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Welche Reizthemen den DFB beschäftigen

von Harald Stenger [ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Der unabdingbare Rücktritt von DFB-Präsident Fritz Keller ist derzeit sicher das spannendste Reizthema, das den DFB beschäftigt und zu lösen ist. Im Blickpunkt stehen natürlich auch die aktuelle Situation der Männer-Nationalmannschaft, der Bau der 150 Millionen Euro teuren DFB-Akademie in Frankfurt und die Vorbereitung der EM 2024 in Deutschland. Doch ebenfalls gravierend sind andere Grundsatz-Probleme.

Im Folgenden einige Beispiele von drängenden Sachfragen, die von größter Bedeutung für die Zukunft des Fußballs in Deutschland sind: Wie kann der durch Corona einsetzte Mitgliederschwund aufgefangen werden? Wie und wann können Frauen und Männer, Kinder, Jugendliche und Erwachsene wieder in ihrem Verein dem Ball hinterherjagen? Wie ist dem Verdruss der Basis zu entgegnen, die darüber erbost ist, dass ihr viel Geld fehlt, das für Berater-Verträge der hohen DFB-Herren und bisher nicht sonderlich erfolgreiche Aufklärungs-Aufträge an teure Agenturen ausgegeben wurde? Da helfen auch markige Worte von Keller und Rainer Koch an die Adresse der Regierenden aller Parteien in Bund und Ländern nicht, dass sich die Fußballer in diesen schwierigen Zeiten von der Politik schlecht behandelt fühlen und die soziale Rolle des DFB nicht ausreichend gewürdigt wird.

Ein anderes Reizthema: In den Wolfsburger Nachrichten erschien in dieser Woche ein  Artikel unter der Überschrift „Partnerschaft paradox: VW zahlt, der DFB zerlegt sich selbst!“ Es ist ein klares Signal an den Arbeitgeber vieler Leser der Regionalzeitung und ein daraus resultierender, nicht zu unterschätzender Hinweis, wie die Meinung und Stimmung generell bei allen DFB-Sponsoren sein dürfte. VW soll beispielsweise für den seit 1. Januar 2019 gültigen Fünf-Jahres-Vertrag per anno 30 Millionen Euro zahlen. Was werden die Verantwortlichen des Mercedes-Nachfolgers auf dem DFB-Trikot und andere traditionelle Werbepartner wie adidas, Commerzbank oder Telekom sagen, wenn die nächsten Verhandlungen über die Verlängerung gut dotierter Verträge anstehen?

Seit 2019 ist Volkswagen Mobilitätspartner des DFB. FOTOMONTAGE. Archivfoto: Bundestrainer Joachim Löw und Thomas Müller.

Das nächste Reizthema: Vor der Inthronisierung von Fritz Keller am 19. September 2019 waren sich alle Beteiligten inklusive des neuen Präsidenten und der DFL-Oberen einig, dass die DFB-Satzung im Sinne professionellerer Strukturen und der Stärkung des Hauptamts sinnvoll zu ändern ist, und das geschah auch mit großer Mehrheit. Danach sollte Keller, durch die Innovation in den Medien eher als „Grüß-Gott-August“ abqualifiziert, stärker in der Rolle eines Moderators in vielfältiger Weise gefragt sein und die Richtlinien-Kompetenz seiner Vorgänger für alle Fragen wurde ihm nicht mehr eingeräumt. Doch längst wird diese Neuerung intern und extern wieder stark in Frage gestellt. Weil Keller permanent deutlich macht, dass ein Präsident für effektive Arbeit unbedingt erweiterte Entscheidungs-Befugnisse haben sollte.

Und ein weiteres Reizthema: Regelmäßig weist die DFL darauf hin, dass die DFB-Strukturen nicht mehr zeitgemäß sind. Dabei tritt erst am 1. Januar 2022 die komplette, gemeinsam verabschiedete und dann nach Gesprächen mit dem Finanzamt verschobene Reform in Kraft. Wurden zunächst vom DFB-Geschäftsbetrieb aus dem e. V. nur Marketing, IT und Events/Organisation in die GmbH ausgegliedert, folgen jetzt die dicken und spektakulären Brocken: Nationalmannschaften/Akademie (für dieses Vorzeige-Ressort wird Oliver Bierhoff die Geschäftsführung übernehmen) plus Spielbetrieb mit Länderspielen und DFB-Pokal der Frauen und Männer, Frauen-Bundesliga und 3. Liga der Männer. Separat ausgegliedert in eine GmbH werden nach heftigen Diskussionen außerdem die Elite-Schiedsrichter.

Die Arbeitsgebiete des DFB e. V. und dessen öffentlicher Stellenwert hören sich danach nicht mehr sonderlich attraktiv an. Die interessanten Arbeitsfelder sind u. a. sportliche Basisarbeit für Amateure und Nachwuchs, Soziales, Sportgerichtsbarkeit und Anti-Doping-Aktivitäten. Sollten nun wirklich, wie kolportiert, kurzfristig weitere DFL-Forderungen nach strukturellen Veränderungen und noch mehr DFL-Einflussnahme in den aus ihrer Sicht wichtigen DFB- Gremien kommen, könnte eine neue Zerreißprobe drohen.

Ein seit langem schon schwelendes Reizthema ist darüber hinaus der Grundlagenvertrag zwischen DFB und der DFL, der bis 30. Juni 2023 gültig ist. Er regelt die Finanzströme zwischen beiden Seiten, wie es offiziell heißt. Im Klartext bedeutet das, dass die Verpachtung der Bundesliga-Medien-Erlöse (plus Zuschauer-Einnahmen) durch den DFB an die DFL und die Beteiligung der Profiklubs am DFB-Gewinn aus Länderspielen (inklusive Turnieren) – um die wichtigsten Begriffe plakativ zu nennen – verrechnet wird: Und da fühlen sich die Amateure über den Tisch gezogen, spätestens durch die letzte Vertragsänderung per DFB-Bundestags-Beschluss vom 4. November 2016. Denn trotz eines unverkennbaren Rückschlags in jüngster Vergangenheit sind die TV-Einnahmen der DFL für die Nationalen und internationalen Bundesliga-Rechte im Lauf der Jahre immens gestiegen. Einige der Amateur-Vertreter sprechen sogar von einem unvertretbaren Minus von etwa 50 Millionen Euro für sie bei einer realistischen Rechnung. Diese Diskussionen werden bald wieder aufflammen.

Foto: Beitrag: picture alliance / Foto Huebner | Foto Huebner | Text: picture alliance / SvenSimon | FrankHoermann/SVEN SIMON

Der gebürtige Frankfurter Harald Stenger hat über Jahrzehnte die Fußball-Landschaft in Deutschland mitgestaltet. Als Journalist der Frankfurter Rundschau, deren Fussballchef er von 1990 bis 2001 war, und danach als Mediendirektor des Deutschen Fußball-Bundes und Pressesprecher der Nationalmannschaft. Seit sein Vertrag beim DFB 2012 nicht verlängert wurde, begleitet Harald Stenger den Fußball mit seinem kritischen Blick, der aber stets die Liebe zu seinem Sport erkennen lässt. Gesellschaftlich engagiert ist Harald Stenger in der Schlappekicker-Aktion der Frankfurter Rundschau.

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