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Olympia ist vorbei. Wie viel Olympia wollen wir künftig?

Au revoir! Die Spiele in Paris sind Geschichte. Eine in weiten Teilen schöne Geschichte. Die Magie des Sports kann sich noch immer entfalten. Dabei war und ist nicht viel Raum für Unbeschwertheit in Zeiten wie diesen. Eine deutsche Bewerbung? Nur, wenn sie ernst gemeint ist und richtig angepackt wird. Ein gedanklicher Streifzug durch die vielen Aspekte Olympias.

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Von Frank Schneller

 

Voilà: Das waren überwiegend unterhaltsame, schöne Spiele. So heiter Olympische Spiele sein können im Kontext von Krisen, Bedrohungen, gespaltenen Gesellschaften und Kriegen. Zumindest boten sie eine willkommene Abwechslung zwischen all den schlimmen Bildern und Nachrichten überall auf der Welt. Und Paris war mehr als eine Ablenkung.

Bei aller Geschäftemacherei, bei allem, womit man das IOC (zurecht) assoziiert, bei aller Bigotterie rund ums Thema Doping oder im Umgang mit der Gender-Diskussion – der Sport hat einmal mehr bewiesen, dass er durchaus Kraft hat. Noch immer. Dass er wie Musik und Kunst Menschen verbinden kann. Mitunter viel besser, als es Politik und Diplomatie vermögen. Da gab es tolle Szenen, Momente, Gesten. Ausgestreckte Hände. Umarmungen. Empathie. Bei aller Rivalität. Das alles weckt die Vorfreude auf die bevorstehenden Paralympics. Noch mehr Sport! Noch mehr Begeisterung! Noch mehr Miteinander im Gegeneinander.

Paris hat es einmal mehr verdeutlicht: Der olympische Gedanke ist lebendig und wertvoll. Es kommt freilich darauf an, wie man ihn auslegt. Dass Deutschland plötzlich doch wieder Olympische Spiele ausrichten will, hat im Zuge der Paris-Euphorie Bundesinnenministerin Nancy Faeser nun also kundgetan. Ihre Delegation indes blieb in allem vage. Wann? 2036 oder 2040? Wo? Berlin, Hamburg, München, Leipzig? NRW? Und wie? Wird die Bevölkerung eingebunden in den Entscheid? Mal sehen.

Der Medaillensatz von Paris: Ist die Farbe nicht so wichtig?

 

Wie ernst ist es der Politik mit Olympia? Mit dem Sport?

Das alles werde im nächsten Schritt präzisiert. Immerhin: Die Absichtserklärung wurde schriftlich festgehalten. Bühnenreif. Medienwirksam. Dennoch, siehe oben, bleibt zunächst so vieles undeutlich. Und – mit Verlaub – unrealistisch, stimmen die kolportierten Zahlen, mit denen die Bundesregierung den Bewerbungsmotor anschmeißen möchte. Zu den 1,8 Millionen Euro des DOSB will sie weitere sieben Millionen hinblättern. Sieben Millionen? Wie ernst gemeint, möchte man da fragen, ist also die Absichtserklärung, Olympia nach Deutschland zu holen?

Bei aller kurzfristigen Freude über die vom Sport lang ersehnten Signale aus der Politik muss man erst einmal sehen: Der schon etwas populistisch anmutende Auftritt von Faeser und Co. wirkte wie ein Schnellschuss. Hat er Substanz? Es bleibt abzuwarten, was aus der Grundsatzvereinbarung wird. Vor allem, wenn es um die Verträge mit dem IOC geht, sei einem deutschen Bewerbungsteam dringend dazu geraten, nicht von vornherein Freifahrtscheine auszustellen. Zu sehr diktiert die Riege aus Lausanne, wie das abzulaufen hat mit Sponsoren, Steuern – besser: Steuerbefreiung im eigenen Interesse – und minimalen Gewinnbeteiligungen für Aktive und Förderer. Das wird sich auch nach dem Abschied von IOC-Präsident Bach unter der Ägide seines Nachfolgers nicht ändern.

Olympische Spiele in Deutschland? Wäre super. Wunderbar. Und so wichtig. Um jeden Preis? Nein. Man muss es richtig anpacken, schon zu oft fühlte sich die Bevölkerung nicht genug informiert von den angeblichen ‚Machern‘ in Politik und Sport.

Mission Possible: US-Filmstar Tom Cruise holte die Olympische Fahne am Ende der Abschlussfeier aus Paris ab und brachte sie symbolisch nach Kalifornien. Links: US-Superturnerin Simone Biles und Los Angeles’ Bürgermeisterin Karen Bass.

 

Welcher Spirit soll sich in Sportdeutschland durchsetzen?

Transparenz ist unabdingbar. Zu schlecht sind die großen Weltverbände wie IOC und FIFA oder auch UEFA gelitten bei den Menschen. Zu groß ist die Gefahr falscher Vorstellungen. Deutschland kann große Events, heißt es immer. Aber Olympia ist eine eigene Dimension. Das ist keine Handball-EM, nicht mal die Fußball-EM hat annähernd olympische Ausmaße.

Spannend ist die Debatte um eine weitere Bewerbung nicht zuletzt auch deshalb, weil sich unsere Gesellschaft im Zuge dessen zudem mit den Themen Leistung, Leistungsgedanke, Leistungssport, und dessen Förderung auseinandersetzen müsste. Sich gerade machen müsste. Und eine gesunde Haltung zur Frage einnehmen müsste, wie ‚Erfolg‘ denn nun definiert werden soll.

Wie oft – und das mag als Hinweis auf die Hintergründe unerfüllter Medaillenquoten durchaus herhalten – hieß es, deutsche Athletinnen und Athleten hätten nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen. Also, grämt Euch nicht. Ist das der neue Sound? Der neue Spirit? Wohlgemerkt: in einem Finale stehend. Team gegen Team. Athletin gegen Athletin. Athlet gegen Athlet. Diese ‚Alles-nicht-so-wichtig‘-Haltung, mag man begrüßen, wenn man der Meinung ist, es herrsche zu viel Leistungsdruck. Man kann sie aber auch hinterfragen, weil man die Auffassung vertritt, der neuen deutschen Wurstigkeit sollte endlich einmal entgegenwirkt werden. Sonst machen die Diskussionen um Sportförderung und Medaillenquoten wenig Sinn.

Also: Lasst bitte die Aktiven ihre Enttäuschung nach einem verlorenen Endspiel oder Endkampf er- und ausleben. Wer ein Finale mit mehreren Startern erreicht, über 100m beispielsweise, sei es auf der Bahn oder im Becken, der kann Silber gewinnen. Wer aber ein Finale in Form eines Duells zwischen zwei Parteien erreicht, hat schon Silber. Wer es dann verliert, gewinnt nicht Silber. Sondern verliert zunächst einmal Gold. Und so fühlt es sich eben auch an. Darüber kann und muss man sich in den Momenten danach erst mal nicht freuen. Der Stolz kommt gewiss später. Der spontane Frust aber hat auch seine Berechtigung. Er ist wichtig. Wer keinen (Leistungs-)Sport betrieben hat oder betreibt, kann das womöglich nicht nachempfinden.

 

Spitzensport, Olympia – Lippenbekenntnisse reichen nicht

Andererseits sind doch alle Aktiven, die bei Olympia ihre persönlich beste Leistung abrufen – ohne unerlaubte Hilfsmittel – große Gewinner. Sie sind wahre Champions, unabhängig von der Platzierung oder einer Medaille. Ihnen gebührt größte Hochachtung. Sie sind Vorbilder, auch für die Lebenslagen abseits von Sportstätten.

Sport ist mitunter ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Sport bleibt wichtig. Breitensport sowieso. Aber auch der Spitzensport. Die Spiele von Paris haben es uns vorgeführt: Auch wenn man ihn nicht über Gebühr politisieren darf – er ist ohnehin politisch, zwangsläufig sogar –, sollte sich ihm die Politik hierzulande wieder deutlich mehr zuwenden. Ein paar Besuche des Kanzlers in Paris reichen dafür nicht aus. Und auch nicht der Reflex, was in Paris so toll war, wolle man nun doch auch selbst haben. Ein Letter of Intent ist nur ein Anfang. Mehr nicht. Echte Bekenntnisse sind entscheidend. Noch sind wir Zaungast, wenn’s um die Spiele geht. In diesem Sinne:

Au revoir, Paris. Hello, Los Angeles. Mögen die USA in vier Jahren noch eine Demokratie sein, wenn dort die Spiele stattfinden – und die Welt eine bessere als sie es gerade ist.

 

Frank Schneller (55), Sportjournalist und Themenproduzent aus Hamburg. Seine Laufbahn begann Frank Schneller beim SportInformationsDienst, arbeitete dann viele Jahre in der Redaktion der Sport-Bild. Seit 2001 arbeitet Schneller als Freelancer und ist seit 2011 Leiter des Reporter- und Dienstleister-Netzwerks Medienmannschaft.

One thought

  • Wie wär´s mit einer Nummer kleiner – doch glaubwürdiger und ernsthaft ?
    München und Garmisch-Partenkirchen lassen grüssen…

    Tatsächlich können wir befürchten, daß die kommenden XXXIV. Olympischen Sommerspiele in Los Angeles noch mehr als jene von 1984 zu einer Hollywood-Kulisse mit dementsprechenden Unterhaltungs-Sponsoren verkommen. Tom Cruise mit der benzinlastigen ´Harley`traumhaft durch Paris, und dann mit dem CO 2 -Flieger nach Übersee zurück: Ein Sinnbild für den heutigen Leistungssport im Sinne des Veranstalters, welcher groß angekündigt auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit setzt bzw. setzen will ?
    ´The show must go on`. Ja, schön, wenn da wie in der ´Stadt der Liebe` ein Olympionike einer Olympionikin vor laufenden TV- Kamera einen Heiratsantrag macht. Aber gar nicht schön, wenn die Vollprofi- und Showtruppe des U.S.-Basketballteams schon zehn Mal hintereinander das Turnier gewinnt.
    Wenn Deutschland wieder Olympische Spiele haben will, dann sollte das I.O.C. dazu veranlasst werden, solchen Unsinn mit megabezahlten Berufs-Sportlern zu unterlassen (z.B. durch Altersbegrenzungen) und das Doping-Überwachungssystem zu vervollständigen (z.B. wer nicht (ohne Voranmeldung) getestet wurde, kann auch nicht teilnehmen) und wer – zu deutsch: ein ´Zwitter` ist, findet bestimmt noch andernorts Möglichkeiten, sich sportlich zu messen.
    Eine gelungene Kombination für die Bewerbung 2036 (spätere Termine sind zu spät, weil dazu gescheiterte Bewerberstädte nachrangig für 2040 bevorzugt werden !) wäre das heitere München und Garmisch-Partenkirchen (Olympisches Dorf in der Mitte von beiden Stätten als Ferien- bzw. Tinyhaus-Siedlung am Starnberger See – auf sich auch einige Segelwettbewerbe austragen lassen), wo sich Surfen auf der Isar im Englischen Garten, Skateboard auf dem schön geschwungenen Olympiapark oder Breaking auf dem ´Königsplatz`, ganz abgesehen von den Reitwettbewerben im Park von Schloss Nymphenburg, und Wildwasserkajak in der Partnach, Bouldern, Mountainbike (z.B. in und rund um das Skisprung-Stadion) u.ä. Disziplinen jetzt schon grandios in natürlicher Umgebung erleben lassen.
    Der Ort unter der Zugspitze würde zudem für seine entgangene Olympiabewerbung für 2018 entschädigt. Und die Erinnerung an die politisch braun geschwängerten, in Garmisch-Partenkirchen jedoch schneeweißen Winterspiele 1936 in anderem Licht erscheinen, wenn Historiker und Politiker aus aller Welt sich bei wissenschaftlichen Kongressen die Hand reichen. Eine Art ´Münchner Sicherheits-Konferenz`…
    ´Sport` muss jedoch ´Sport` bleiben, und wie der Autor richtig betont: Es geht um´s beste und faire Kämpfen, und nicht unbedingt gewinnen wollen. Kämpfen auch mit sich selbst und damit seinen Charakter verfeinern. Wenn´s weh tut, dann sind Schmerzen Grenzen und Anlaß, immer wieder erneut zu üben. Übung macht den Meister !
    Vergessen wir – vorerst – daß das Internationale Olympische Komitee (I.O.C.) schon kommendes Jahr die ´Olympischen-E-Sport-Games` in Saudi-Arabien (kein Schelm, wer böses dabei denkt…) abhalten wird.
    Kristina Vogel, zweifache Bahnrad-Olympiasiegerin, meinte bei ihrem Abschluss-Kommentar zu Olympia in Paris im ZDF: “Es ärgert mich, wenn das I.O.C. das alleinige Vertretungsrecht für Olympische Spiele beansprucht. Wir sollten mutiger auftreten, und es selbst versuchen. Ich denke da an die European-Championships 2023. Olympia kann auch eine Nummer kleiner sein !”
    Also: ´Jugend der Welt`- Smartphones aus den Händen und ran bzw: Run !

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