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“Wir müssen auf gesamtgesellschaftliche Anforderungen reagieren”

Ein Interview mit Dr. Beate Grossmann

Dr. Beate Grossmann ist Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. Der Dachverband verfolgt das Ziel, Prävention und Gesundheitsförderung in allen gesellschaftlichen Bereichen voranzubringen. Im Interview spricht Beate Grossmann über das Präventionsgesetz – warum es notwendig ist, was es bewirkt hat und was geschehen muss, um Prävention weiter voranzubringen.

Frau Dr. Grossmann, wir sprechen über das „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention“. Was ist denn der Unterschied zwischen Prävention und Gesundheitsförderung?

Unter Prävention versteht man all jene Maßnahmen oder Interventionen, die der Risikominimierung dienen und unter Gesundheitsförderung all jene, die dazu dienen, die gesundheitlichen Ressourcen zu stärken.

Aber wenn ich mich bewege, betreibe ich beides, oder?

Das stimmt, aber hinter diesen Begriffen stehen unterschiedliche Sichtweisen und Konzepte. Gesundheitsförderung im Gefolge der WHO-Ottawa-Charter ist eher ein sozialökologisches Konzept und Prävention mit ihrem Risikofaktorenansatz kommt stärker aus dem naturwissenschaftlich-medizinischen Bereich. In der Praxis werden beide Begriffe häufig zusammen und kaum unterscheidbar verwendet.

Ein Blick zurück: Wofür brauchte es 2015 eigentlich ein Präventionsgesetz?

Grundsätzlich war und ist das Ziel, die Krankheitslast insbesondere bei den nicht übertragbaren chronischen Krankheiten zu mindern. Dafür galt es vor allen Dingen, die Gesundheitsförderung und Prävention in den Settings oder – wie das Gesetz sagt – in den Lebenswelten zu stärken und eine verbindliche Zusammenarbeit von Akteuren auf der Bundesebene und in den Ländern zu fördern.

Das Handlungsfeld Prävention und Gesundheitsförderung ist sehr heterogen. Es gibt enorm viele Akteurinnen und Akteure mit unterschiedlichsten Zuständigkeiten und dadurch auch unterschiedliche Begriffsverständnisse. Die Herausforderung bestand darin, Zuständigkeiten zu regeln, Qualitätssicherung und Evaluation stärker zu verankern und eine gemeinsame Sprache zu finden.

Welche Impulse sind von dem Gesetz ausgegangen und inwieweit hat es Prävention vorangebracht?

Dafür muss man sich die eben beschriebenen Ziele vergegenwärtigen. Das Präventionsgesetz hat vor allen Dingen Vorgaben für ein Präventionssystem der Sozialversicherungen unter Beteiligung der Unternehmen der privaten Krankenversicherungen und Pflegeversicherungen gemacht. In den vergangenen Jahren wurden die vom Gesetzgeber geforderten Strukturen geschaffen und Ausführungsbestimmungen erarbeitet. Die Nationale Präventionskonferenz wurde gegründet und die Bundesrahmenempfehlungen verabschiedet. Der Präventionsbericht liegt vor und das Präventionsforum wurde regelmäßig durchgeführt. Das alles ist gut gelungen.

Diese Strukturen zu schaffen, ist für ein kooperatives Vorgehen vor Ort sehr wichtig. Allerdings ist dieser Vorgang für Akteurinnen und Akteure in Lebenswelten nur wenig anschaulich und es besteht immer die Gefahr, in Strukturbildung zu erstarren und darüber die Belange der lebensweltlichen Praxis zu übersehen. Deshalb sind sich im Prinzip alle Beteiligten im Klaren darüber, dass die positiven Wirkungen des Präventionsgesetzes jetzt wirklich auch in den Lebenswelten ankommen müssen oder salopp formuliert: dass die PS jetzt wirklich auf die Straße gebracht werden. Denn es ist ja jetzt mehr Geld im System. Im Fokus steht nun die Umsetzung in den Betrieben und im kommunalen Bereich. Um die kommunale Gesundheitsförderung zu stärken, gibt es beispielsweise seit einem Jahr ein entsprechendes Förderprogramm des GKV-Bündnisses für Gesundheit.

Für das Präventionsgesetz gab es Lob aber auch Kritik, Arbeitgeber sprachen gar von „Symbolpolitik auf Kosten der Beitragszahler“. Wie ist Ihre Einschätzung?

Das kann ich nicht nachvollziehen, denn in der Prävention und Gesundheitsförderung sind die Beiträge der Versicherten gut investiert. Ich verstehe, dass man sagt, dass es letztendlich doch ein sehr stark auf die Sozialversicherungen beschränktes Gesetz ist. Aber im Kern finde ich es gut, dass es eine Verbesserung der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Sozialversicherungsträger wie gesetzlicher Kranken-, Unfallversicherung und Rentenversicherung bewirkt.

Ein anderer Punkt ist, dass zwei Rationalitäten aufeinanderstoßen – die eine ist, dass der Gesetzgeber den Wettbewerb unter den Krankenversicherern eindeutig will. Für Prävention und Gesundheitsförderung brauchen wir aber krankenkassenübergreifende Maßnahmen und Strategien. Aus Sicht der Präventions- und Gesundheitsförderer ist dieser Wettbewerb unter den Krankenkassen nicht sinnvoll. Dieser Widerspruch lässt sich nicht ganz auflösen.

Was muss passieren, um Prävention noch mehr voranzubringen?

Es muss gelingen, den gesamtgesellschaftlichen Ansatz im Sinne der intersektoralen Gesundheitspolitik, beziehungsweise „Health in all Policies“ stärker zu verankern. Auf die gesamtgesellschaftlichen Anforderungen im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung müssen wir reagieren. Eine alleinige Ausrichtung auf die Sozialversicherungsträger wird den meisten der gesundheitlichen Problemlagen nicht gerecht, denn es gibt viele Faktoren, die jenseits ihrer gesetzlichen Leistungsspektren liegen. Wie zum Beispiel Eindämmung von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Substanzkonsum oder psychosoziale Belastungen. Diese Probleme werden wir nur bewältigen können, wenn die Maßnahmen im Rahmen des Präventionsgesetzes weiter beherzt umgesetzt werden und es auf Länder- und kommunaler Ebene zu einem Schulterschluss mit den Sozialversicherungsträgern kommt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Marco Dames

Foto: Sophia Kembowski / dpa

Dr. Beate Grossmann

Dr. Beate Grossmann ist Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V. Der Dachverband verfolgt das Ziel, Prävention und Gesundheitsförderung in allen gesellschaftlichen Bereichen voranzubringen. Im Interview spricht Beate Grossmann über das Präventionsgesetz – warum es notwendig ist, was es bewirkt hat und was geschehen muss, um Prävention weiter voranzubringen.

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