Strippenzieher und Taktierer – der Machtkampf im DFB dokumentiert Uneinsichtigkeit und Skrupellosigkeit
von Harald Stenger (ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Die Endphase eines seit langem tobenden und ständig eskalierenden Machtkampfs im deutschen Fußball ist erreicht. Der Rücktritt von DFB-Präsident Fritz Keller ist nur noch Formsache. Die Anklage eines Präsidenten durch die unabhängige DFB-Ethikkommission vor dem Sportgericht nach dessen Beleidigung von Vizepräsident Rainer Koch durch einen Nazi-Vergleich ist ein Novum und Tiefpunkt in der nunmehr 121jährigen DFB-Historie. Derzeit spielt Keller bei der avisierten Erklärung zu seiner Zukunft jedoch noch auf Zeit, weil er offenkundig einige seiner Gegner mit in den Abgrund reißen will.
Nachdem die handlungsunwillige oder auch handlungsunfähige DFB-Ethikkommission ein klares Votum zu Ungunsten von Keller vermieden und die Entscheidung an die Juristen des Verbandes delegiert hat, sind daher das Sportgericht und parallel dazu der Vorstand, jeweils mit der Möglichkeit zur Berufung vor dem Sportgericht des DFB, die beiden Gremien, die die Entlassung Kellers ohne seine Zustimmung beschließen können.
Dass Keller vorerst nicht dazu breit ist, den alternativlosen Rückzug freiwillig zu verkünden, schädigt nicht nur weiter sein stark angeschlagenes Image , sondern er diskreditiert auch zusätzlich und fahrlässig eines der wichtigsten Ämter im gesellschaftlichen Leben unseres Landes, indem er sein Ego über alles andere stellt. Dazu heißt es informell in der Süddeutschen Zeitung vom 5. Mai: „Sollte der DFB-Vorstand schon zuvor (Anmerkung: also vor der Verhandlung des Sportgerichts) gegen alle vier Spitzenleute (Anmerkung: Keller, Koch, Osnabrügge und Curtius) votieren, gilt Kellers Rückzug als gesichert.“
Kellers Streben, mit dieser Strategie indirekt die Abrechnung mit seinen Widersachern zu verknüpfen, dokumentiert Uneinsichtigkeit und Skrupellosigkeit. Und damit stürzt er den DFB, der seit dem Ausbruch des Sommermärchen-Skandals 2015 ständig Negativ-Schlagzeilen produziert, noch stärker ins von Jahr zu Jahr ausufernde Chaos.
Um im Fußball-Jargon zu bleiben: Stand jetzt ist Fritz Keller de facto schon DFB-Geschichte, selbst wenn er sich verzweifelt an sein Amt klammert. Generalsekretär Friedrichs Curtius hat nach dem gegen ihn und Keller abgegebenen Misstrauens-Votum der Präsidenten der Regional- und Landesverbände ebenfalls keine Zukunft mehr und kokettiert mit seiner Bereitschaft zu Verhandlungen über die Auflösung seines Arbeitsvertrags gegen eine Abfindungssumme. Medial wird mit großer Mehrheit außerdem der Rücktritt von Rainer Koch gefordert, zu dem der erste DFB-Vizepräsident Amateure bisher nicht bereit ist. Und Schatzmeister Stephan Osnabrügge soll signalisiert haben, dass er im Herbst 2022 beim DFB-Bundestag nicht mehr kandidiert.
Die Causa Koch garantiert in diesem Zusammenhang zusätzlichen Zündstoff: Denn sein von den Medien propagierter Rücktritt per Votum der DFB- und DFL-Repräsentanten im Vorstand ist nicht so einfach zu realisieren. Die DFB-Satzung sieht für die sofortige Abwahl eines Präsidiums-Mitglieds nämlich als Kriterien „grobe Pflichtverletzung“ oder „Unwürdigkeit“ vor. Bei Keller ist der letzte der beiden Tatbestände erfüllt, zumal die mit dem DFB-Präsidenten bisher innigst sympathisierende und eng kooperierende DFL sich bereits von ihm wegen seines Nazi-Ausrasters distanziert hat und daher auch so klug sein wird, ihm bei der Abstimmung im DFB-Vorstand ebenso wie die Amateurverbände die rote Karte zu zeigen.
Doch bei Koch und auch Osnabrügge sieht das anders aus. Selbst die sportpolitische Verantwortung für allerlei DFB-Fehlentwicklungen seit 2015 deckt von den Satzungs-Vorgaben nicht ab, den 1. Vizepräsidenten Amateure oder Schatzmeister von ihrer Verantwortung mit einem Vorstands-Votum entbinden zu können. Lediglich bisher nicht vorliegende Erkenntnisse aus dem vom Präsidium in Auftrag gegebenen Esecon-Bericht zu gravierenden Verfehlungen von Koch und Osnabrügge könnte deren Gegnern helfen, um sie sofort aus dem Amt zu jagen. Mit Nachdruck muss hier aber nochmals betont werden: Es müssen von Esecon echt belastbare Argumente und Resultate geliefert werden für mit Sicherheit anstehende juristische Gefechte in der Berufung vor dem DFB-Bundesgericht.
Darüber hinaus gibt es im traurigen DFB-Theater anno 2021 viele Fragen zu vielen heiklen Themen, die alle im Beitrag „Welche Reizthemen den DFB beschäftigen“ erörtert werden. Stattdessen soll hier noch ein Aspekt in den Blickpunkt gerückt werden, der in den Diskussionen der jüngsten Vergangenheit höchstens mal marginal beleuchtet wird: Welche Rolle spielen in den aktuellen Auseinandersetzungen die Medien und die DFL? Sind die dort angesiedelten Profis im Gegensatz zu den Amateuren unter dem Dach des DFB wirklich, wie vielfach dargestellt, die einzig seriöse und kompetente Kraft im deutschen Fußball? Nein – so lautet ohne Wenn und Aber meine persönliche Antwort, selbst wenn das eine Minderheitenmeinung ist. Denn so wie der DFB spielt auch die DFL eine unrühmliche Rolle in diesem Dauerclinch, der eine Schande für alle im deutschen Fußball ist, bei Millionen Fans und den etwa 25.000 Vereinen mit ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern zu Recht mit Unverständnis gepaarte Empörung auslöst.
Über allem steht das Grundsatzthema, warum DFB- und DFL-Repräsentanten entgegen allen offiziellen Bekundungen seit langem leider in gegenseitiger Abneigung immer wieder in Sachfragen aneinander geraten, daraus persönliche Fehden entstehen und dadurch in brutaler Weise jede Seite mit allen Mitteln die andere schlecht aussehen lässt. Was die Brisanz in den vergangenen Monaten entscheidend verschärft hat, ist die Tatsache, also nicht die Vermutung, dass zuletzt viele der handelnden Personen beider Parteien einen Teil der Medien instrumentalisiert haben, um durch gezielte Indiskretionen eine öffentliche Stimmungsmache zu inszenieren und damit im Streit um enorm wichtige Sachfragen in ihrem Interesse zu punkten.
Den Startschuss zur neuesten Etappe im knallharten Schlagabtausch zwischen DFB und DFL gab Peter Peters am 17. Dezember 2020 in einem Kicker-Wortbeitrag mit der Überschrift „Fehlendes Miteinander in der Spitze“. Darin kritisierte der stellvertretende DFL-Präsidiumssprecher, vom DFB-Präsidium zuvor als deutscher Kandidat zur inzwischen erfolgten Wahl ins FIFA-Council vorgeschlagen, massiv die DFB-Führung und DFB-Generalsekretär Curtius, monierte die Zerrissenheit im DFB-Präsidium und betonte, sich nicht vorstellen zu können, dass sich das interne „Misstrauen wieder beseitigen lässt“. Einen Tag vor der DFB-Präsidiumssitzung am 15. Januar 2021, in dem von mehreren einflussreichen Journalisten eine Abstimmung prophezeit wurde, die das Ende der Zeit von Generalsekretär Curtius bedeutet, wurde dann – sicher alles andere als zufällig – in mehreren Medien die News lanciert, dass Curtius wegen angeblicher Weitergabe von vertraulichen Gesprächsinhalten bei DFL-Meetings künftig dort „persona non grata“ sei – ein Beschluss, der bereits am 18. Dezember 2020 von der DFL gefasst wurde. Kurios, dass die knapp einen Monat lang vertraulich behandelte Entscheidung just unmittelbar vor der mit Spannung erwarteten DFB-Präsidiumssitzung den Weg in die Öffentlichkeit fand. Weitere Facetten dieses „Glaubenskriegs“ einiger Meinungsmacher in großen Medienhäusern: Auffällig ist die im Zweifelsfall immer positive Berichterstattung über Curtius in der Bild-Zeitung oder die ausgeprägte Anti-Koch-Tendenz in Süddeutscher Zeitung und ZDF.
Fragt man bei DFB und DFL zur Beurteilung von „Durchstechereien“ in diesem Zusammenhang nach, ist die Antwort sinngemäß immer die gleiche: „Wir haben damit nichts zu tun, das sind die anderen.“ Und so werden eben – je nach Position – Generalsekretariat oder Präsidentenbüro beim DFB und die DFL-Zentrale als Quellen genannt, ohne dass das zu beweisen ist. Für Print-, online-, Funk- und TV-Journalisten ein optimales Terrain für Storys und Kommentierungen. Eine fragwürdige Rolle spielt dabei auch der Spiegel, der durch die angebliche Honorierung eines Mitarbeiters, der außerdem für die stolze Summe von 360.000 Euro für den DFB vorübergehend gearbeitet haben soll, ins Zwielicht geraten ist.
Das jüngste Beispiel für den nicht enden wollenden Dissens zwischen DFB- und DFL-Führungskräften ist die öffentliche und wortgewaltige Aufforderung von Christian Seifert an Rainer Koch, sich zu einem Spiegel-Bericht zu äußern, in dem über Seiferts künftige beruflichen Pläne spekuliert wird, zumindest aber im Text nicht zu lesen ist, dass Koch diese Infos verbreitet hat. Prompt kam vom attackierten Koch laut dpa und sid eine achtseitige Erwiderung, in dem er schrieb, die Seifert-Vorwürfe gegen ihn seien „frei erfunden“ und er erwarte eine Entschuldigung.
Was bleibt als aktuelles Fazit bei all diesen Impressionen? Es kursieren unterschiedlichste Gerüchte und Vorwürfe in den Medien, aber es werden keine sicheren und konkreten Beweise geliefert für diverse Behauptungen mit großer Tragweite in der ekelhaften Schlammschlacht zwischen DFB und DFL. Und garniert wird das Ganze dadurch, dass ein Strippenzieher und Taktierer dem anderen vorwirft er sei Strippenzieher und Taktierer, ein Multifunktionär dem anderen attestiert er sei Multifunktionär.
Deshalb liegt im Blick auf all das intrigante Geschehen eine Konsequenz nahe: Wenn die Mehrheit der DFB- und DFL-Repräsentanten den Kurs einschlägt, dass möglichst alle maßgeblichen Verantwortlichen im DFB-Präsidium zurücktreten sollen, dann bitte wirklich alle! Also auch der DFL-Mann Peter Peters, der neben vier DFB-Leuten schon längere Zeit dem Präsidialausschuss angehört, also dem geschäftsführenden DFB-Präsidium, das in eiligen grundsätzlichen Fällen alle wichtigen Entscheidungen absegnen muss. Zumal Peters außerdem hinter dem 2005 ins Amt gekommenen Christian Seifert und vor dem 2007 gewählten Rainer Koch das dienstälteste DFB-Präsidiums-Mitglied ist. Folglich gemeinsam mit ihnen erheblichen Anteil an all den Skandalen, Querelen und Fehlentscheidungen im deutschen Fußball seit 2015 hat.
Fotos: Beitragsbild: picture alliance/dpa | Boris Roessler | Text: picture alliance / SvenSimon | Anke Waelischmiller/SVEN SIMON picture alliance / dpa | Arne Dedert
Der gebürtige Frankfurter Harald Stenger hat über Jahrzehnte die Fußball-Landschaft in Deutschland mitgestaltet. Als Journalist der Frankfurter Rundschau, deren Fussballchef er von 1990 bis 2001 war, und danach als Mediendirektor des Deutschen Fußball-Bundes und Pressesprecher der Nationalmannschaft. Seit sein Vertrag beim DFB 2012 nicht verlängert wurde, begleitet Harald Stenger den Fußball mit seinem kritischen Blick, der aber stets die Liebe zu seinem Sport erkennen lässt. Gesellschaftlich engagiert ist Harald Stenger in der Schlappekicker-Aktion der Frankfurter Rundschau.