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Über die Essenz des Spitzensports

Zwei Welten prallen aufeinander: Bob-Olympiasiegerin Laura Nolte auf der einen, Fußballtorwart Alexander Nübel (AS Monaco). Unterschiedliche Disziplinen, unterschiedliche Trainingsinhalte, unterschiedliche Belastungen – und, klar: Ganz verschiedene Einkommensklassen sowie mediales Interesse an den beiden jungen Aktiven. Aber: Gibt es nicht doch auch Parallelen? Gemeinsamkeiten? Haben Leistungssportlerinnen und Leistungssportler nicht doch viel gemeinsam? Stefan Backs, heute Berater in der Fußballbranche sowie von – als einzige Klientin abseits des Profifußballs – Laura Nolte, ging der Sache auf den Grund und befragte beide in einem Doppelinterview. Backs selbst fiel der Rollentausch nicht schwer: Er verfügt über jahrelange Erfahrung als Sportjournalist. Und stellte uns den Austausch. Ein Dialog über die Essenz des Spitzensports.

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Frage: Was bedeutet Euch Euer Sport?

Laura Nolte: Sport bedeutet mir sehr viel. Lebensalltag, Leidenschaft, Emotionen, Miteinander. Außerdem bietet mir Sport die Möglichkeit, meine Grenzen zu erkennen und zu versuchen, diese zu überschreiten.

Alexander Nübel: Ohne Sport wüsste ich nicht, wohin mit meiner Energie. Ohne Fußball, Mountainbike fahren, Wandern oder was auch immer für eine Art Bewegung, käme ich abends wahrscheinlich nicht zur Ruhe und wäre auch nicht so ausgeglichen. Ich brauche einfach Bewegung.

 

Frage: Was zieht ihr aus dem Sport?

Laura Nolte: Auf alle Fälle das Erleben von Emotionen. Im Sport gibt es Emotionen, die sind mit nichts im Leben vergleichbar. Da sind dann auch all die harte Arbeit und die vermeintlichen Entbehrungen vergessen.

Alexander Nübel: Die Erfahrung, immer weiter zu kommen, wenn man alles dafür gibt. Man will immer weiter kommen, alles aus sich heraus holen. So weit, wie es geht. 

 

Frage: Wie kamt Ihr zum Leistungssport, zu Eurer Disziplin?

Laura Nolte: Ich bin mit neun Jahren zur Leichtathletik gekommen. Zunächst in einem Verein in meinem Heimatort Unna, dann ab zwölf Jahren in Dortmund. Mit 14 Jahren ist ein Sprinttrainer auf mich aufmerksam geworden und hat mich motiviert, in Richtung Leistungssport zu gehen. Er hat mir sozusagen den endgültigen Kick gegeben. Mit 16 Jahren kam ich zum Bobsport.  

Alexander Nübel: Ich bin früh in einen Fussballverein gegangen, zunächst in Tudorf, meinem Heimatort, ab 2014 dann beim SC Paderborn. Mein Schritt Richtung Leistungssport kam eher schleichend. Mit 16 Jahren haben ich in der U19 gespielt, mit 17 dann schon bei den Profis. 

Laura Nolte in ihrem Element

 

Besessenheit – ein großer Faktor. Aber auch kontraproduktiv

Frage: Wie groß ist der Faktor Besessenheit bei einem Profisportler?

Laura Nolte: Das ist ein grosser Faktor. Man muss lieben, was man macht. Man muss es mit Haut und Haaren wollen. Man muss sich körperlich und mental topfit halten und in unserem Fall muss man auch noch eine Art Mechanikerin werden und Detailverliebtheit im Umgang mit dem Material haben. Wir verbringen unzählige Stunden mit der Pflege der Kufen oder dem Testen des Bobs.

Alexander Nübel: Man sagt ja, dass Torhüter speziell sind. Aber zu viel Besessenheit ist aus meiner Sicht kontraproduktiv. Wenn ich mich zu sehr mit Gegentoren beschäftige, verliere ich den Fokus. eine gewisse Lockerheit sollte bleiben. Aber klar: Man muss lieben, was man tut und sich voll darauf einlassen.

 

Frage: Wie lange trainiert ihr pro Tag?

Laura Nolte: Das ist bei mir unterschiedlich. Im Sommer ungefähr vier Stunden. Leichtathletik, Krafttraining, Physio zum Beispiel. In den Wintermonaten ist es mehr. Gerne bis zu sieben Stunden, denn dann kommt auch die Arbeit mit dem Material dazu. Ich trainiere normalerweise sechs Tage in der Woche.

Alexander Nübel: Zur Zeit vier Stunden täglich. Vorbereitung, Torwarttraining, Mannschaftstraining und Stabi-Übungen für Core und Arme zum Beispiel. Während der Saison ist es dann etwas weniger, vor allem, wenn man dauerhaft englische Wochen hat, was zwei Spiele pro Woche bedeutet. wir haben in der Regel einen Tag frei, oft genug allerdings nicht mal das.

 

Ziele und Druck: Der Unterschied zum Breitensport

Frage: Wo liegt für euch der Unterschied zwischen Breiten- und Leistungssport?

Laura Nolte: Man fängt an, sich Ziele zu setzen. Kurz- und langfristige Ziele. Und mit den Zielen kommt der Druck. Der wird dann auch ständiger Begleiter. Schaffe ich meine selbstgesteckten Ziele? Erfülle ich die Erwartungen meiner Trainer? Oder die der Zuschauer und Fans? Druck ist auf alle Fälle ein großer Faktor im Leistungssport.

Alexander Nübel: Bei mir ist es der Druck, ganz klar. Zunächst innerhalb des Vereins. Als ich in Paderborn die ersten Male mit den Profis trainiert habe, war ich unglaublich nervös. Ich wollte keine Fehler machen. Noch schlimmer war es auf Schalke. Mich kannte niemand, ich kannte alle. Aus dem Fernseher oder von der Tribüne. Alles Top-Stars. Ich wäre am liebsten in der Kabine geblieben. Ich hatte Angst, nicht gut genug zu sein.

 

Frage: Wie geht man mit dieser Situation um? Denn im Wettkampf wird der Druck ja noch grösser.

Laura Nolte: Wichtig ist die mentale Vorbereitung. Ich gehe die zu fahrende Strecke zu Fuß ab, speichere sie in meinem Kopf. Vor dem Rennen visualisiere ich. Ich gehe im Kopf die Bahn in Echtzeit durch und simuliere mit den Händen das Ziehen der Lenkseile. Das ist ein Lernprozess gewesen, aber mittlerweile klappt das auf eine Sekunde genau. Dabei entspanne ich mich. Vorher bin ich beim Physio und lege beispielsweise mein Handy beiseite. Denn auch das Handy stresst. Am Ende sind es Rituale, die den Puls beruhigen.

Alexander Nübel: Gegentor ist nicht gleich Gegentor. Ich hasse es grundsätzlich, welche zu bekommen. Aber es gibt die ganz schwierigen Bälle, die 50:50-Situationen und die klaren Patzer. Letztere beschäftigen mich noch zu lange, daran muss ich arbeiten. Am liebsten ist mir, ich habe direkt nach einem Fehler noch ein paar Aktionen und finde dadurch wieder vollends zu mir. Im Spiel versuche ich durch das Coachen der Mitspieler teilzunehmen und fokussiert zu bleiben. Zudem spiele ich lieber in vollen Stadien. Da bekommt man nicht so viel mit und ist schneller im Spiel. In einem leeren Stadion hört man jeden Zwischenruf.

Auf dem Weg zu einem der besten Keeper Europas: Alexander Nübel in Aktion für AS Monaco

 

Ein Rennen fahren, eine Flanke abfangen – wenn die Fans wüssten …

Frage: Wie sehr beschäftigt ihr euch während des Wettkampfs mit dem Gegner?

Laura Nolte: Früher habe ich, wenn jemand anderes einen super Lauf hingelegt hat, gedacht: Oh Gott, jetzt muss alles passen. Heute bin ich da gelassener. Ich bleibe bei mir, fokussiere mich auf mich selbst. Alles andere lenkt mich nur von meiner eigenen Leistung ab. Auch das sind Lernprozesse. Ich mag es, unterschätzt zu werden. Denn da weiß ich, dass ich positiv überraschen kann.

Alexander Nübel: Klar bekomme ich mit, wenn der gegnerische Torwart tolle Paraden zeigt. Aber ganz ehrlich, bevor ich auf den jeweiligen Torwart achte, schaue ich mir lieber die Tribünen an. Dazu kommt man ja während des Spiels normalerweise nicht. Aber ich will wissen, wie es da aussieht, wo der Gesang herkommt. Auch wenn dafür nur wenige Sekunden Zeit ist. Hinterher hat man dann oft das Gefühl: Geil, hier durftest du spielen. Ein Traum wurde wahr.

 

Frage: Wie wichtig ist euer Handwerkszeug?

Laura Nolte: Ich verbringe im Winter viel Zeit mit meinem Bob. Wir haben zwar auch Mechaniker, machen aber noch vieles selbst. Vom simplen Tragen des Bobs, bis hin zum Kufen schleifen, was alleine vier Stunden pro Kufensatz in Anspruch nimmt. Da ich Mono- und Zweierbob fahre, kommt alleine da schon einiges zusammen.

Alexander Nübel: Ich bin nicht so empfindlich, was meine Handschuhe anbetrifft. Aber ich möchte kein anderes Modell spielen, als das, was ich derzeit benutze. Ich durfte es selbst mit entwickeln. Leider sind die Torwarthandschuhe sehr empfindlich, so dass ich rund 30 Paar im Jahr verbrauche. Wenn es heftig regnet, schmiere ich sie vor dem Spiel mit Vaseline ein. Dann haben sie besseren Grip.

 

Frage: Was, glaubt ihr, unterschätzt euer Publikum am meisten bei eurem Sport?

Laura Nolte: Wir haben im Grunde ein sehr fachkundiges Publikum. Aber natürlich: Niemand erlebt ein Rennen wie wir selbst. Die Geschwindigkeit (Anm: bis zu 140 km/h), das Adrenalin. Die ganze mentale Vorbereitung auf ein Rennen. Ich glaube, manch einer würde sich das gar nicht erst trauen.

Alexander Nübel: Ich würde am liebsten Mal ein paar Zuschauer rauspicken und Flanken mit Gegnerdruck schlagen. Ich glaube, die würden sich wundern, wie schwer es ist, eine Flanke richtig zu berechnen und zu fangen. Wind, Wetter, Ballgeschwindigkeit, Stellungsspiel, Gegner, flattert der Ball oder kommt er gerade… Ich glaube, es sieht von der Tribüne viel leichter aus, als es in Wirklichkeit ist. 

 

Frage: Was nervt euch an eurem Sport?

Laura Nolte: Die Zeit in der Garage, die Mechanikertätigkeiten. Das ist für mich oftmals nervig. Und zeitraubend. 

Alexander Nübel: Das Aufstehen nach einer Parade, die ich nicht festhalten konnte. Das kostet jedesmal richtig Kraft. Da bin ich eher bequem (lacht).

Roter Teppich statt Eiskanal: Laura Nolte beim Ball des Sports 2022

 

Entbehrungen, Schwankungen: Ja, gibt es!

Frage: Vermisst ihr manchmal das „normale Leben“?

Laura Nolte: Natürlich ist man nicht jeden Tag zu 100% motiviert und dann ist es manchmal gut, in einer Gruppe zu arbeiten. Aber ich liebe, was ich mache und alles ist gut, wie es ist.

Alexander Nübel: Ich vermisse es schon, am Wochenende nicht mit meinen Freunden auf die Piste zu gehen oder einfach nur spontan sein zu können. Mein Freundeskreis ist mir sehr wichtig und der kommt im Leistungssport definitiv zu kurz. Aber ich bin Profitorwart und ich habe noch Ziele. Das überwiegt.

 

Frage: Esst ihr manchmal Fastfood?

Laura Nolte: Ich bin gar nicht so ein Fastfood-Fan. Meine Schwäche ist eher Schokolade. Aber ich achte schon sehr auf Ernährung und versuche auch Süßes zu vermeiden.

Alexander Nübel: Ich esse schon Fastfood. Mal eine Pizza oder einen Burger. Ich würde sagen, zweimal im Monat sündige ich.

 

Frage: Was, glaubt ihr, ist an der jeweils anderen Sportart das Schwierigste?

Laura Nolte: Ich stand in der Schule ein paar Mal im Tor (lacht) und dachte immer: Wo schießt der jetzt hin? Ich fand es peinlich, wenn ich mich verspekuliert habe. Ich glaube, als Torwart immer die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist das Schwierigste.

Alexander Nübel: Beim Bobfahren ist aus meiner Sicht der Druck für Deutschland zu fahren das Schwierigste. Jeder erwartet eine Goldmedaille und man fährt nicht mehr für sich, sondern für eine ganze Nation. Man möchte ja niemanden enttäuschen. Das stelle ich mir schwierig vor.

 

Autor Stefan Backs: Der gelernte Sportjournalist (u.a. SID, Sport-Bild und SAT1) sattelte vor über 20 Jahren um und wurde zunächst Mediendirektor einer der größten Beratungsagenturen der Branche. Mit der Gründung von „Siebert & Backs“ hat sich der Dortmunder inzwischen längst selbstständig gemacht. Zu seinen Klienten zählen u.a. Top-Keeper Alex Nübel und Trainer André Breitenreiter. Neuerdings setzt auch Bob-Olympiasiegerin Laura Nolte auf seine Beratungsdienste.

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