Putins Krieg: Eine Zeitenwende – auch im Sport(-Business)
Ein kommentierender Beitrag von Frank Schneller
[ALLGEMEIN | WIRTSCHAFT | FÖRDERER]
Die Olympischen Spiele und die Paralympics waren gerade zu Ende. Die Sportwelt atmete regelrecht auf. Vorbei erst einmal die politisierte Selbstdarstellung Pekings und all die Debatten um Menschenrechtsverletzungen Chinas, eingeschränkte Pressefreiheit und das unkritische, bisweilen zynische Hand-in-Hand des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) mit den totalitären Gastgebern. Also: Kurz Luft holen und präparieren für die nächsten Diskussionen um höchst umstrittene Austragungsorte globaler Sportevents anlässlich der Fußball-WM in Qatar. Dachten alle.
Was also würde zu tun sein? Neue Argumente sammeln, Kommunikations- und Werbe-Kampagnen notfalls nachjustieren, zumindest sensibilisieren. Marketingstrategien ausrichten an der bohrenden Frage, ob Olympia und Weltmeisterschaften in Autokratien oder gar Diktaturen stattfinden dürfen. Denn: Moral, Verantwortung und Haltung drängten sich als Parameter selbst im Milliarden-Business Sport immer mehr auf. Die großen Sponsoren und ihre Agenturen waren sich im Klaren darüber, dass auch für sie gilt, was Anno Hecker, Sportchef der FAZ, in einem Interview auf diesem Portal sagte: „Sport ist längst politisch.“
FIFA- und IOC-Partner dürften sich daher insgeheim gewünscht haben, die Uhr weiterdrehen zu können. Wenn nicht allein aus moralischen Beweggründen, dann doch zumindest mit Blick auf die Außendarstellung. Der Allianz, seit 2018 einer der Premium-Sponsoren des IOC, beispielsweise kann es wenig behagt haben, im Zuge der Peking-Spiele selbst öffentliche Kritik abzubekommen. Denn natürlich geht es dem Versicherungsriesen auch um neue Vertriebswege und -Plattformen. Da ist Negativpresse wenig förderlich.
Und so setzte man in den Chefetagen der großen Player – selbstverständlich nicht nur bei der Allianz – im Jahr von Peking und Qatar gewiss auch darauf, nur noch etwas mehr Kondition und Resilienz an den Tag legen zu müssen. Denn – das hatte Dennis Trautwein, Managing Director Germany & France der global agierenden Agentur ‚Octagon‘, noch kurz nach den Winterspielen angenommen – irgendwann sei das Gröbste überstanden: „Es wird zwar immer kritische Stimmen geben bei Großveranstaltungen, weil sie einen Nachhall haben was etwa die Infrastruktur und die Kosten betrifft. Aber die kommenden Olympischen Spiele in Paris, Mailand und Cortina d’Ampezzo sowie in Los Angeles werden politisch voraussichtlich nicht so aufgeladen sein.“
Dann kam alles anders, dann überfiel Putins Russland die Ukraine. Als hätten die Machthaber aus Peking und Moskau es bei ihrem Treffen am Rande der Winterspiele abgekartet, unmittelbar nach Ende der Olympischen Spiele. Krieg in Europa. Massaker im TV-Abendprogramm. Die Welt unter Schock – jedenfalls die westliche. Und mit einem Male ist nichts mehr wie es war. Und vermutlich nichts wird mehr sein wie es einmal war. Die „Zeitenwende“, die nicht nur im Bundestag propagiert wurde, sie wird auch in der Welt des Sports einsetzen. Hat sie bereits. Einerseits in Form umfangreicher Boykotts gegen Russland und Belarus. Andererseits aber auch im Sportbusiness. Zahlreiche Marken stiegen aus ihrem Russlandgeschäft mittlerweile aus. Davon nicht selten auch betroffen: Ihr Engagement im Sport. Die Ausmaße sind noch gar nicht zu erfassen.
Feststeht: Die Frage nach der Vertretbarkeit wechselseitiger Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen, Sport-Großfunktionären und anti-demokratischen Regierungen bzw. Ländern muss durch den russischen Angriff auf die Ukraine zwangsläufig zugespitzt werden. Dies, schrieb Investigativ-Journalist Hajo Seppelt (ARD) unlängst in einem Gastbeitrag auf diesem Portal, sei „von existenzieller Bedeutung“. Es ginge schlicht um jedwede Glaubwürdigkeit des Sports.
Dass sich der Sport auch als Markt verändern wird, davon ist Dennis Trautwein überzeugt. Octagon hatte nach Kriegsausbruch sein Moskau-Büro geschlossen. Trautwein blickt auf die branchenüblichen Prozesse: „Generell dürfte sicher gelten: Betriebliche Abläufe sind überall betroffen, Produktionslinien beeinträchtigt. Budgets werden gekürzt, Kampagnen angehalten.“
Bei den aktuell bekanntesten Einschnitten im Fußball – Schalke 04 trennte sich ebenso wie die UEFA vom russischen (Staats-)Unternehmen und Gaslieferanten Gazprom und spielte kurzfristig ohne Werbung auf der Brust (siehe Foto oben), Chelsea Londons Inhaber Roman Abramowitsch verlor im Zuge der Sanktionen gegen Oligarchen durch die britische Regierung die Kontrolle über den Champions League-Sieger – bleibt es nicht. Sponsoren setzen Verträge aufgrund mittelbarer oder unmittelbarer Nähe zu Putins Russland aus oder kündigen. Und wenn den Russen große Sportevents wie das Champions League-Finale in St. Petersburg oder das Formel-1-Rennen in Sotschi entzogen werden, sorgt freilich auch dies für einen Domino-Effekt in der Branche. Wie soll es weitergehen im bezahlten Sport?
„Natürlich kann man nur hoffen, dass dieser schreckliche Krieg so schnell wie möglich ein Ende findet, aber das Rad wird sich – so abstrus das sich manchmal anfühlen mag – auch in solch schwierigen Zeiten letztlich doch weiterdrehen“, sagt Trautwein. Trotz der großen Ungewissheit und der zunehmenden globalen Bedrohung. Aber, darin sind sich Marketing- und Kommunikationsfachleute einig: Es wird ungleich komplizierter als es ohnehin schon war. Zumal es zu kurz greift, nur auf Russland zu blicken. China hat sich alles andere als eindeutig positioniert in diesem Krieg, verhält sich bestenfalls neutral. Der Verdacht des Schulterschlusses mit Russland angesichts der Olympischen Spiele und das Timing des russischen Einmarschs in der Ukraine liegt nahe und macht die neue Supermacht aus Fernost zu einem noch schwierigeren Partner.
Gleichzeitig ist China ein riesiger Sportmarkt für den Westen – man denke nur an die milliardenschweren Geschäftsbeziehungen zwischen der amerikanischen Basketball-Profiliga NBA und dem ‚Reich der Mitte‘, die trotz Covid und politischer Spannungen noch nicht obsolet sind, wie NBA-Commissioner Adam Silver immer wieder betont. Allerdings dürfte durch die ausbleibende Distanzierung Pekings zum russischen Aggressor auch diese in den USA ohnehin schon kritisch beäugte Haltung zunehmend schwer zu bewahren sein. Denn: „Bei der auch in der Sportbranche einsetzenden Zeitenwende geht es“, so Trautwein, „nicht nur um den Wegfall oder die Fragwürdigkeit von Partnern, sondern vor allem um eine noch intensivere Auseinandersetzung mit der Frage nach der – in Teilen unfreiwilligen – Positionierung. Und im Zusammenhang damit um die Fragen: Wie verhalte ich mich als Unternehmen richtig? Wie verhalten sich Verantwortliche richtig? Und oftmals auch ganz grundsätzlich darum, was das Richtige überhaupt ist“.
Kommerzielle Interessen treffen dabei zwangsläufig noch stärker auf moralische Abwägungen als bisher. Wirtschaftlichkeit und Haltung lassen sich fortan mitunter noch schwieriger synchronisieren. Zumal die Entscheider*innen in den Chefetagen auch eine Verantwortung für ihre Belegschaft haben. Da fällt eine dezidierte Positionierung nicht immer leicht. Gewiss: Wenn es um Krieg, Menschenrechte oder gesellschaftliche Bewegungen wie ‚Black Lives Matter‘ geht, darf es keine zwei Meinungen, keine voneinander abweichenden Haltungen geben. Auf der Ebene der daraus abzuleitenden Maßnahmen wie Boykotts und Sanktionen allerdings wird der Bemessungsspielraum schon größer.
Die Welt des Sports wird gezwungen sein, sich damit zu arrangieren, dass eine Zeitenwende auch bedeutet, nicht zur alten Ordnung zurückkehren zu können. Selbst das IOC wird sich damit auseinandersetzen müssen. Welche Schlüsse es daraus zieht, muss abgewartet werden. Mit der sich ändernden Macht- und Sicherheitsarchitektur in Europa und weltweit werden – dieses Bild zeichnet sich aktuell von selbst – vormalige Märkte zu verbotenem Terrain, und bestimmte Zielgruppen somit zwangsläufig unerreichbar. Zumindest für die Player der westlichen Welt. Neue Märkte könnten derweil mehr in den Fokus rücken. Selbst wenn der Umgang mit ihnen aktuell noch nicht so vertraut sein mag. Oder: Nicht mehr. Vielleicht werden sie weniger ergiebig. Vielleicht erfordern sie anderes Denken, kreativere Konzepte und die Bereitschaft zu etwas mehr Verzicht. Zu mehr Bodenhaftung. Aber, wie meinte doch Marketing-Experte Trautwein: „Das Rad wird sich weiterdrehen.“ Frag nach auf Schalke.
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