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„So verliert der Sport seine Glaubwürdigkeit“

Sebastian Vettel als grünes Vorbild, sinnlose CO2-Kompensation und komplexe Zusammenhänge: Die Nachhaltigkeitsexpertin Christina Gossel und Sportmarketingexperte Dirk Klingenberg über ein großes Thema, bei dem kaum einer durchblickt. Es bedarf auch einer verbesserten Aufklärung unter den Aktiven, sagen sie.

Von Frank Heike

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Olympisches Feuer: Warum schmücken sich internationale Fußballstars nicht viel mehr mit nachhaltigen Themen in den digitalen Medien, statt Autos und Waschbrettbäuche zu präsentieren?

Dirk Klingenberg: Oftmals fehlt der direkte Bezug zur Gesellschaft, da Verzicht, Geld und Einsparungen eine untergeordnete Rolle spielen. Viele leben in ihrer Welt. Daher müsste man den Fokus mehr auf Aufklärung und Kommunikation setzen als sie in die Pflicht zu nehmen. Aber Spieler wie Kimmich, Goretzka, Hummels, Müller und Neuer haben schon eine Meinung, auch in Sachen Nachhaltigkeit. Allgemein gilt: Berater und Manager müssen den Spielern das Thema bewusster machen.

Christina Gossel: Ich glaube, Fußballstars haben eher ein selektives Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Soziale Themen wie Antidiskriminierung, Rassismus oder Diversität haben es einfacher in deren Mindset zu gelangen, da sie im Sport verankert sind. Es geht viel über Werte und Haltung. Bei ökologischen Themen bedarf es mehr Aufklärung, Hintergrundwissen, ein Denken in Lösungen und Alternativen. Sind Themen verständlich und greifbar, kann man sich leichter identifizieren, eine Meinung bilden und diese in der Öffentlichkeit vertreten. Oftmals gibt es Schlüsselmomente im eigenen Leben, die ein Umdenken erzeugen. Sebastian Vettel ist ein gutes Beispiel. Der Rennsport, der Ressourcen ohne Ende verschlingt, und sein persönliches Umweltengagement ließen sich irgendwann nicht mehr vereinen.

Nachhaltigkeitsexpertin Christina Gossel (Foto: Steffen Beck)

 

Olympisches Feuer: Wie stufen Sie in Sachen Glaubwürdigkeit im nachhaltigen Handeln Pläne der DFL ein, Spiele auch außerhalb Europas auszutragen?

Dirk Klingenberg: Aus wirtschaftlichen Gründen macht das Sinn. Aus Nachhaltigkeits-Sicht macht das überhaupt keinen Sinn. Diese Diskussion muss man führen, indem man sagt: wir haben ein strategisches Ziel, deshalb müssen wir Spiele wie den Supercup im Ausland austragen. Wir haben nur diese Spiele. Aber dafür kompensieren wir.

 

Olympisches Feuer: Ist das kein moderner Ablasshandel?

Dirk Klingenberg: Wenn ich da hinfliege mit Sack und Pack und dann fünf Bäume pflanze, ist es Quatsch. Das wäre populistisch.

Christina Gossel: Genau, denn die CO2-Kompensation wirkt ja auch erst zeitversetzt. Wenn ich jetzt einen Baum pflanze, ist er in 20 Jahren groß und absorbiert CO2. Manche solcher Baumplantagen sind nach ein paar Jahren zu Papierproduktionen gemacht worden – das ist natürlich komplett konträr.

Marketingexperte Dirk Klingenberg

 

„WM aus Sicht der Nachhaltigkeit von Anfang an unsinnig“

Olympisches Feuer: Dass einige Stadien in Katar nach der WM in Afrika aufgebaut werden, finden Sie das unter Nachhaltigkeitskriterien sinnvoll?

Christina Gossel: Diese WM war aus Sicht der Nachhaltigkeit von Anfang an unsinnig. Das Verschiffen von Stadien ist im Großen eine ähnliche Diskussion wie im Kleinen, ob man bei einem Meeting Gläser oder Plastikflaschen nimmt. Die einen muss man abwaschen, die anderen entsorgen.

Dirk Klingenberg: Der gesamte Sport verliert durch solche Veranstaltungen seine Glaubwürdigkeit. Hätte es nur zu Beginn sinnvolle Umwelt-Auflagen gegeben, wäre eine WM in Qatar nie zustande gekommen. Die Diskussion jetzt ist aufklärerisch, aber viel zu spät. Wenn ich nur sehe, wie viel Energie durch die Klimatisierung herausgeblasen wird.

Christina Gossel: Ich glaube auch, dass das Publikum, die Fans, das Interesse an solchen Veranstaltungen verliert. Insbesondere die nachwachsende Generation hat doch kaum noch Lust, so etwas anzuschauen. Es vereint sich nicht mit deren Werten und Weltbild.

 

Olympisches Feuer: Gibt es ein aktuelles Beispiel glaubwürdiger Nachhaltigkeit?

Christina Gossel: Die gefeierten European Championships in München haben auf ihrer Seite im Internet sechs Fokusfelder im Bereich Nachhaltigkeit formuliert. Das ist grundsätzlich erfreulich. Aber glaubwürdig ist man erst, wenn man diese Ziele auch erreicht hat. Das wird der Check beziehungsweise der Abschlussbericht nach den Spielen zeigen.

 

Olympisches Feuer: Wie kann ich als Fan prüfen, ob Veranstalter versprochene Nachhaltigkeitsziele einhalten?

Christina Gossel: Beispielsweise über spezielle Nachhaltigkeits- und Umweltberichte, oder die ISO 20121. Diese wurde 2012 im Rahmen der Olympischen Spiele in London ins Leben gerufen, ist international verbreitet und umfasst alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Sie ist die Norm für die Veranstaltungsbranche. Wenn man eine solche ISO-Zertifizierung für Sportveranstaltungen anstrebt, dann weiß man, dass es viele Anforderungen und Kriterien gibt, die alle Gewerke erfüllen müssen. Es gibt dann ein Vor-Audit, ein Audit während der Veranstaltung und eines danach. Das ist quasi wie der Goldstandard für Veranstaltungen. Das ist wie eine TÜV-Plakette.

Das Olympiastadion war ein wichtiger Punkt des Münchner Konzepts: Die Nachnutzung von Sportstätten und -equipment

 

„Seit 2012 wenig passiert“

Olympisches Feuer: Macht das jede große Veranstaltung?

Christina Gossel: Leider nein.

Dirk Klingenberg: Im Sport ist nach den vorbildlichen Spielen 2012 relativ wenig passiert.

Christina Gossel: Die French Open machen das, die Formel-E auch. Die EM 2016. Aber auch die EM 2024 in Deutschland strebt die ISO 20121 an. Die Verbreitung nimmt zu, nicht nur im Sport.

 

Olympisches Feuer: Müssen Sponsoren ihre Partner zwingen? Muss also SAP zur TSG Hoffenheim sagen: agiert nachhaltig, oder wir gehen von eurer Brust?

Christina Gossel: Teilweise ist es bereits so, teilweise wird es so kommen. In den großen börsennotierten Unternehmen sind solche Anforderungen längst verpflichtend. Ab 2025 gibt es in Deutschland auch für Unternehmen ab 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Pflicht, über Nachhaltigkeitsstrategien zu berichten. Dann sprechen wir von circa 15.000 statt 500 Unternehmen. Aber das sind noch längst nicht alle. Die neue EU-Berichtspflicht ebnet den Weg. Der Stein rollt. Es gibt kein Vorbeikommen an dem Thema.

 

Olympisches Feuer: Besteht in der Energiekrise nicht die Gefahr, dass nur Reduktion gesehen wird? Dass Handballhallen nicht mehr öffnen, Eishockeyflächen geschlossen bleiben?

Dirk Klingenberg: Es passt natürlich nicht zusammen, wenn Städte ihre Denkmäler nicht mehr beleuchten, aber es abends um neun ein Flutlichtspiel gibt. Das wäre paradox. Grundsätzlich ist es fragwürdig, nur in Maßnahmen zu denken. Wie viel Energieersparnis bringt es denn, auf ein Flutlichtspiel zu verzichten? Wir denken immer nur in Maßnahmen.

Christina Gossel: Bevor man hektisch Veranstaltungen absagt, sollte man verschiedene Parameter checken. Was heißt denn Flutlicht – welche Energiequelle steckt dahinter? Welche Leuchtmittel nutze ich? Kann man die Beleuchtung ausdünnen oder an manchen Stellen reduzieren? Oder kann man den CO2-Abdruck der gesamten Veranstaltung verringern, unabhängig von der Energiediskussion?

 

Das Gespräch führte Frank Heike.

Sportjournalist Frank Heike (52) schreibt seit vielen Jahren als Korrespondent regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der gebürtige Flensburger ist zudem Mitglied der Hamburger Medienmannschaft. Neben Fußball und Handball gehören Sportbusiness-Themen inzwischen zu Heikes Kern-Expertise.

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