„Wie Schach im Kopf und ein wenig wie Ballett im Rumpf”
Von Andreas Hardt
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Am 6. Mai war es endlich soweit: Der Fechtpass wurde ausgehändigt. Alle praktischen und theoretischen Turnier-Prüfungen waren bestanden. Daniela Möller ist seitdem eine „richtige“ Fechterin, darf an Turnieren teilnehmen, erhält ein Ranking und all das. Sie feierte spontan mit einem alkoholfreien Cocktail in einer Hamburger In-Bar – „Ich bin soooo was von happy!“
49 Fechter waren bei der Turnierreifeprüfung im Mai in Hamburg am Start, sie mussten ihre Lektionen zeigen, beweisen, dass sie Etiquette und Regeln des Sports beherrschen. 48 von ihnen machten ihre Ausfallschritte, standen auf den eigenen Beinen. Und dann war da noch Daniela, die in ihrem Rollstuhl saß. Egal – auch einer Parafechterin wird ja keine Extrawurst gebraten nur weil sie nicht mehr laufen kann.
Daniela Möller leidet an Multipler Sklerose. Seit 14 Jahren benutzt sie den Rollstuhl. Aber die Frau ist aktiv und voller Energie, sie suchte lange nach einem passenden Sport, bevor sie auf einer Werbeveranstaltung im letzten Jahr das Fechten für sich entdeckte: „Ich habe es einfach mal ausprobiert.“ Touche – Volltreffer. „Sie ist sehr talentiert und sie ist sehr motiviert“, sagt ihr Trainer Aziz Ben Smida, „sie möchte das unbedingt machen“.
Parafechten ist ein wunderbarer inklusiver Sport, den Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam ausüben können. Die Regeln für die einzelnen Waffen sind die gleichen wie bei den Fußgängern, lediglich beim Degen gibt es eine Abweichung: Die Beine gehören bei den Behinderten nicht zur Trefferfläche – das könnte sonst ein Vorteil für Amputierte sein.
Im Fechtstuhl sind alle gleich
Auch Daniela Möller ficht in der Regel mit anderen Fechter*innen, die noch laufen können. Für diese ist das oft eine Herausforderung und Umstellung auf der Planche. Die Kontrahent*innen sitzen sich in speziellen Stühlen gegenüber, der Abstand zueinander ist genau ausgemessen, abhängig von Körpergröße und Armlänge. Ein Ausweichen, das Zurückweichen bei einem Angriff ist nicht möglich. „Es kommt sehr auf Geschick mit den Händen an und auf eine sehr gute Reaktion und Beweglichkeit im Oberkörper“, erklärt Daniela Möller. Oberkörper, Arme, Hände – präzise, schnell, Angriff, Abwehr. Genaueste Augen-Hand-Koordination, das geht alles in hohem Tempo und verlangt ganz besondere Reaktionsschnelligkeit und Genauigkeit. Bei einem Kampf im Rollstuhl, festarretiert, sieht der gute Fußgänger gegen den guten Rollstuhlfechter oft schlecht aus.
Parafechten gehört zu den traditionsreichsten Sportarten für Menschen mit Behinderung. Schon 1954 wurde die Sportart bei den Stoke Mandeville Spielen von Sir Ludwig Guttmann vorgestellt. Bereits bei den ersten Paralympischen Spielen 1960 in Rom gehörte es mit drei Wettbewerben zum Programm. Inzwischen werden Medaillen in 16 Disziplinen vergeben. Degen, Säbel und Florett werden gefochten und es gibt zwei unterschiedliche Behinderungsklassen: Sportler, die noch volle Funktionalität und Gleichgewicht im Oberkörper aufweisen und solche, die unter Einschränkungen in der Rumpfmuskulatur oder dem Waffenarm leiden.
Pendlerin zwischen Hamburg und München
Daniela Möller trainiert zweimal in der Woche in der barrierefreien Halle des Hamburger Fecht-Verbandes (HFV). „Ich lerne, mich zu fokussieren, es ist wie Schach im Kopf und von den Bewegungen des Rumpfes her ein wenig wie Ballett“, erzählt die 44-Jährige, „ich kann mit meinen Armen produktiv sein“. Dass der Sport den Krankheitsverlauf zumindest verlangsamt, ist noch nicht bewiesen, es gibt aber Hinweise dafür, auch aus anderen Sportarten. „Ich muss fast alles aus dem Rumpf machen, die Reaktionsfähigkeit ist sehr wichtig und es erhöht meine Beweglichkeit“, erzählt Daniela Möller. „An meiner seitlichen Rumpfmuskulatur muss ich noch mehr arbeiten, die benutze ich sonst zu wenig.“
In München befindet sich seit Oktober 2019 das paralympische Fechtzentrum im Werksviertel Mitte. Das Ziel von Leiter Jürgen Zilinski-Lick ist es, möglichst viele Athlet*innen zu den Paralympischen Spielen in Paris 2024 schicken zu können. Auch Daniela Möller darf dort regelmäßig als Gast aus dem Norden trainieren.
Bundestrainer Alexander Bondar schaut jedenfalls genau hin, was in München, Hamburg und anderswo passiert. So groß ist das Reservoir an Aktiven schließlich nicht. Maurice Schmidt (23) aus Böblingen und Sylvi Tauber (43) aus Rostock waren die einzigen deutschen Starter, die sich für die Paralympics 2021 in Tokio qualifizieren konnten.
Hohe Produktions- und Anschaffungskosten
Ein Hinderungsgrund für eine größere Verbreitung von Rollstuhlfechten sind sicherlich die doch sehr aufwändigen Stühle, die durch die dynamischen, schnellen Bewegungen der Fechter viel aushalten müssen, insbesondere an den Schweißnähten. Für Top-Athlet*innen werden die Stühle zudem speziell ausgemessen und angefertigt, da sind dann schnell etwa 6.000 Euro fällig. Aber auch „normaler“ Fechtrollstuhl kostet zwischen 2.000 und 3.000 Euro. Das ist für viele Clubs einfach zu viel, sie können den Sport deshalb gar nicht anbieten, auch wenn sie das wollten.
In Hamburg gibt es dieses Angebot und diese Chance. Daniela Müller will das Beste für sich daraus machen. Bei der Deutschen Meisterschaft Anfang Juni auf jeden Fall und vielleicht ja auch bei einem Turnier im September in Pisa. „Es tut mir gut, wenn jemand ein Talent sieht“, sagt sie. Sport kann eben so viel bewirken, in diesem Sinne: En garde!
PS: Einen spannenden Podcast mit Daniela Möller gibt es unter www.abendblatt.de/podcast/Von-Mensch-Zu-Mensch