Die ‚soziale Tankstelle’ blieb geöffnet
von Frank Schneller [GESELLSCHAFT | MENSCHEN]
Es ist die Leistung hinter der Leistung. Die Kraft des Ehrenamtes. Das Engagement vieler unermüdlicher Optimisten an der Basis des deutschen Sports, das sich hinter folgenden Zahlen verbirgt, einer echten Erfolgsmeldung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) – genauer: des Ressorts Präventionspolitik und Gesundheitsmanagement im DOSB – in nicht nur aufgrund der Corona-Pandemie unruhigen bis schweren Zeiten: Trotz sich immer wieder verändernder Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen, geschlossener Schwimmbäder, abgesagter Sportabzeichen-Treffs und eingeschränkten Schulbetriebs haben knapp 400.000 Menschen im Jahr 2020 das Deutsche Sportabzeichen (DSA) abgelegt (758.168 in 2019). Darin sind auch das Sportabzeichen für Menschen mit Behinderung (2.877), Abnahmen im Bereich der Bundeswehr (2.199) sowie im Ausland erworbene Sportabzeichen (1.227) enthalten. 134.076 Erwachsene und 247.961 Kinder und Jugendliche legten das Sportabzeichen ab – eine Marke, die alle Beteiligten im Jahr 2021 sogar wieder steigern wollen. Dabei kann man auf den Erfahrungen von 2020 aufbauen.
DOSB-Vizepräsident Breitensport und Sportentwicklung Andreas Silbersack erklärt: „Auch für das Sportabzeichen war das Corona-Jahr 2020 mit Sportstättenschließungen und Lockdowns eine harte Prüfung. Umso mehr beeindruckt mich, wie gegen alle Widerstände Sportreibende in beachtlicher Zahl die Prüfungen absolviert, Prüfer*innen das Beste aus den reduzierten Möglichkeiten gemacht und die Partner des Sportabzeichens ihre wertvolle Unterstützung solidarisch aufrechterhalten haben.“
Solidarität und unbürokratische Flexibilität waren in der Tat besonders gefragt. Und sind es noch. Weil die Schwimmbäder geschlossen waren, konnte das obligatorische Schwimmen nicht abgenommen werden. „Der Pandemieverlauf ist immer noch schwer abschätzbar, die Problematik beim Schwimmen ist gravierend. Deshalb haben wir beschlossen, das Ablegen des Schwimmnachweises in den Gruppen Ausdauer und Schnelligkeit für das Abnahmejahr 2020 bis zum 31.12.2021 zu verlängern”, so Dr. Mischa Kläber, verantwortlicher Ressortleiter für das Deutsche Sportabzeichen im DOSB.
„Das letzte Jahr war fraglos ein sehr spannendes“, sagt Christina Haack, ‚Referentin Sportabzeichen’ im Landessportbund Hessen, „problematisch für uns Landesverbände war zunächst, dass es kein allgemein gültiges Hygienekonzept gab fürs Sportabzeichen, die Regeln mussten zwangsläufig runtergebrochen werden auf die Kommunen, Vereine, Übungsleiter*innen, Lehrer*innen … Da musste viel im Detail improvisiert werden“. So war es beispielsweise durch Schulschließungen und Wechselunterricht mancherorts kaum bis gar nicht möglich, das Sportabzeichen an Schulen zu erwerben.
Im Schulbereich, so Haack, habe es dann auch die vergleichsweise größten Einbrüche der Zahlen gegeben. Doch auch hier habe sie trotz allem auch positive Signale erhalten. Was sie besonders freute: „Viele Schulen haben nach der pandemie-bedingten Absage der Bundesjugendspiele eigene Konzepte zur Durchführung des Sportabzeichens entwickelt und auf diesem Weg versucht, etwas für die Kids zu tun. Die konnten letztlich dann doch noch eine Urkunde in der Hand halten. Das war toller Einsatz.“ Im Verein (24% weniger) und im Familienwettbewerb (16%), der alle zwei Jahre stattfindet, hielten sich die Rückgänge in Grenzen. Haack: „Im Familienverbund war Sport ja möglich.“
Die Vereine ließen sich nicht unterkriegen. Die vielen Ehrenamtlichen waren einmal mehr das Rückgrat der Sportabzeichen-Bewegung. Haack gibt dazu einen wichtigen Hinweis: „Das Sportabzeichen lebt vom Ehrenamt. Das ist uns nicht weggebrochen, denn viele Prüfer*innen sind eher älter, lange dabei, also stark mit dem Sportabzeichen verbunden und haben großes Interesse, es wann und wo immer möglich auch abzunehmen. Ihre Solidarität ist besonders ausgeprägt. Andererseits sind sie ja oft aus der besonders gefährdeten Gruppe, also aus der, die man allein schon wegen ihres Alters besonders vor dem Virus schützen musste.“ Deren Mut jedoch sei besonders groß gewesen – „auch wenn aus einigen Vereinen die Rückmeldung kam, dass es ihnen zu gefährlich sei, gerade ältere Ehrenamtliche zu vielen Kontakten auszusetzen“ – und so manche*r Prüfer*in deshalb in der Wartestellung verharren musste.
Wer mit Harald Hau (66 Jahre – „damit bin ich der Jüngste bei uns“) aus Moers, seit Anfang der 80iger Jahre Prüfer, spricht, merkt sofort: Einer wie er lässt sich ungern ausbremsen. Vor allem nicht, wenn es um das Sportabzeichen geht. Er selbst hat es 47mal abgelegt. Und er ist draußen. Trainiert, prüft und genießt das Zusammensein mit Seinesgleichen. Ihm geht es um die sportliche Leistung, um den präventiven Charakter und die körperliche Gesundheit der ‚Prüflinge’. Aber auch um den seelischen, moralischen Benefit seiner Tätigkeit: „Wir fangen Menschen auf, nicht nur in Corona-Zeiten. Wir motivieren sie, geben ihnen Halt, Struktur, bleiben im Austausch mit Ihnen. Das ist ein Geben und Nehmen“, sagt er. „Wir sind eine soziale Tankstelle: Jeder kann kommen, wir sind offen für alle. Es ist auch wichtig, Empathie zu zeigen in schwierigen Phasen.“
Harald Hau blickt stolz zurück: „Die Zeit bis hierher haben wir mit Bravour überstanden. Trotz der um sechs Wochen verkürzten Saison. Wir haben bis aufs Schwimmen alle Disziplinen durchführen können, entsprechende örtliche Alternativen geschaffen – auch ohne Sportanlagen“. 132 Sportabzeichen wurden abgenommen von der Sportabzeichengemeinschaft Moers (SAG Moers), nur sieben weniger als 2019. Und er schaut optimistisch nach vorn: „Wir sind alle durchgeimpft. Und die Disziplin unserer Absolvent*innen, sich an die Corona-Regeln zu halten, ist sehr hoch. Wer – egal in welchem, aber vor allem im höheren Alter – bei der Ausübung seines Sports und bei der Erreichung sportlicher Ziele Disziplin an den Tag legt, dem fällt es auch nicht schwer, dies im Umgang mit Corona-Regeln und Sicherheitsmaßnahmen zu tun.“ Disziplin im Sport = Disziplin im Umgang mit dem Virus.
Überredet werden mussten angesichts der unsicheren Informationslage und der Sorge vor einer Infektion daher wenige, sagt er. Im Gegenteil. Was Hau anspornt: Seit April 2021 ist die SAG Moers ein eingetragener, gemeinnütziger Verein. 14 Prüfer*innen sind dort im Einsatz.
Selbst wenn das Sportabzeichen eine individuell erbrachte Leistung ist – der Gemeinschaftsgedanke spielt auch für Franz Rink (75) aus Eislingen, seit 40 Jahren ununterbrochen als Trainer und Prüfer im Einsatz, eine große Rolle: „Sinn des Sportabzeichens ist ja die jährliche Wiederholung. Und im Rahmen dessen die wöchentlichen Treffen: Wir kennen viele Absolvent*innen seit 30, 40 Jahren. Es entstehen starke Verbindungen.“
Auch Rink machte die Beobachtung, dass ein Großteil der Aktiven bei der erstmöglichen Gelegenheit wieder loslegen wollte. „Wenn einem die Decke auf den Kopf zu fallen droht“, blickt er auf den Lockdown, „ist die Freude auf und über die Rückkehr noch einmal größer. Und es ging dabei nicht nur um die Bewegung und die frische Luft. Man konnte fühlen, dass ein Spirit vorherrschte, dass es im Team leichter ist, etwas zu bewegen. Und auch diese Krise zu bewältigen.“ Rink, der bald zum 44. Mal das Sportabzeichen ablegen wird, hatte Zutritt zum Stadion – damit konnte er auch in Zeiten verschärfter Auflagen Sondertermine in kleineren Gruppen anbieten. Auch mal am Sonntagmorgen. „Wir haben das pragmatisch gehandhabt“, sagt er. 45 abgenommene Sportabzeichen habe man geschafft – nur zwei weniger als 2019. „Das zeigt, dass wir die Bewegung alle miteinander gut gegen die Pandemie verteidigt haben.“
Das Thema Sportabzeichen hat Konjunktur, auch wenn viele Sportabzeichen-Treffs im Jahr 2020 ausfallen mussten und die Deutschlandtour abgesagt werden musste: „Prävention, Gesundheit, Stärkung des Immunsystems – um all das geht’s schließlich dabei. Das wird vom DOSB ja auch so angeboten. Und es wird nicht einseitig trainiert, sondern umfassend: Motorik, Kraft, Koordination, Kondition, … all das wird gefördert“, erklärt Christina Haack, die sehr viel Recherche, Info-Arbeit und Planungsmanöver hinter sich hat.
Einen entscheidenden Verbündeten hatte – und hat – das Deutsche Sportabzeichen obendrein – und den mag die DSA-Strategin aus dem LSB Hessen nicht unerwähnt lassen. Das Timing: „Bei allen Einschränkungen war das Sportabzeichen prädestiniert, der Pandemie entgegen zu wirken, da alle Aktionen, alle Maßnahmen draußen stattfinden und kontaktarm gestaltet werden können“, sagt Haack. Man genieße also durchaus auch die Gunst des Kalenders und der Jahreszeit. Das Sportabzeichen und die Corona-Wellen verliefen antizyklisch. Daraus ergab sich eine Nische. Auch 2021 werde das eine Rolle spielen. Die Impfungen sowieso. „Ich bin vorsichtig optimistisch. Ich hoffe, dass die Schwimmbäder offen und die Vereine so engagiert dabei bleiben. Hygiene-Konzepte sind ja anders als 2020 jetzt in der Schublade.“ Franz Rink ist überzeugt: „Wir packen das auch in diesem Jahr.“ Das Comeback der Sportabzeichentour im Spätsommer 2021 ist ein weiteres Indiz dafür. Wer die Gelegenheit nutzen und sein Sportabzeichen ablegen möchte, findet unter www.deutsches-sportabzeichen.de alle Information dazu.
Fotos: Beitragsfoto: picture alliance / KUNZ / Augenklick |Text: privat
Frank Schneller (50), Sportjournalist und Themenproduzent aus Hamburg. Seine Laufbahn begann Frank Schneller beim SportInformationsDienst, arbeitete dann viele Jahre in der Redaktion der Sport-Bild. Seit 2001 arbeitet Schneller als Freelancer und ist seit 2011 Leiter des Reporter- und Dienstleister-Netzwerks Medienmannschaft.