassen.

Ich warne allerdings davor, die jetzige Situation als den Ist-Zustand zu betrachten und sich zu entspannen. Das wäre ein Fehlschluss, denn durch die Kündigungsfristen für die halbjährlichen Austrittstermine verschiebt sich der Mitgliederschwund um eine Saison. Wir werden die vollständigen Auswirkungen der Pandemie erst ab 2021 spüren – gerade, wenn wir den kompletten Sportbetrieb noch einmal einstellen müssten. Es darf keinen zweiten ‚Lockdown’ geben – das wäre für uns dann wirklich existenzbedrohend!

Seit dem Sommer werden bei uns alle Sportarten wieder angeboten, wobei das Angebot in einzelnen Abteilungen durch die pandemiebedingten Vorgaben noch eingeschränkt ist. Unsere Tischtennis-Spieler dürfen beispielsweise noch kein Doppel spielen. Außerdem führen die Auflagen bezüglich Abstand und Quadratmeterzahlen dazu, dass wir einige Gruppen deckeln mussten – wir haben das für jede Hallengröße genau ausgerechnet. Im Kinderturnen sind vor Corona 30 bis 32 Drei- bis Fünfjährige über die Bewegungslandschaften geturnt, jetzt liegt die Obergrenze für eine Gruppe bei 18 Kindern.

Die Heimat des T.H.-Eilbeck: Das vereinseigene Sportzentrum an der Ritterstraße in Hamburg

Damit wir niemanden nach Hause schicken müssen, weil die maximale Teilnehmerzahl erreicht ist, haben wir eine verpflichtende Voranmeldung eingeführt – nicht nur im Kinderturnen, sondern auch im Fitnessbereich. Das läuft besser, als wir erwartet hätten; denn bisher war die spontane und flexible Nutzung unserer Angebote für unsere Mitglieder selbstverständlich und auch gewollt. Es gab in den letzten Wochen natürlich immer wieder Leute, die das nicht mitbekommen oder ignoriert haben, aber wer einmal umsonst vor der Halle gestanden hat, meldet sich das nächste Mal an. Das ist ein schmerzhafter Lerneffekt.

Natürlich kann es auch vorkommen, dass in unserer Verwaltung Übertragungsfehler passieren – wenn das Telefon direkt nach einem Anruf wieder klingelt und darüber vergessen wird, die Anmeldung einzutragen. Für diesen Fall halten wir eine „Wildcard“ bereit – eine Lehre, die wir gezogen haben. Wir lernen jede Woche dazu. Und natürlich haben wir in Desinfektionsmittel, Spender und Masken investiert. Bisher haben wir dafür rund 2.000 bis 3.000 Euro ausgegeben.

Wie lange wir das Programm mit den eingeschränkten Gruppengrößen fahren können, müssen wir sehen. In unserem Gymnastikraum dürfen wir beispielsweise durch die Auflagen nur zehn Leute bewegen, sodass wir mehrere Gruppen – beispielsweise im Tai Chi und im Pilates – splitten mussten. Aus einer Gruppe mit 16 Mitgliedern haben wir zwei Gruppen gemacht, was aber natürlich doppelte Übungsleiterkosten bedeutet. Im Moment können wir das noch gut auffangen, da wir in der ‚Lockdown’-Phase unsere Honorarkräfte nicht bezahlen konnten bzw. durften. Wenn es sich allerdings ein Kalenderjahr fortsetzt, dass wir für die gleiche Anzahl an Leuten zweifache Personalkosten haben, wird es schwierig.

Gerade für unsere erfolgreichen Wettkampfsportarten waren die letzten Monate extrem herausfordernd. Die Handballer, die Boxer und die Judoka leben vom Körperkontakt, das gehört zu jeder dieser Sportarten einfach dazu. Im Boxen findet inzwischen wieder Sparring statt, die Handballer dürfen Trainingsspiele austragen und die Judoka machen Randori. Es lässt sich sicherlich nicht leugnen, dass die Gefahr durch den intensiven Körperkontakt, der das Training prägt, größer ist als im Yoga, aber andererseits macht es die Sportarten eben auch aus. Nur über den Kontakt werden Trainingserfolge erzielt. Sicherlich kann man mit Konditions- und Krafttraining einen gewissen Zeitraum überbrücken, aber das Techniktraining mit dem Deuserband kann im Judo eben kein Randori ersetzen, um nur ein Beispiel zu nennen.

Extrem vorsichtig waren wir natürlich im Gesundheitssport. Dass die Lungensportler als letzte Gruppe wieder eingestiegen sind und zudem so lange wie möglich im Park an der frischen Luft trainiert haben, ist naheliegend. Jetzt sind sie zwar wieder in der Halle, doch wir haben ihnen empfohlen, lieber eine Trainingsjacke mehr mitzunehmen, um gut durchlüften zu können. Unsere Vereinsärztin Dr. Antonie Kruppa achtet zudem sehr darauf, dass alle Vorgaben eingehalten werden. Sie war uns eine extrem große Hilfe, stand immer mit Rat und Tat zur Seite und hat die Hygienekonzepte der einzelnen Abteilungen abgesegnet. Wir haben rund 200 Mitglieder im Gesundheitssport und noch keinen Coronafall. Wir hoffen, dass es möglichst lange so bleibt.

Insgesamt ist mein Eindruck ohnehin, dass gerade im Sport alle sehr verantwortungsvoll mit dem Thema umgehen. Im Austausch mit den anderen größeren Vereinen in Hamburg haben wir festgestellt, dass es bei uns allen noch sehr, sehr wenige Corona-Fälle gab. Der Sport an sich ist daran interessiert, sein flächendeckendes Angebot zu erhalten, sodass für Leichtsinn einfach kein Platz ist.

Das Vereinsleben abseits des reinen Sports ist natürlich komplett eingebrochen. Wir haben sonst ein jährliches Familienfest, auf das wir sehr stolz sind, ein Weihnachtsmärchen sowie bunte Aktionen wie einen Laternenumzug, die Kinder-Olympiade oder einen Hallenflohmarkt in der Weihnachtszeit. Diese Events ziehen tausende Besucher an und gehören für uns als Quartiersverein zur DNA. Zudem sind sie ein großer Werbefaktor. Dass sie dieses Jahr ausfallen mussten, ist ein Verlust und ich hoffe sehr, dass wir die Veranstaltungen im nächsten Sommer wieder aufnehmen können.

Was uns jetzt im Winter erwartet, weiß keiner. Ich habe es schon gesagt: Einen zweiten ‚Lockdown’ darf es nicht geben, das wäre existenzbedrohend. Auch bei erneuten Verschärfungen wird es schwierig; wenn wir beispielsweise die Lockerungen, die uns im Juli und August nicht schnell genug gehen konnten, wieder zurücknehmen müssten. Kommt es dazu, was angesichts der steigenden Zahlen zu befürchten ist, müssen wir die Kommunikation mit unseren Mitgliedern suchen. Wenn wir erklären, warum wir gewisse Dinge so und so angehen oder etwas anders als gewohnt läuft, zeigen viele Einsicht und honorieren die Mühe, die wir uns machen.

Ich halte daher auch nichts davon, sich immer nur mit Schreckensszenarien zu beschäftigen. Eine Krisensituation wie diese Pandemie kann auch für einen neuen Zusammenhalt sorgen – für eine stärkere Bindung. Dass wir jetzt so gut dastehen, haben wir uns im Team erarbeitet – die Mitarbeiter der Geschäftsstelle, die hochengagierten Abteilungsleiter sowie unsere Trainerinnern und Trainer. Keiner von uns stand in den letzten Monaten alleine da. Ich bin stolz auf den ganzen Verein.

Fotos: Nils Schäding / T.H.-Eilbeck

 

2 thoughts

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