„Paris 2024 werden die Spiele einer neuen Ära sein“
Ortstermin Lausanne: IOC-Präsident Thomas Bach spricht im Interview über das Ende seiner Amtszeit, die großen Hoffnungen, die er mit den Olympischen Spielen 2024 in Paris verbindet, Russland und russische Athleten sowie über eine deutsche Olympiabewerbung 2036.
Von Ewald Walker
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Olympisches Feuer: Sie sind seit 2013 IOC-Präsident und bis 2025 gewählt. Führen Sie das Amt angesichts zahlreicher aktueller Krisen immer noch gerne aus?
Thomas Bach: Ja. Ich bin immer noch gern IOC-Präsident. Dieses Amt bietet die Möglichkeit, Sport, den man ein Leben lang liebt, zu gestalten. Es ermöglicht eine große Nähe zu Athleten und jungen Menschen. Zudem bietet es eine einzigartige Schnittstelle zwischen Sport, Kultur, Politik und Wirtschaft.
Olympisches Feuer: Werden Sie für eine weitere Amtszeit nach 2025 kandieren?
Thomas Bach: Nein.
Olympisches Feuer: Was sind die Gründe?
Thomas Bach: Die Amtszeit eines IOC-Präsidenten ist laut Olympischer Charta auf zwölf Jahre begrenzt. Im Frühjahr 2025 wird meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger gewählt.
Spiele von Paris im Zeichen des Reformprogramms
Olympisches Feuer: Welches sind die wichtigsten Ziele, bis zum Ende Ihrer Amtszeit?
Thomas Bach: Das sind an erster Stelle die Spiele in Paris, die in vielerlei Hinsicht eine besondere Bedeutung haben. Sie werden die Verwirklichung unseres Reformprogramms, der Olympischen Agenda, bringen und ein klarer Wegweiser für zukünftige Olympische Spiele sein. Es werden nachhaltige, genderparitätische, inklusive Spiele, die unseren neuen Ansatz im Zusammenspiel mit den Paralympischen Spielen sichtbar machen. Inklusiv werden sie auch sein bezogen auf all die Angebote für die Bevölkerung, Teil der Spiele zu werden und nicht bloß Zuschauer, beispielsweise beim Marathon für Alle auf der Olympiastrecke und viele weitere Mitmachgelegenheiten, die es in ganz Frankreich geben wird.
Olympisches Feuer: Zum 3. Mal nach 1900 und 1924 Olympische Sommerspiele in Paris. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Thomas Bach: Paris werden Spiele einer neuen Ära sein, die neue, inspirierende olympische Erfahrungen eröffnen. Grundsätzlich gilt: Olympische Spiele sind immer ein Gesamtkunstwerk, ein Puzzle, das am Ende von der veröffentlichten Meinung am schwächsten Teil gemessen wird.
Olympisches Feuer: Im gerade erschienenen Buch „Olympische Herausforderungen“ von Helmut Digel mit Ihren Reden und Vorträgen fällt eine große Anzahl von Beiträgen zu den Olympischen Werten auf. Welche Bedeutung haben diese Werte für Sie?
Thomas Bach: Meine Motivation als IOC-Präsident liegt in der Olympischen Philosophie, wie sie unser Gründer Pierre de Coubertin uns mitgegeben hat. Der Olympismus ist für mich eine Lebensform, eine Orientierung an Werten. Ohne Werte wäre die Organisation Olympischer Spiele eine reine Managementaufgabe und das darf es nicht sein. Coubertin sagte einmal, Olympische Spiele ohne Werte wären bloß wie eine reine Militärparade. Übertragen auf heute hieße dies, Olympische Spiele ohne Werte wären bloßes Entertainment.
Politisierung des Sports gefährdet seine Werte
Olympisches Feuer: Wo sehen Sie derzeit Ihre dringlichste Aufgabe?
Thomas Bach: Am wichtigsten ist aktuell der Schutz und die Sicherung unserer Werte. Nehmen Sie den Kampf gegen Doping. Dahinter steht unsere Werteorientierung. Nur im Sport gibt es deshalb das Dopingverbot, das Sie nicht in der Kultur, nicht in der Musik und auch nicht in der Wissenschaft finden. Durch die Politisierung des Sports sehen wir die Werte ebenfalls gefährdet. Es geht um den Schutz eines jeden einzelnen Athleten.
Russland, die Ukraine und der Krieg: Ein komplexes Thema
Olympisches Feuer: Russland und der Ukraine-Krieg stehen derzeit massiv in der öffentlichen Diskussion, auch im Sport. Da ist der Dopingausschluss nach Sotschi 2014 und der Ausschluss durch den Ukraine-Krieg. Wie sehen Sie das Russland-Dilemma aktuell?
Thomas Bach: Das ist ein sehr komplexes Thema. Man muss unterscheiden zwischen Russland und Athleten, die in Russland geboren sind und nichts für diesen Krieg können. Was Russland als Land betrifft, insbesondere die russische Regierung, da sind wir ganz klar. Wir waren die erste internationale Sportorganisation, die die Invasion scharf verurteilt hat. Wir haben klar betont, dass die Sanktionen gegen den Staat und gegen die Regierung bestehen bleiben müssen: Keine internationalen Sportwettbewerbe in Russland, keine russische Identifikation im Bereich des Sports, keine russischen Farben, keine Flagge, keine russische Hymne, keine Bezeichnung als Russland. Wir haben eine für das IOC einzigartige historische Entscheidung getroffen, dem russischen Staatspräsidenten den olympischen Orden abzuerkennen, den er 2001 erhalten hatte. Dies ist die Sanktion für die Verletzung der Olympischen Charta.
Olympisches Feuer: Was heißt dies für die Athleten?
Thomas Bach: Neben diesen Maßnahmen müssen wir aber auch die jungen russischen Athleten sehen, die sich seit Jahren auf sportliche Wettbewerbe vorbereiten, die nicht diskriminiert werden dürfen und für diesen Krieg nicht verantwortlich sind. Wir müssen überlegen wie sie, wenn sie die olympische Charta respektieren und nicht aktiv den Krieg unterstützen, wieder integriert werden können. Klar ist, dass sie dafür vollkommen neutral sein müssten, also nicht russische Repräsentanten, sondern individuelle Athleten. Sie müssen dem Anti-Dopingsystem unterliegen.
Olympisches Feuer: Ist dies nicht ein schwieriger Spagat?
Thomas Bach: Ich finde den Spagat nicht so schwierig, da es unserem westlichen demokratischen Menschenbild entspricht, dass ich nicht jeden Menschen bestrafen kann für das Handeln seiner Regierung, sondern nur für Aktionen, für die er selbst die Verantwortung trägt.
Olympisches Feuer: Jaroslawa Mahutschich (Ukraine), weltbeste Hochspringerin 2022, hat sich kürzlich geäußert, sie sei absolut gegen die Teilnahme russischer Sportler an internationalen Wettkämpfen, weil im Krieg auch viele ukrainische Athleten getötet wurden und viele russische Athleten den Krieg unterstützten. Können Sie diese Haltung verstehen?
Thomas Bach: Das ist menschlich vollkommen nachvollziehbar, wenn man sich anschaut, was in der Ukraine passiert. Gleichzeitig muss man aber auch bei betroffenen Athleten um Verständnis werben für die Rolle des Sportes, Menschen zusammenzuführen und nicht Teilungen und Spaltungen zu vertiefen. Demgegenüber fordert der ukrainische Staatspräsident Selenskjy die vollkommene Isolierung nicht nur Russlands, sondern aller Russen. Wir haben aber unsere Verantwortung für die Athleten, die man nur sanktionieren darf, wenn sie selber gegen die Olympische Charta verstoßen.
Olympisches Feuer: Eine konkrete Spur des Krieges im Sport ist aktuell auch die Zerstörung einer Eisarena im Donbas. Der Krieg ist auch für den Sport eine große Herausforderung. Kann der Sport Frieden bringen, oder etwas dazu beitragen?
Thomas Bach: Ich selbst habe bei meinem Besuch im Juli eine Basketballhalle in Kiew besucht, die schwer beschädigt worden ist. Die Folgen des Krieges treffen auch den Sport in der Ukraine auf schreckliche Weise. Das IOC und die Olympische Bewegung hat zugesagt, eine unterstützende Rolle beim Wiederaufbau der Sportinfrastruktur zu übernehmen. Gleichzeitig unterstützen wir die ukrainischen Athleten. Wir wünschen uns eine starke ukrainische Mannschaft in Paris und bei den Olympischen Winterspiele Milano Cortina 2026. Unsere Grenzen sind jedoch, dass wir nicht über Krieg und Frieden entscheiden können.
Olympia-Bewerbung? Die Welt weiß: Deutschland kann das!
Olympisches Feuer: Der Sommer 2022 brachte in München bei den European Championships ein fröhliches Fest des Sports, wie 1972 in der ersten Hälfte bei den Olympischen Spielen. Wie haben Sie diese Meisterschaften wahrgenommen, welche Athleten sind für Sie besonders in Erinnerung geblieben?
Thomas Bach: Es war ein großartiges Sportfest, das alle genossen haben, von den Athleten bis zu den Zuschauern. Ich habe mich riesig gefreut über Gina Lückenkemper nach ihrer schwierigen Phase, die sie durchgemacht hat. Ich war bei der WM in Eugene im Stadion, als sie im Vorlauf ausgeschieden ist. Umso mehr habe ich bewundert, wie sie in München zurückgekommen ist. Es zeichnet einen Champion aus, in kurzer Zeit wieder aufzustehen. Da war aber auch Elisabeth Seitz im Turnen, die auf Grund ihres Alters und der Dauer ihrer Karriere ohnehin schon eine Ausnahmeathletin ist. Dort im Wettkampf vor heimischem Publikum so getragen zu werden wie sie, ist immer etwas Besonderes.
Olympisches Feuer: Man hat schnell von einem „Sommermärchen“ in München gesprochen und davon ein Votum für eine Bewerbung für die Olympischen Spiele 2036 in Deutschland abgeleitet. Wie sehen Sie eine Deutsche Olympiabewerbung?
Thomas Bach: Ich habe schon zu Beginn meiner Amtszeit gesagt, dass ich mich freuen würde, wenn Olympische Spiele mal wieder in meinem Heimatland stattfinden würden. Zwei meiner Träume sind geplatzt: dass diese noch in meiner Amtszeit in Deutschland stattfinden könnten und dass diese zumindest noch während meiner Amtszeit hierher vergeben werden. Ich freue mich über diese Diskussion in Deutschland und die Unterstützung, die dort aus verschiedenen Bereichen kommt.
Olympisches Feuer: Welche Chancen sehen Sie?
Thomas Bach: Wenn sich eine deutsche Bewerbung an den Nachhaltigkeitskriterien des IOC orientiert, dann wird eine deutsche Bewerbung immer eine starke sein. Niemand in der Welt zweifelt, dass Deutschland das kann.
Olympisches Feuer: Allerdings: Sieben Mal sind deutsche Bewerberträume geplatzt. Wo sehen Sie die Gründe für dieses massive Scheitern?
Thomas Bach: Jede Bewerbung hatte ihre eigene Geschichte. Wenn man an die Bewerbung Berlins für 2000 denkt, waren dort Ausschreitungen mit fliegenden Steinen keine Einladung an die Welt. Bei der Kandidatur 2018 mit München ist Pyeongchang lange nach unserem Bewerbungsbeschluss noch dazu gekommen. Es war der dritte Anlauf von Pyeongchang und das hat am Ende den Ausschlag gegeben.
Olympisches Feuer: Eine deutsche Olympiabewerbung für 2036, 100 Jahre nach den Nazi-Spielen von Berlin sind hierzulande in der Diskussion. Sehen Sie die Historie von 1936 eher als Belastung oder als Chance?
Thomas Bach: Jede Herausforderung ist auch eine Gelegenheit. Nehmen Sie München 72, dort hat man es als Gelegenheit genutzt, denn München hatte auch seine Vergangenheit. Man wollte der Welt präsentieren, welchen enormen Wandel das Nachkriegsdeutschland damals vollzogen hatte. Man hat die Chance genutzt, dieses neue, demokratische, weltoffene Land darzustellen, bevor das schreckliche Attentat auf das israelische Team erfolgte. Unter dem Aspekt der Gelegenheit sollte man in Deutschland auch die Frage nach 2036 diskutieren.
Olympisches Feuer: Sie haben in dieser Woche den Abschluss über die Medienrechte für die Olympischen Spiele von 2026 bis 2032 mit der EBU (Europäische Rundfunkunion), Warner Brothers Discovery und dem IOC bekannt gegeben. Ein großer Deal für das IOC?
Thomas Bach: Das ist eine innovative und jetzt in eine neue Form gegossene bewährte Zusammenarbeit, die wir faktisch vorher schon in Teilen hatten. Discovery war unser Partner, der uns in der digitalen Welt geholfen hat, neue Zielgruppen zu erschließen. Discovery hat dann in vielen Ländern die TV-Rechte an Mitglieder der EBU sublizensiert. Weil wir nun Warner Discovery und die EBU in einem Boot haben, können jetzt noch mehr Synergien entstehen. Durch die digitalen Kanäle finden die jungen Leute Zugang zum Sport und zu den Spielen, während über das Fernsehen andere Zielgruppen abgeholt werden. So wird die Verbreitung über alle Generationen hinweg gestärkt. So kann Olympia eine Art Lagerfeuer sein, um das sich alle versammeln. Generationen schauen gemeinsam Olympia, aber jeder auf seiner Plattform.
Olympisches Feuer: Welche Bedeutung hat dies für die Olympischen Spiele?
Thomas Bach: Zwei der weltweit führenden Medienunternehmen sorgen für eine unübertroffene Übertragungskompetenz und Reichweite. Dies ist ein Beweis für die anhaltende Attraktivität der Olympischen Spiele. Da das IOC 90 Prozent seiner Einnahmen weitergibt, sorgt diese langfristige Vereinbarung für die Stabilität in der gesamten Sportbewegung und unterstützt somit die Athletinnen und Athleten.
One thought
Es ist sehr anzuerkennen, daß das D.O.G.-Mitglied und verdienter Sport-Journalist Ewald Walker
seine Nähe zu Dr. Thomas Bach mit einem solchen Gespräch nützen konnte. Gerade auch für das ´Olympische Feuer`.
Leider wird jedoch das bis dahin gut aufgebaute Interview beendet, bevor es mehr in die Tiefe geht
und investigativ wird.
Wie war das mit der Nähe zu Chinas Staats-Präsident Xi Jinping (Träger des I.O.C.-Ordens) und immer noch stärkster Unterstützer Russlands ?
Wie ist das mit der stetig wachsenden Größe und dem Aufwand Olympischer Spiele, nicht nur hin zum, sondern schon bereits im Gigantismus (pro Spiele bis über zwanzig Milliarden Euro Organisationskosten), verbunden mit den unweigerlich damit verbundenen Umweltproblemen und infrastrukturellen Anforderungen (v.a. Luft- und Strassenverkehr durch Besucher, Funktionäre und Athleten aus aller Welt) ?
Ist es Aufgabe des I.O.C., einen “Olympischen Wald” wie im Senegal zu gründen und zu bepflanzen ?
Mit den seitens des I.O.C. ausufernden Veranstaltungen unter offiziell olympischem Namen wie einer E-Sports-Woche, Europa- und Jugendfestivals bzw. -veranstaltungen, welche das Interesse an der Einzigartigkeit Olympischer Spiele schmälern und langweilen. Eine Olympiade ist seit Alters her der vierjährige Zeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen und hat seinen Sinn darin, sich während dieser Zeit in Anstrengung und Ruhe darauf vorzubereiten, seien es die Organisatoren, seien es die Athleten. Das bringt Orientierung und Besinnung in die Welt, ihre Menschen und ihre Natur.
Und ob die modernen Kommunikations-Kanäle per technisch immer perfekteren Smartphones weltweit die Begeisterung der Menschen, insbesondere der Jugend für eine aktive Teilnahme am Sport hervorrufen und stärken, darf bezweifelt, zumindest durchaus hinterfragt werden.
Welche Sponsoren sind für das I.O.C. überhaupt nachhaltig – Automobil-Hersteller z.B. ?
Muß sich das I.O.C. nicht hüten, zum Promoter der Sportartikel-Industrie zu werden, indem wie durch die Winterspiele in Peking 2022 laut I.O.C. ca. 400 Millionen Menschen an den Wintersport (sehr oft auf künstlichem Schnee) herangeführt werden sollten ?
Was hat Dr. Bach dazu bewegt, das durch Coubertin abgesegnete olympische Motto ´Schneller – höher – weiter (wörtlich: stärker)`ganz offiziell mit ´Gemeinsam` zu erweitern. Hat er gespürt, daß ihm mit dem bisherigen Motto sein Anspruch auf Klimaneutralität bzw. Nachhaltigkeit der olympischen Bewegung und das Geschäft aus dem Ruder läuft ?
Und nicht zuletzt: Welche Rolle misst Thomas Bach der ihm durchaus bekannten ´Deutschen Olympischen Gesellschaft` (D.O.G.) zu ?
Michael Hakenmüller, 72379 Hechingen
Vorsitzender D.O.G.-Regionalgruppe Neckaralb
(07471/9301096)