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Die große Idee und das reale Leben

Von Richard Meng [RINGE | ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Gunter Gebauer erzählt spannend und informativ die Geschichte der Olympischen Spiele

Dass ein international anerkannter Sportphilosoph verständlich und sogar unterhaltsam schreiben kann: Selbstverständlich ist das nicht. Gunter Gebauer, langjähriger Professor an der FU Berlin, beweist wieder einmal das Gegenteil. Wer ihn kennt, wird zumindest darüber nicht überrascht sein.

Nun hat Gebauer ein Büchlein über die Olympischen Spiele in Geschichte und Gegenwart vorgelegt, wie es sich Sportfans nur wünschen können. Präzise in der Analyse, umfassend im Zugang, kritisch und zugleich voller Faszination über die olympischen Werte. Passend zum Olympiajahr 2020, falls es denn – wegen Corona – tatsächlich eines wird. Wichtig aber auch für die deutsche Diskussion darüber, ob und wann, vor allem aber mit welchem Wertefundament Bewerbungen für die Zukunft Sinn machen.

Wer hat schon parat, dass es im antiken Olympia eine „besonders intensive gegenseitige Durchdringung von Religion und Athletik“ (so Gebauer) gab? Wer weiß, dass der hochgeehrte Baron Pierre de Coubertin generell gegen die Teilnahme von Frauen an den Olympischen Spielen der Neuzeit war? 1900 in Paris in einigen wenigen Disziplinen dann aber wenigstens 17 Frauen dabei waren.

In diesem Punkt, so schreibt Gebauer,  habe das IOC sich viel zu lange hinter frauenfeindlichen „Brandschriften“ von Ärzten versteckt.  Da werden durchaus Linien deutlich, über all die Zeitenwenden hinweg. Linien des Fortschritts letztlich, zugleich der Mühsal dabei. Ein Ausbund progressiver Gesinnung war das IOC selten. Aber es hat am Ende immerhin, oft langsam, gesellschaftliche Veränderungen nachvollzogen.

Gebauer zeichnet so manche Fehleinschätzung nach – wie die, dass China sich im Gefolge der Spiele von Peking 2008 demokratisch öffnen werde. Und er beschreibt daneben die positiven Seiten zwiespältiger Trends wie der immer perfekteren medialen Vermarktung: Übertragungen der eher enttäuschende Spiele in Rio 2016 hat die Hälfte der Weltbevölkerung  gesehen. Sport, speziell Olympia, stiftet Gemeinsamkeit, weltweit. Was viel wert ist in diesen Zeiten.

Der Abschnitt über die Paralympics ist etwas kurz geraten, aber vielleicht spiegelt auch das ziemlich realistisch die reale Lage. Die politischen Verwerfungen mit Boykotten für Moskau und Los Angeles (1980/84), der jahrzehntelange und spätestens rund um Sotschi eskalierende Doping-Betrug, die Korruptionsanfälligkeit im internationalen Sport und sogar die schwierige Transgender-Problematik: Gebauer weicht all diesen Themen nicht aus und er bleibt dabei stets fair, zeichnet das ganze Bild. Der Werte wegen, für die Olympia stand und steht.

Das Ergebnis ist ein lesenswertes Gesamtpanorama auf genau 100 Seiten. Ein Buch, das immer wieder aus persönlichem (Mit-)Erleben heraus geschrieben ist und deshalb so glaubwürdig daher kommt. Lesenswert für alle, die sich im Sport engagieren. Gerade weil die Idee Olympia immer noch so groß und ihre Verwirklichung im wirklichen Leben immer noch so anstrengend ist.

Dr. Richard Meng ist Präsident der DOG Berlin. Er war sieben Jahre lang Sprecher des Berliner Senats. Zuvor war er Leiter des Berliner Büros und stellvertretender Chefredakteur der Frankfurter Rundschau.

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