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Mr. Sporthilfe Michael Ilgner – ein Fels in der Brandung

Ein Porträt von Jörg Hahn [MENSCHEN | GESELLSCHAFT| WIRTSCHAFT | FÖRDERER]

Josef Neckermann, Gründungsvorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe (was er von 1967 an 21 Jahre lang blieb), hatte den Beinamen „Bettler der Nation“. Meine erste Begegnung mit Michael Ilgner, der gerade neuer Geschäftsführer der Sporthilfe geworden war, fand im Frühjahr 2006 statt, und in dem Porträt für die F.A.Z. stand dann seine Aussage: „Die Zeit der Bettelbriefe Neckermanns ist vorbei.“

Dass ich später einmal fünf Jahre lang als Kommunikationsdirektor der Sporthilfe mit und für Ilgner – an den ich hiermit freihändig den Titel „Mr. Sporthilfe“ vergebe – arbeiten würde, daran dachte zumindest ich damals nicht. Ilgner traue ich zu, dass zu seinen strategischen Überlegungen für die Sporthilfe schon zu der Zeit gehörte, diese Organisation auch medial auf ein neues Level zu heben, wie und mit wem auch immer. Die Sporthilfe als Athleten-Agentur, nicht mehr als Sozialwerk des Sports, so wie unter Neckermann – dieses Bild hatte er von Beginn an vor Augen, entsprechend ging er die Restrukturierung an, unterstützt von einem stetig wachsenden Netzwerk aus Vertretern von Sport, Wirtschaft und Politik.

Ich erlebte Ilgner 2006 als einen Mann, der so anders war als alle Personen und Persönlichkeiten, die ich bis dahin mit der Sporthilfe in Verbindung gebracht hatte. Mein Porträt, so erzählte er mir lange nach der Veröffentlichung, habe er damals seine Mutter daheim in der Nähe von Schweinfurt gezeigt, woraufhin diese ausrief: „Woher kennt dieser Journalist dich schon so gut?“ Ich bin überzeugt, dass es die Klarheit, die Strukturiertheit und die Begeisterungsfähigkeit Ilgners waren, die mich beeindruckten und die den Artikel ausmachten. Ilgner hatte mir quasi den Kern des Beitrags über modernes Fundraising, verantwortliche Sportlerförderung und sein Rollenverständnis als Sport-Manager, in ausdrücklicher Abgrenzung zum „Sportfunktionär“, diktiert, ohne dass ich das so empfunden hätte.

Als Ende vergangenen Jahres sein Wechsel zur Deutschen Bank als Personal-Leiter mit Wirkung zum 1. März 2020 bekannt wurde, fiel mir unsere erste Begegnung wieder ein. Natürlich war ich von der großen Personalie auch überrumpelt; aber die Gründe, warum Bank-Chef Christian Sewing ihn geholt hat, liegen auf der Hand:  Einmal, weil Sewing, das war immer wieder zu erleben, Ilgner menschlich schätzt. Besonders aber, weil Ilgner für visionäres und strategische Denken sowie für überlegtes und kontrolliertes Handeln und nicht zuletzt für einen kompromisslosen, aber immer nachvollziehbaren Führungsstil steht. Mehr als einmal habe ich erlebt, dass wir nach einer Endlos-Sitzung auseinandergegangen sind, unzufrieden, weil ohne greifbares Ergebnis. Ilgner wollte jedoch nie den Kompromiss, sondern eine Optimal-Lösung. Lieber gedanklich eine weitere Runde drehen. Am nächsten Tag oder nach dem Wochenende kam Ilgner dann mit einer Idee, die uns nach vorne und schließlich ans Ziel brachte.

Von 1990 bis 1997 war Ilgner, Jahrgang 1971, Mitglied der deutschen Wasserball-Nationalmannschaft, teils als Kapitän, holte die Bronzemedaille bei der EM 1995, nahm an den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta teil. Mit 27 Jahren beendete er die Karriere, ein klarer Schnitt.  Leistungssport, so sein Credo, gehe nicht mit halber Kraft, und er wollte sich auch in neuen Sphären etablieren. Was ihn nicht daran hinderte, in den 2000er Jahren erfolgreich Triathlon auf der Ironman-Distanz zu betreiben und bei der Masters-WM 2019 mit alten Wasserball-Weggefährten Zweiter zu werden.

Eine Erinnerung an seine aktive Zeit habe ich mehrmals von ihm gehört. Sie geht so: „Bei Olympia 1996 in Atlanta haben wir auf den Einmarsch bei der Eröffnungsfeier verzichtet, um für unser Auftaktspiel fit zu sein. Dann haben wir im Olympischen Dorf vor dem Fernseher gesessen, etwas traurig, und unsere Gegner vom folgenden Tag, die Spanier, im Stadion gesehen. Und was passierte dann? Die Spanier, voller Energie und Motivation, haben uns am nächsten Tag an die Wand gespielt. Ich kann heutigen und kommenden Athleten nur wünschen, dass sie die Chance wahrnehmen können, an einer Olympischen Eröffnungsfeier teilzunehmen.“

Schon aus dieser Episode ist seine Empathie für die und seine Nähe zu den Athleten herauszulesen, was einen Großteil seines Erfolgs als Sporthilfe-Chefs ausgemacht hat. Ilgner war immer und überall ansprechbar für Athletinnen und Athleten und hat ihnen jederzeit das Gefühl vermittelt, dass sie und nur sie im Mittelpunkt der Sporthilfe-Arbeit stehen. Beim Ball des Sports hat Ilgner sie stets in den Fokus gerückt – und natürlich die Förderer, ohne deren Geld alles nichts wäre. Sponsoren und Partner dürften aber nie wichtiger erscheinen als die Aktiven, als die Medaillengewinner und Talente, dies war immer der Arbeitsauftrag an das Sporthilfe-Team.

Vor der Sporthilfe-Zeit gehörte er zur Berater-Welt. Der mit einem mathematischen Thema promovierte Wirtschaftsingenieur stieg in die Geschäftsleitung der internationalen Strategie- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton auf. Eine Position im Sport schien weit weg, als verschiedene Umstände zusammenkamen. Seine Familie wuchs, er ist heute dreifacher Vater. Und die Belastung als Berater mit ständigen Abwesenheiten passte dazu immer weniger. 2004 und 2005 leitete er bei Booz Allen Hamilton ein Pro-bono-Projektteam, das mit dem damaligen Sporthilfe-Vorstand wirtschaftliche Perspektiven und künftige Finanzierungsmöglichkeiten auslotete. Es ging letztlich um den Beweis, dass die Sporthilfe entgegen mancher „Experten-Meinung“ doch eine gute Vermarktungschance habe, also nicht auf immer und ewig die Neckermannsche Bettler-Truppe bleiben müsse. Am Ende wechselte er von München nach Frankfurt, um die Umsetzung des eigenen Plans selbst zu steuern.

Der Sporthilfe eng verbundene Wirtschaftsmanager wie Hans Wilhelm Gäb, Werner E. Klatten, Jürgen Hubbert – und eben Ilgner – setzten bis Anfang 2010 eine neue Struktur durch, mit einem hauptamtlichen Vorstand, dessen Vorsitz Ilgner übernahm, und mit ehrenamtlichen Kontroll- und Beratungsgremien: Aufsichtsrat, Stiftungsrat und Kuratorium. Schaut man sich im Übrigen einmal die strukturelle Entwicklung des DOSB und der DFL an, dann sieht man: Die Sporthilfe hat da oder dort durchaus als Vorbild gedient. Dass sich die Sportmanager Christian Seifert (Chef der DFL) und Ilgner freundschaftlich eng verbunden sind, passt dazu. Auf Seiten des DOSB, das nur am Rande, suchte Ilgner keine Freundschaften. Mit seinem Namensvetter Michael (Vesper), dem früheren Generaldirektor, pflegte er aber ein konstruktives Zusammenspiel, das bei allem Dissens im Detail von gemeinsamen (hohen) Zielen gekennzeichnet war.

Die direkte Athletenförderung des Bundes seit 2018 wäre ohne Ilgners (sport-)politisches Geschick und ohne seine beharrlichen Verhandlungen auch mit dem DOSB nicht denkbar. Beim Thema Glücksspiel (Sportlotterie und Sieger-Chance) haben Ilgner/Vesper ebenfalls vieles auf den Weg gebracht. Ilgner steht für nicht weniger als für den radikalen Umbau der Sporthilfe, von der mäzenatisch orientierten Non-Profit-Institution der sechziger Jahre zu einer professionellen Fundraising-Organisation, die mit ihren Programmen, Studien und Kampagnen („Leistung, Fairplay, Miteinander“) öffentlichkeitswirksame Zeichen setzt.

Bei der Verabschiedung Ilgners im Februar sagte Christian Seifert, früher habe die Sporthilfe nur für die Sportbriefmarken gestanden (aus deren sinkenden Erlösen sie sich aber immer weniger finanzieren konnte). „Heute ist sie selbst eine Marke“, so Seifert anerkennend. Man muss die namhaften Förderer aus der DAX-Riege gar nicht alle nennen, um sagen zu können: Die Sporthilfe spielt in der ersten Vermarktungs-Liga mit. Damit verbunden war die Erhöhung der durchschnittlichen monatlichen Förderleistungen für Athleten von etwa 220 Euro im Jahr 2010 auf zuletzt rund 950 Euro. Ilgner hatte dazu einige Sätze, die sich in vielen seiner Interviews finden: „Wir sind für die Sportler ein Fels in der Brandung. Die Sporthilfe steht unabhängig von Vermarktungserfolgen, von Popularität und Marktmechanismen zu den Sportlern, oft über lange Jahre. Philosophie muss auch für die Wirtschaft sein, ein verlässlicher Karrierebegleiter zu sein, gerade in der Verbindung von Studium, Berufsausbildung und Spitzensport.“

Ilgners Nachfolger, der frühere Industrie-Manager Thomas Berlemann (u.a. Telekom), war ebenfalls Wasserballer. Ein gutes Zeichen? Die Zukunftsfragen lauten, ob der bisherige Kurs nur gut genug weiterverfolgt werden muss, um den Stellenwert der Sporthilfe zu erhalten – oder ob, wegen und nach Corona, wieder einschneidende Veränderungsprozesse erforderlich sind? Ilgners permanentes Change-Management hat dem Sporthilfe-Team immer alles abverlangt. Aber er ist genau deshalb sehr erfolgreich gewesen.

Fotos: Picture Alliance / Sven Simon / Poolfoto und Deutsche Sporthilfe (Porträt)

Jörg Hahn: Von 2012 bis 2017 Kommunikationsdirektor der Deutschen Sporthilfe, davor F.A.Z.-Sportchef. Heute Autor, Mediator und Berater. 1980 mit der TSG Sulzbach deutscher Vizemeister Basketball-A-Junioren (hinter Bayer Leverkusen, vor Hagen und Bamberg!)

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