Im Zweifel zählt das Geld: Die Bundesliga spielt – und die Amateure sind isoliert
von Harald Stenger [ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT | WIRTSCHAFT]
„Jaaaaaaaa – die Bundesliga ist bald wieder da!“ Die Botschaft war unübersehbar. Sky hatte Mitte April eine ganzseitige Anzeige in Bild geschaltet: In großen roten Lettern und durch das lang gezogene Ja wurde jubilierend den Fußball-Fans – sicherlich symbolisch zu verstehen – auf elf Zeilen mitgeteilt, was bald passieren wird. Und am 16. Mai rollte dann auch wieder Ball – die konzertierte Aktion von Politik-Prominenz und DFL, von den Medien-Giganten Sky und Bild führte zum gewünschten Ergebnis, nicht von allen so überschwänglich gefeiert wie von den Machern des Re-Starts selbst.
Verständlicherweise schieden sich in der Corona-Krise die Geister an der Rolle der Fußball-Strippenzieher, ihren wichtigsten TV- und Print-Medienpartnern sowie dem Minister-Trio Söder/Laschet/Spahn. Denn in unserer Gesellschaft gab und gibt es bis heute unterschiedliche Positionen zu vielen markanten Entscheidungen in dieser Zeit. Doch so konträr die Argumente in Sachen Bundesliga-Re-Start sind, ohne Wenn und Aber muss Christian Seifert und seinem Team bescheinigt werden: Mit konsequenter und umfassender Lobby-Arbeit stellte sich die DFL-Führung gleichermaßen gekonnt wie effizient in den Dienst der 36 Profi-Vereine, von denen etwa ein Drittel durch das Ausbleiben der TV-Gelder in der Corona-Spielpause um die Existenz kämpften. So gesehen gibt es im Vergleich mit anderen in Not geratenen Sportarten und Ligen eigentlich keine Alternative: Christian Seifert müsste in Deutschland bei allen Sportmanager-Wahlen des Jahres – zusätzlich auf Grund seiner wieder einmal erfolgreichen Vermarktungsabschlüsse für die TV-Rechte der Bundesligen bis 2025 – als Nummer 1 gewählt werden, und das mit klaren Vorsprung.
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille: Beängstigend, ja alarmierend sind die Folgen, die die Corona-Krise dem Amateurfußball bescherte. Die Basis der angeblich schönsten „Nebensache der Welt“ kann sich zwar darüber freuen, dass sie von jeher immer wieder in Sonntagsreden gefeiert wird ob ihrer Bedeutung für das große Ganze, im Frühjahr anno 2020 musste sie allerdings schmerzhaft erleben, de facto nur ein Anhängsel des „großen Bruders“ Profi(t)-Sport zu sein. Und das gleiche gilt für die viel gepriesenen Fans, die mit unterschiedlichen Reaktionen zur Kenntnis nehmen mussten, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes außen vor sind, wenn es der Liga im Zweifelsfall nur um das Geld geht. Trotz teils massiver Kritik an dieser Entwicklung blieb der großen Schar der Enttäuschten nichts anderes übrig, als zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass es im Überlebenskampf der Bundesliga zunächst fernab von Emotionen primär um die Realisierung der TV-Show in den Stadien geht, ja gehen muss, wenn das knallharte Fußball-Geschäft keinen Kollaps erleiden soll.
Es bleibt die Frage, welche kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen diese Konstellation hat. Fakt ist: Der Amateurfußball, ohnehin schon ein Sorgenkind und in der Gunst des Publikums stark gesunken im Laufe der Jahre, ist zusätzlich in den Hintergrund und stark in Vergessenheit geraten. Das ist natürlich in Corona-Zeiten, in denen mehr denn je über Werte unserer Gesellschaft geredet wurde, höchst bedauerlich, aber irgendwie auch nicht abzuwenden gewesen. Denn bei der Bedeutung von „social distancing“ rutschte der Amateurfußball zusätzlich in die Isolation und gehörte somit automatisch zum Kreis der Verlierer, die das übergeordnete Interesse von restriktiven Maßnahmen akzeptieren mussten.
Sicherlich gibt es Kritiker, die hier zu Recht nach der Rolle des 7,17 Millionen Mitglieder zählenden DFB als Dachverband des Frauen-, Amateur- und Jugendfußballs fragen. Doch bei genauem Betrachten der diffizilen Verhältnisse in schwierigen Zeiten inklusive der föderalen Strukturen in Politik und auch Fußball ist es nicht verwunderlich, resignierend feststellen zu müssen, dass eventuell in Details manches in Zusammenarbeit mit den 21 Landesverbänden besser zu machen, aber in der Gesamtschau keine erfolgreichen Weichenstellungen der spektakulären Art zu realisieren gewesen wären.
Das höchste Traurige: Gerade mitten in großen und schwierigen Herausforderungen für unsere Gesellschaft ist der Amateurfußball als „Kitt im alltäglichen Leben“ ein Totalausfall und zudem sind seine Perspektiven für die kommenden Monate eher düster. Und damit bleiben viele enorm wichtige Werte für friedliches und respektvolles Miteinander auf der Strecke. Denn das Engagement für Integration und gegen Rassismus plus andere Fehlentwicklungen ist ungeachtet des Lamentierens über vielfältige Probleme an der Basis trotz mancher Defizite im Alltag der 24.481 Vereine und 145.084 Mannschaften noch immer ein wesentliches Qualitäts-Kennzeichen des Amateurfußballs. Das muss gerade jetzt in einer solch frustrierenden Phase für alle Beteiligten mit Nachdruck betont werden.
Eine von vielen spannenden Fragen in diesem Zusammenhang ist, was alle Protagonisten des Profi-Metiers aus der aktuellen Situation gelernt haben, im Blick auf Korrekturen in den eigenen Reihen und ihr Verantwortungsgefühl für die „kleinen Amateure“, aber auch das Miteinander mit den Fans und grundsätzliche Finanz-Entwicklungen. Frühzeitig wurde von der DFL kundgetan, dass dafür eine hochkarätig besetzte „Task force“ gegründet werden soll. So hoffnungsvoll das klingen mag, die Vorwürfe, dass hier mutig-scheinheilig agiert wird, sind durchaus verständlich. Denn die Fehlentwicklungen, die Christian Seifert angeblich erst in den Corona-Wochen entdeckt hat, sind im Gegensatz zu seinen Aussagen alles andere als neu und die schleichend negative Entwicklungen bei gravierenden Profi(t)-Auswüchsen werden von aufmerksamen Beobachtern schon seit längerem registriert. Und genauso sind die salbungsvollen Worte von DFB-Präsident Fritz Keller einzustufen, wenn er „eine Entfremdung von der Basis“ beklagt. Um es unmissverständlich auf den Punkt zu bringen: Taten statt „Fußball-Sprech“ werden in Zukunft gefragt sein, zumal gerade Seifert bis zur Corona-Krise bei couragierten Hinweisen auf fragwürdige Phänomene im Profi(t)-Fußball massiv widersprach mit Hinweis auf die ständigen Bundesliga-Rekordzahlen in fast allen Bereichen.
Der FC Schalke 04 ist gerade in dieser Diskussion ein Musterbeispiel dafür, dass manch vermeintliches Aushängeschild der Bundesliga die Zeichen der Zeit noch immer nicht verstanden hat. Die von den Ticket-Käufern geforderten Härtefall-Anträge, um die ihnen gesetzlich zustehenden Rückzahlungen zeitnah zu erhalten, haben dem selbst ernannten „Kumpelklub“ viel Ärger bereitet. Von seiner besten Seite zeigte sich dagegen Bayern München: Eine Summe von 460.000 Euro wurde an die 18 Verein der Regionalliga Bayern und den Bayerischen Landessportverband gespendet. Es ist der Betrag, der durch den Verzicht von Zuschauern auf die Rückerstattung ihrer für die Allianz Arena gekauften Tickets zustande kam.
Zum Abschluss eine süffisante und persönliche Bemerkung: Ich freue mich auf ein weiteres Interview 2021 von Moderator Claus Kleber im „heute journal“ mit Christian Seifert. Der DFL-Sprecher erklärte am 23. April 2020 im Zuge der Diskussionen über den Re-Start der Bundesliga dem ZDF-Mann mit Inbrunst, wie wichtig es sei, Innovationen und Reformen zu in der Corona-Krise entdeckten Mängeln im deutschen Fußball voranzutreiben. Klebers Antwort: „Dann sollten wir uns gleich für nächstes Jahr verabreden, um zu sehen, was Sie verändert haben.“
Auch ich bin gespannt auf das, was Seifert dann Neues und Bemerkenswertes erzählen wird.
Fotos: Beitragsfoto – Picture Alliance / Martin Meissner / dpa, Porträt Harald Stenger – Harald Stenger
Der gebürtige Frankfurter Harald Stenger hat über Jahrzehnte die Fußball-Landschaft in Deutschland mitgestaltet. Als Journalist der Frankfurter Rundschau, deren Fussballchef er von 1990 bis 2001 war, und danach als Mediendirektor des Deutschen Fußball-Bundes und Pressesprecher der Nationalmannschaft. Seit sein Vertrag beim DFB 2012 nicht verlängert wurde, begleitet Harald Stenger den Fußball mit seinem kritischen Blick, der aber stets die Liebe zu seinem Sport erkennen lässt. Gesellschaftlich engagiert ist Harald Stenger in der Schlappekicker-Aktion der Frankfurter Rundschau.
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