Vereinskultur findet man nicht nur auf dem Spielfeld
Egal, um welche Mannschaftssportart es sich handelt: Vor jeder neuen Saison haben Trainer die Aufgabe, ihre Teams zu entwickeln und fit zu machen. Oft sind neue Gesichter nötig, um die Truppe zu verbessern. Eine neue Vision mit Leben zu erfüllen. Was aber, wenn ein ganzer Verein einen Imagewandel zum Ziel hat – und die neuen Werte überall erkennbar werden sollen? Ein Interview mit dem neuen Vorstand der MT Melsungen aus der Handball-Bundesliga.
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Von Frank Schneller
Olympisches Feuer: Als wir um dieses Interview baten, signalisierten Sie, es zu dritt führen zu wollen. Das ist, mit Verlaub, eher ungewöhnlich.
Andreas Mohr: Es entspricht dem neuen Ansatz, dem neuen Selbstverständnis der MT: Teamwork wird bei uns auch auf der Geschäftsstelle und im Vorstand großgeschrieben.
Axel Renner: Andreas Walde, der mittlerweile in den Aufsichtsrat gewechselt ist, hat als Interims-Vorstand sehr viel Wert darauf gelegt, dass sich eine neue Unternehmenskultur bei uns entwickelt. Wir setzen das gerne fort.
Olympisches Feuer: Die Veränderungen abseits des Spielfelds, laufen vergleichsweise mehr im Hintergrund ab. Würden Sie zustimmen?
Axel Renner: Durchaus. Und das ist sogar gewollt. Wir wollen weniger ankündigen und große Ziele präsentieren, sondern liefern. Dies ist Teil unserer Philosophie, die wir nun Schritt für Schritt mit Leben ausfüllen wollen.
Andreas Mohr: Wir befinden uns in einer Art Reifeprozess. Die Findungsphase liegt weitestgehend hinter uns.
Axel Renner: Genau, wir haben uns im Zuge der personellen Veränderungen, die es 2023 auf Entscheider-Ebene gegeben hat, sehr intensiv und offen mit der Frage beschäftigt, wofür wir eigentlich stehen wollen. Als Verein. Als Gemeinschaft. Es geht um unsere Identität …
Michael Allendorf: … natürlich auch im sportlichen Sinne, wo wir mehr Kontinuität und Transparenz anstreben. Und selbstredend weitere Schritte nach vorne machen wollen. Tabellarisch, spielerisch. In Sachen Kaderzusammenstellung. Wir wollen organischer wachsen. Dazu gehört aber auch das Umfeld drum herum, die ‚Denke‘.
Andreas Mohr: Wir haben neue Ziele formuliert – auf allen Ebenen, nicht nur mit Blick auf die Profimannschaft. Wir sind ein Faktor in der Region Nordhessen, rund um unseren Spielort Kassel und unseren Heimatort Melsungen. Zusammen mit den Husskies sind wir der größte, hochklassigste Sportverein im Einzugsgebiet. Damit einher geht Verantwortung. Diese wurden auch in der Vergangenheit stark akzentuiert – sie soll künftig aber noch mehr unser Handeln leiten. Dabei ist entscheidend, dass wir unsere Ziele intern anvisieren und erreichen. Weniger, dass wir uns mit öffentlichen Absichtserklärungen interessant machen wollen.
Michael Allendorf: Das gilt übrigens besonders für den sportlichen Bereich, wie bereits angedeutet: Wir wollen bei uns bleiben. Ich mag es, sich Ziele zu setzen und sie auch entsprechend zu artikulieren. Dabei ist es jedoch wichtiger, dass diese intern verfangen. Die Ziele müssen verinnerlicht werden – von allen. Und es muss klar sein, wie man sie erreicht. Ganz platt formuliert: Machen, nicht reden.
Olympisches Feuer: Können Sie dennoch die Ziele für die neue Saison konkretisieren?
Michael Allendorf: Wir wollen den nächsten Schritt machen. Besser: Die nächsten Schritte. Wir wollen, dass die Mannschaft weiter zusammenwächst, sich noch stabiler präsentiert und so oft wie möglich ihr Potenzial ausschöpft. Immer hungrig sein, an die eigene Leistungsgrenze gehen wollen, unsere Fans abholen – als Einheit. Gelingt das, werden wir auch eine richtig gute Rolle in der Liga spielen. Ich muss das im Vorfeld nicht an einem Tabellenplatz festmachen. Aber jeder darf ruhig wissen: Wir sind ambitioniert und haben noch einiges vor. Unser Trainer Roberto Garcia Parrondo hat das nach dem Pokalfinalwochenende in Köln sehr trefflich formuliert: Wir haben uns dort an drei Vereinen mit großer Historie und Vergangenheit gemessen. Im Finale haben wir gegen einen der ganz großen Traditionsvereine verloren. Wir wollen nun erst mal unsere eigene Geschichte schreiben, sie entwickeln, um dann wiederzukommen und auf Augenhöhe konkurrieren zu können.
Andreas Mohr: Mir gefällt Michaels Formulierung, dass wir bei uns bleiben wollen. Das trifft es gut und ist aus meiner Sicht zielführend und authentisch.
Axel Renner: Es geht um unsere DNA. Wir wurden über Jahre als ein überteuertes Team wahrgenommen. Große Visionen. Wenig Erfolg. Dieses Image ist natürlich nicht gerade angenehm. Das haben wir erkannt und verändern es. Dabei müssen und werden wir uns ein Stück weit unabhängiger machen vom sportlichen Geschehen.
Andreas Mohr: Wichtig ist, dass wir nicht nur anders wahrgenommen werden, sondern auch tatsächlich sind. Als der ‚Neue‘ von uns Dreien im Vorstand kann ich – unter anderem – dazu beitragen, dass aus mehreren Perspektiven zu beleuchten. Wir haben festgestellt: Die Konstellation – zwei Kollegen mit MT-Stallgeruch und Vergangenheit plus ein Quereinsteiger – ist effizient und inspirierend.
Olympisches Feuer: Ein Image-Wandel ist ohne sportlichen Erfolg dennoch kaum möglich, die Profis sind ja das Aushängeschild.
Michael Allendorf: Unbestritten! Zu Beginn der letzten Saison gelang der Mannschaft ein Traumstart. Von dem haben wir zugegebenermaßen lange gezehrt. Hinzu kam der Einzug ins Final Four. Allein das hat uns natürlich mehr Anerkennung beschert, das war wie ein Vorschuss auf unseren Kurswechsel. Nur war uns stets klar, dass es zu dem Zeitpunkt ein Momentum war, dass unser Sinneswandel als solcher nicht so durchgedrungen wäre, wenn es nicht diesen 14:0 Punkte-Start gegeben hätte. Aber: Spätestens mit dem wieder sehr positiven letzten Saisonviertel haben wir den Nachweis erbracht, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Axel Renner: Wir wollten uns davon nicht blenden lassen. Zu einem Kurswechsel gehört mehr – und diesbezüglich standen wir ja zum damaligen Zeitpunkt noch am Anfang. Heute sind wir schon ein sehr gutes Stück weiter. Wir legen Wert auf Nachhaltigkeit, in vielen Bereichen. Ökologisch. Sozial. Gesellschaftlich. In der Nachwuchsförderung. Es geht auch um Vereinskultur. Um Basisnähe und Bodenhaftung, regionalen Bezug und Sendungsbewusstsein. Das lässt sich nicht nur mit Abwehrarbeit, Angriffskonzepten oder Gegenstößen bewerkstelligen.
Olympisches Feuer: Sind das allesamt neue Werte und Ziele, die Sie da identifiziert haben?
Axel Renner: Nein. Wir haben mit Blick auf diese Themen kein schlechtes Gewissen. Wir identifizieren uns schon seit vielen Jahren sehr stark mit unserer Region, wir nehmen unsere soziale Verantwortung lebhaft wahr und kooperieren vielfältig mit unseren Partnern und den Vereinen im Umland. Aber wir werden uns in diesen Bereichen noch steigern. Die MT hat ein Herz. Es wird uns schlicht nicht gerecht, anders wahrgenommen zu werden, selbst wenn wir Fehler in der Vergangenheit gemacht haben.
Michael Allendorf: Nachdem wir diese in einem ausgiebigen Prozess parallel zum Bundesliga-Spielbetrieb ausgemacht haben, wollen wir nun nach vorne blicken. Nicht alle Fehler lassen sich rückgängig machen, aber wir können sagen: Wir haben daraus gelernt. Und lernen noch.
Olympisches Feuer: Große Ziele und Ankündigungen hat man aus Melsungen schon oft gehört. Wenn man mit Ihnen spricht, gewinnt man den Eindruck, dass es diesmal nicht nur um Visionen geht, sondern darum, handfeste Pläne umzusetzen. Was ist beim Blick nach vorne zu erkennen? Was ist die Gegenwart?
Andreas Mohr: Es trifft sich gut, diese beiden Fragen in einem zu beantworten: Eine ausgewogenere Personalpolitik, mehr Kontinuität, substanziellere Strategien, die nicht nur auf den schnellen Erfolg ausgerichtet sind. Und Mannschaften, die das verkörpern, was wir im Verein, auf der Geschäftsstelle, in den Gremien, in den Abteilungen leben und vorleben. Wir glauben zudem, dass wir schlanker wirtschaften und dennoch mehr erreichen können als in der Vergangenheit. Das erdet uns zusätzlich.
Olympisches Feuer: Klingt nach Etatkürzungen. Sofern diese Vermutung stimmt: Sind sie Ausdruck des selbst auferlegten Kurswechsels? Oder bedingt das eine das andere?
Andreas Mohr: Es muss unser Ziel sein, die Sponsorenzahl zu verbreitern und die Einnahmen auf diesem Feld entsprechend deutlich zu erhöhen. Gleichzeitig, das ist richtig, streben wir über die nächsten Jahre einen geringeren Spieler-Etat als in der Vergangenheit an, und zwar schon in einem Bereich um die 20 Prozent. Dennoch lässt uns dies genügend Spielraum, effiziente und erfolgreiche Kaderpolitik zu betreiben.
Michael Allendorf: Mehr noch: Wir müssen umsichtiger, strategisch besser zu Werke gehen als früher. Das holt mehr aus uns heraus. Stellen wir es richtig an, können wir trotz veränderter Kostenpolitik sportlich mehr bewirken als früher. Ein wichtiger Faktor ist Kontinuität. Die haben wir mit der Vertragsverlängerung unseres Trainers herbeigeführt – das ist die Basis. Auf dieser lässt sich entwickeln und gestalten. Davon sind wir alle überzeugt.
Andreas Mohr: Es gab da in der Vergangenheit erhebliches Verbesserungspotenzial. Michael hat diese Herausforderung bereits seit Amtsübernahme angenommen. Gleichzeitig ist auch klar: So eine Umorientierung ist nicht in ein, zwei Spielzeiten abgeschlossen.
Michael Allendorf: Wir wollen Spieler bei uns haben, die nicht primär des Gehalts wegen zu uns kommen – oder die wir anders gar nicht bekommen würden. Wir überprüfen ihre Motive, ihre Motivation, ihre Werte. Entscheidungsfindungen haben bei uns mittlerweile einen anderen Background. Gleichzeitig aber wollen wir uns auch nicht mehr rechtfertigen, wenn es dann doch wieder heißen sollte: Da muss Melsungen mal wieder viel mehr geboten haben. Man wird es mit der Zeit ja erkennen, dass es so eben nicht mehr ist. Dass andere Faktoren längst auch eine wichtige Rolle spielen – und die Prämisse hier bei uns längst lautet: Ein Team baut man nicht nur mit Geld.