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Der Sport und die Medien: Eine Bestandsaufnahme, Teil 2

Rück- und Ausblick: Redaktionsgespräch mit Medienwissenschaftlerin Jana Wiske über eine dynamische und stark im Wandel begriffene Wechselbeziehung.

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Interview: Frank Schneller

 

Olympisches Feuer: Frau Wiske, wir sprachen im ersten Teil des Interviews über die zunehmende Konkurrenz eigenproduzierter Inhalte durch Verbände und Vereine. Was kann der Sportjournalismus eigentlich noch in die Waagschale werfen?

Jana Wiske: Zwei unglaublich wichtige Dinge: Einerseits schon noch die große Reichweite, die er hat. Und das andere ist noch wichtiger: Nämlich Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit. Ich glaube, dass es in unserem Land schon noch viele Leute gibt, die Qualitäts-Ansprüche haben, die eine unabhängige Einordnung schätzen, eine kritische Anmerkung. Und: Fundierte Meinungsstücke mit pro und contra. Was die Sportjournalisten und Sportjournalistinnen in diesem Land ausmacht, ist die eigene Wertung. Auch bei Interviews. Ich erinnere an das TV-Interview von Esther Sedlaczek mit Oliver Bierhoff bei der WM 2022 – das sind die Momente, die Sportjournalismus ausmachen und die ihm nicht streitig gemacht werden können. Sie war gut vorbereitet und fragte, was sich eine ganze Nation fragte, und hakte mit Argumenten knallhart nach.

 

Olympisches Feuer: Welche positiven Entwicklungen sehen Sie außerdem?

Wiske: Der Sportjournalismus ist vielseitiger geworden. Es ist im Vergleich zu meiner Zeit normaler, zunehmend viele Kolleginnen anzutreffen. Und das finde ich sehr gut. Außerdem: Man mag auf Social Media so viel – oft auch zurecht – schimpfen, wie man will. Aber natürlich gibt es dadurch auch ein paar mehr Quellen, wo man mal nachsehen kann. Das ist nicht exklusiv, keine Frage. Aber kann dennoch ab und an bereichernd sein.

 

Olympisches Feuer: Wie erleben Sie die mediale Fußball-Dominanz?

Wiske: Ich bin ein wahnsinniger Fußballfan. Aber diese Dominanz ist schon manchmal erdrückend, man würde sich wünschen, dass die anderen Sportarten mehr wertgeschätzt würden. Vor allem auch im Free-TV. Nicht erst, wenn es um ein WM-Finale geht. Siehe Basketball.

 

Olympisches Feuer: Erfüllen die Öffentlich-Rechtlichen. noch ihren Auftrag? Wird das Konsumverhalten nicht zu sehr von ihrem Angebot geprägt? Müsste es nicht anders herum sein?

Wiske: Es braucht Mut, andere Weg zu gehen. Letztlich muss die Gesellschaft natürlich auch einen gewissen Druck ausüben. Das hat man gemerkt bei der Frauenfußball-WM. Die Kritik daran, dass sie es zunächst nicht geschafft haben, einen vermeintlich geringen Betrag aufzurufen, um das Turnier zu übertragen, wirkte letztlich. Ansonsten ist das TV-Geschäft natürlich ein knallhartes, auch bei den Öffentlich-Rechtlichen. Auch dort zählen die nackten Zahlen. Die brechen ein, wenn der Ball nicht rollt. Ich wünsche mir trotz wirtschaftlicher Zwänge, dass man ein bisschen mehr Mut zum Risiko hat, Sportarten abseits des Fußballs auch zu fördern. Und dass der Mut in Form von guten Quoten belohnt wird.

Als Weltmeister gefragt: Basketball-Nationalcoach Gordon Herbert. Die Öffentlich-rechtlichen aber sprangen erst spät auf den Zug auf.

 

Olympisches Feuer: Kann man die qualitativen Veränderungen im Sportjournalismus auch am Output der Nachrichtenagenturen erkennen?

Wiske: Naja, auch die orientieren sich an der Nachfrage. Die Outputs haben sich verändert. Videos, Podcasts – die neuen Kanäle bespielen natürlich auch die Agenturen. Das heißt, da haben sie sich angepasst, weil es eben erwartet wird vom Kunden und deren Konsumenten. Wenn man bestimmte Trends dann mal nicht mitmacht, wie zum Beispiel den minutiösen Liveticker zu Harry Kane, bist du halt nicht dabei in Sachen Klicks. Das ist einfach so. Und die Frage lautet: Kann man sich das leisten als Medienunternehmen?

 

Olympisches Feuer: Kann man es sich leisten, Transfers wie den von Harry Kane noch mit etwas Ruhe und Distanz zu begleiten oder muss man minutiös berichten, wie das Spezialisten inzwischen tun?

Wiske: Für mich ist das völlig übers Ziel hinaus und unbegreiflich, dass so etwas von Nachrichtenwert sein soll, über zwei, drei Tage – auf Schritt und Tritt. Aber auch hier gilt: Es gab wieder nicht nur das Angebot, sondern zuerst war die Nachfrage. Die Zeit wird immer schnelllebiger. Und ich gebe zu: Wenn das Portal oder Medium meines Vertrauens sich nicht innerhalb von einer Stunde aktualisiert, bin ich schon enttäuscht. Heißt: Jeder erwartet immer wieder etwas Neues. Nur: So viel Neues gibt es rund einem Flug von Harry Kane von England nach München wahrscheinlich auch nicht – also wird jeder Schritt dokumentiert. Inflationär.

 

Olympisches Feuer: Apropos: Gibt es mittlerweile nicht viel zu viele ‚Experten‘, die mit steilen Thesen die News-Lage noch weiter anfeuern sollen?

Wiske: Es sind viele geworden, stimmt. Ich habe das Gefühl, man holt sich die auch, um Sachverhalte selbst nicht mehr einordnen zu müssen. Man überlässt die Konfrontation den Experten. Eckt selbst am Mikro lieber nicht an. Man kann sich hinter Experten ein bisschen verstecken. Das ist aber kein Pauschal-Urteil. Es gibt ja auch Unterschiede bei den Experten.

 

Olympisches Feuer: Werden Talkrunden dadurch kurzweiliger? Oder welche Strategien stecken noch hinter der Hinzunahme von Promis als Experten?

Wiske: Klar, Talkrunden werden dadurch spannender. Ich verstehe auch, dass man die Sportsendungen vielleicht ein bisschen aufpeppen muss. Man kann mit den Talks im Stadion natürlich auch künstlich ein Event verlängern. Aber dennoch habe ich den Eindruck, sie sollen auch die Meinungsfreudigkeit übernehmen, wenn’s unbequem wird. Man kriegt zudem schnell eine Schlagzeile, wenn Didi Hamann wieder einen raushaut. Mit der Gegenreaktion lässt sich dann das Thema weiter füttern. Und charmant ist es auch, weil die Experten ja meistens auch noch eine Nähe zur Szene haben.

 

Olympisches Feuer: Können die Experten auch qualitativen Benefit bringen?

Wiske: Ja. Bei erklärungswürdigen Sportarten, gerade bei Olympia, ist das der Fall. Wenn eine Kristina Vogel ihre Expertise in Sachen Bahnrad einbringt, finde ich das wunderbar und auch sehr wichtig. Expertinnen und Experten sind fast immer ein Gewinn, je fremder einem die Sportarten zunächst sind.

 

Olympisches Feuer: Ein unausweichliches Thema: KI – was kommt da auf uns zu? Bei Spielberichten aus der Retorte bleibt es ja nicht.

Wiske: Es gibt KI, die uns das Leben erleichtert. Ein Infokasten über jemanden beispielsweise kann von KI zusammengesetzt werden, KI übernimmt heute schon das Transkribieren von Interviews und entscheidet dabei qualitativ, welche Sätze Substanz haben – so etwas kann das Journalistendasein einfacher machen. Aber was im Sportjournalismus unersetzlich ist und damit eine ganz wichtige DNA darstellt: Die persönliche Einordnung eines Themas, die Bewertung, die Pointierung durch einen bestimmen Journalisten, der seinen Stil pflegt, der persönlich in die Kamera spricht oder mit einer ganz eigenen Note unterhaltsam durchs Interview führt. Und der übrigens auch mal Fehler macht, sich verspricht oder spontan reagiert. Das erzeugt Nähe zum Rezipienten. Das kann KI so nicht.

 

Olympisches Feuer: Ist das mitunter kritische Verhältnis Journalist-Konsument an dieser Stelle von Vorteil?

Wiske: Entscheidend sogar. Der Konsument möchte diese persönliche Einordnung der Sportjournalistin oder des Sportjournalisten seines Vertrauens. Ob im Text, im Video oder Podcast. All das funktioniert in der heutigen Zeit ganz gut. Dabei ist das Thema Personal Branding nicht zu unterschätzen, also Sportjournalisten als eigene Marke. Wir kennen das vor allem aus den USA, hier haben Sportjournalistinnen und -journalisten einen regelrechten Promistatus. Das ist Geschmackssache, aber auf diese Art und Weise erhält die Einordnung und Kommentierung für den Medienkonsumenten noch mehr Kraft.

 

Olympisches Feuer: Dann machen Ihnen die Szenarien rund um Künstliche Intelligenz – dass sie den Journalismus begräbt – nicht allzu große Sorgen?

Wiske: Man darf es nicht nur verteufeln. Man muss einfach einsehen, es ist da. Und es geht nicht mehr weg. Also müssen wir sehen: Wie binden wir es ein? Wie nutzen wir KI so, dass es für alle Seiten wertvoll ist? Eine Aufgabe, die sich auch meinen Studierenden und mir stellt. Und, nein: Ich glaube, alles wird KI nicht ersetzen können.

 

Jana Wiske (48) ist seit 2017 Professorin für Ressortjournalismus und PR/Unternehmenskommunikation an der Hochschule Ansbach. Davor war sie über 15 Jahre Sportredakteurin beim kicker. Bis heute ist sie im Sportjournalismus verankert, beleuchtet in ihren Publikationen aber auch das Spannungsfeld Journalismus und PR. Die Medienwissenschaftlerin forscht zudem regelmäßig rund um den deutschen Fußball und seine gesellschaftliche Verantwortung. (Foto: Kuechenmeister)

One thought

  • Leider sieht Frau Wiske die Zukunft wie Gegenwart des Sport-Journalismus etwas zu oberflächlich
    (am liebsten würde ich sagen ´blauäugig`).
    Gefragt sind Menschen (von lat. mens = Geist), welche der K.I. die Stirn zeigen und ihren
    eigenen Grips gebrauchen, von dem wir (und das hat – nicht nur – Albert Einstein schon gewusst)
    in unserem Leben gerade mal bis zu 25 Prozent unserer Gesamtkapazität gebrauchen.
    Die von Frau Wiske zurecht genannte immer noch vorhandene große Zahl von Rezipienten, “die Qualitäts-Ansprüche haben, die eine unabhängige Einordnung schätzen, eine kritische Anmerkung”, welche also gern eigenständig nachdenken wollen, werden übrigens früher oder später bemerken, wenn eine Zeitung oder ein journalistisches Medium seine Berichte durch K.I. schreiben oder vorkonzipieren lässt.
    Sehr hilfreich dazu ist, sich in Sachen Sport praktisch und theoretisch auszukennen, am besten
    auf diese Weise Sport bis zu einem akademischen Abschluss studiert zu haben.
    Die meisten ´Experten` im TV haben dies übrigens nicht. Und der Umstand, daß so viele
    Experten herhalten müssen, damit die eigentlichen Sportjournalisten und -berichterstatter
    des öffentlich-rechtlichen und auch des privaten TV ihre eigenen Erfahrung und Meinung
    nicht vertreten, äußern und verteidigen, sprich überzeugend erklären müssen, zeigt wiederum die
    Notwendigkeit, daß es sich bei diesen um Fachleute handeln muss, die ihr Objekt, den Sport,
    eingehend praktisch wie theoretisch studiert haben.
    Zudem: Da man während eines Sport-Studiums i.d.R. bis zu zehn Sportarten und mehr erlernen
    und dort Prüfungen ablegen muss, findet man fast automatisch auch Gefallen an anderen Sportarten
    als wie nur Fußball, und sieht sich motiviert, ebenso darüber spannend, informativ wie unterhaltsam zu berichten.
    Gute bis sehr gute Sport-Journalisten sind nicht vom Geld verdienen getrieben, sondern von einer
    Überzeugung, daß es sich lohnt, seinen Mitmenschen Sport zu erklären, über Vorbilder darin zu berichten,
    Mißstände und mangelnde oder keine Fairness dabei aufzuzeigen, nicht zuletzt damit seine Kunden, die Leser und Zuschauer bzw. Zuhörer dahin zu bewegen, selbst auf gesunde Weise sportlich oder auch spielerisch bewegt zu werden und eine positivere Lebensweise einzuüben.

    Michael Hakenmüller, M.A., bis vor einigen Jahren noch hauptberuflich Sport-Journalist, VDS, 07471/9301096

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