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Sport and the City – Ein Plädoyer für mehr Sport und Stadt

Von Stefan Klos

Etwa 77% der Bevölkerung in Deutschland leben im urbanen, städtischen Raum – Tendenz steigend. Während die Gesamtbevölkerung schrumpft, wachsen Großstädte wie Berlin, München, Hamburg, Köln, Dresden oder Leipzig. Alle diese Städte stehen vor den gleichen Herausforderungen: Demografie und Ökonomie, Mobilität und Energiewende, Migration und Integration.

Der Sport hat das Zeug dazu die daraus entstehenden Wachstumsschmerzen zu lindern. Denn er wirkt in fast allen Bereichen, die unser gesellschaftliches und privates Leben ausmachen. Und er sorgt dafür, dass unsere Bürgerinnen und Bürger glücklich, gesund und gesellschaftlich aktiv sind.

Bewegung ist bekanntermaßen die beste Medizin. Durch ein wöchentliches Pensum von mindestens 150 Minuten moderater körperlicher Aktivität verbessern sich die physische und psychische Gesundheit laut WHO enorm. Schätzungen zu Folge ließen sich die Gesundheitskosten in Deutschland durch Erreichen des WHO-Ziels um bis zu 15% reduzieren.

Neben dem gesundheitlichen Aspekt hat der Sport eine enorme soziale und integrative Kraft und unterstützt auf verschiedensten Ebenen gesamtgesellschaftliche Interessen. Der organisierte Sport ist der größte nichtstaatliche Bildungsträger und Sport im Allgemeinen macht schlau: Mehrere Studien belegen, dass sportliche Aktivität sich positiv auf die Aufmerksamkeit, Konzentration, Lernfähigkeit und Erinnerungsfähigkeit auswirkt.

Im Sport passiert Inklusion, im Sport passiert Integration. Hier werden Sprache und Kultur gelernt sowie die Grundwerte des Zusammenlebens vermittelt. In 30 Prozent der Sportvereine sind Migranten als ehrenamtliche Funktionsträger integriert. Knapp 50 Prozent der Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund sind Mitglieder im Sportverein.

Bewegung hat jedoch nicht nur die direkten Auswirkungen auf das persönliche Wohlempfinden, sondern unmittelbare positive Folgen auch für die Mitbürgerinnen und Mitbürger: Ein Berufspendler, der täglich 5 Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, kann gegenüber der Fahrt mit dem Auto 350kg CO2-Ausstoß im Jahr einsparen. Gleichzeitig steigt die statistische Lebenserwartung allein durch das Rad-Pendeln um bis zu ein Jahr, das erhöhte Risiko durch Feinstaub und Verkehrsunfälle bereits berücksichtigt.

Experten schätzen, dass in Ballungsgebieten etwa 30 Prozent des PKW-Verkehrs durch Fahrten mit dem Fahrrad ersetzt werden könnten – die notwendige Fahrradinfrastruktur vorausgesetzt. Eines der bekanntesten Beispiele für derartige Ansätze und eine veränderte Denkweise ist die dänische Hauptstadt Kopenhagen, die durch einen Ausbau der Radwege sowohl im inner- wie auch außerstädtischen Bereich den Verkehr sogar um bis zu 50 Prozent reduzieren und gleichzeitig bis zu 30 Prozent Verkehrsfläche einsparen konnte.

Der Sport leistet also einen wichtigen Beitrag zu Gesundheit und Wohlbefinden und erfüllt sozio-edukative Aufgaben, womit er Identifikation und Zusammenhalt schafft. Darüber hinaus sind die ökonomischen Effekte mehr als nur erstaunlich: Die Bruttowertschöpfung der Querschnittsbranche Sport liegt in Deutschland etwa gleichauf mit der Chemieindustrie, dem Verkehrsgewerbe und dem Finanzsektor (2 bis 3 Prozent des BIP), die Zahl der Beschäftigten macht mit ca. 1,25 Mio. Personen etwa 2,9 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland aus. Nicht berücksichtigt ist darin der Wohlfahrtsgewinn durch Millionen Ehrenamtliche.

Der Beitrag der öffentlichen Hand durch Investitionen und Subventionen für den Sport beläuft sich auf unter 10 Mrd. EURO pro Jahr, demgegenüber stehen Steuereinnahmen auf allen drei Gebietskörperschaftsebenen in doppelter Höhe.

Sport – Die im wahrsten Sinne „größte gesellschaftliche Bewegung“ für die Stadt

 

Mittlerweile geben bereits knapp 80 Prozent der Bevölkerung in den Ballungszentren an, ab und zu Sport zu treiben. Damit bildet der Sport den größten gemeinsamen Nenner unserer Gesellschaft. Mehr noch als Alter, Geschlecht, mehr als jede politische, ethnische, religiöse oder sexuelle Orientierung vereint der Sport die Bevölkerung hinter sich.

Wenn sich diese absolute Mehrheit in einer bewegungsfreundlichen Stadt willkommen fühlt und mit einer Stadt identifiziert, dann erwacht ein zivilgesellschaftlicher Riese: eine – im wahrsten Sinne des Wortes – größtmögliche Bewegung. Die städtebauliche Herausforderung des kommenden Jahrzehnts liegt darin, mit und durch den Sport ein gemeinsames Konzept zu entwickeln, um eine nachhaltige Lebensqualität als Antwort auf wachsende Urbanität zu garantieren.

Auch wenn der Anteil der Sport treibenden Bevölkerung in den Städten wächst, sind Umfang und Regelmäßigkeit oft noch weit von den 150 Minuten pro Woche, die von der WHO als Mindestziel angesetzt sind, entfernt. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass der Organisationsgrad durch Mitgliedschaften in Sportvereinen stagniert. Stattdessen nimmt die aktive sportliche Betätigung außerhalb der organisierten Strukturen im privaten und individuellen Umfeld zu.

Laut einer Veröffentlichung des BMWi aus dem Jahr 2019 betreibt mit 72 Prozent die überwiegende Mehrheit der Sportlerinnen und Sportler ab 16 Jahren in Deutschland ausschließlich selbstorganisierten Sport außerhalb etablierter Sportvereine. Der am häufigsten genutzte „Sportplatz“ ist dabei nicht etwa die klassische (Norm-)Sportstätte (25 Prozent), das eigene Zuhause (10 Prozent) oder gar das Fitnessstudio (10 Prozent), sondern mit über 55 Prozent der Öffentliche Raum: Straßen, Geh- und Radwege, Grünflächen, Parks, Gewässer und Ufer, Plätze, Parkplätze, Industriebrachen und sogar öffentliche Gebäude.

Plötzlich ist die Stadt das Stadion. Und genau hier sollte eine nachhaltige und gesunde Stadtentwicklungspolitik ansetzen: Wenn der fixe, regelmäßige Termin durch Sportkurs oder Vereinstraining ausbleibt, braucht es andere Anreize, um den „Inneren Schweinehund“ jedes Mal aufs Neue zu überwinden: Ein attraktives, sportliches Stadtbild, in dem der eigeninitiierte Sport nicht erst Hürden, Verbotsschilder und Gefahren (z.B. durch Verkehr und Dunkelheit) überwinden muss, sondern durch intelligente Gestaltung, sportunterstützende Infrastruktur im öffentlichen Raum sowie deren gute Erreichbarkeit gefördert – ja sogar gefordert wird.

Die Vision der bewegungsfreundlichen Stadt

 

Die smarte Sport City definiert sich nicht nur über die Summe der Sportstätten und die Zahl der Events. Die bewegungsfreundliche Stadt des 21. Jahrhunderts ermöglicht es dem Sport durch gezielte städtebauliche Maßnahmen seine unbestreitbaren gesamtgesellschaftlichen Wirkungen optimal und flächendeckend zu entfalten: durch eine fahrradgerechte Stadtentwicklung; durch bedarfsgerechte Stadtmöblierung als Trimm-Dich-Pfad des 21. Jahrhunderts; durch sanitäre Anlagen und Umkleiden als Angebot des freien und flexiblen Sporttreibens vor, nach oder zwischen den Arbeitszeiten.

Die bewegungsfreundliche Stadt sperrt den selbstinitiierten Sport nicht auf ausgewiesenen Bewegungsinseln ein, sondern animiert auf jeder Frei-, Grün-, Verkehrs- und Wasserfläche durch Anreize wie Beleuchtung, Kilometrierung, zeitgemäße Sportgeräte und Instandhaltung zur aktiven Nutzung.

Mit multifunktionalem Nutzungsangeboten wird der Flächenkonkurrenz begegnet und neue Räume für die aktive Lebensgestaltung werden erschlossen. Der Sportplatz auf dem Bau- oder Supermarkt in Berlin, die (nachhaltige) Skipiste auf der Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen und der High Line Park über den Straßen von Manhattan sind nur einige Beispiele für ein erfolgreiches Miteinander von Stadt und Sport.

Um dieses Potenzial voll zu entfalten, müssen wir den Sport in seiner Gesamtheit verstehen und fördern. Das erfordert die Bereitschaft von öffentlicher Verwaltung, Stadtplanung, privaten Investoren, organisiertem und nicht organisiertem Sport über die gelernten Zuständigkeitssilos hinweg zu kooperieren und anstatt konkurrierenden „Oder“-Nutzungen gemeinsame „Und“-Lösungen zu schaffen. Denn Sport ist keine Randfliese des städtischen Zusammenlebens, sondern der Fugenkitt.

Foto: Andreas Gebert / dpa

Stefan Klos studierte Bauingenieurwesen im Fachgebiet „Raum- und Infrastrukturplanung“ an der TH Karlsruhe und am Indian Institute of Technology in Neu-Delhi. Seit 2005 arbeitet er bei PROPROJEKT als Geschäftsführender Gesellschafter. PROPROJEKT ist weltweit eines der führenden Unternehmen für die Konzeption und Planung von Sportgroßveranstaltungen. Zu den jüngsten Erfolgen zählen die Bewerbungen für die Special Olympics 2023 in Berlin und die UEFA Fußball Europameisterschaft 2024 in Deutschland. Stefan Klos berät derzeit das Internationale Olympische Komitee bei der Umsetzung der Agenda 2020.

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