Und wer macht Schiri?
Nachwuchsarbeit im Sport ist eine komplexe Angelegenheit. Erst recht, wenn es um junge Schiedsrichter geht. Selbst der Fußball leidet auf diesem Gebiet unter Generationsproblemen. Unverzichtbar, aber unpopulär: Kids wie der 14 Jahre junge Kay S., die sich dafür interessieren, Unparteiischer zu werden, sind eher die Ausnahme. Wir haben uns bei dem Schiri-Talent aus Brandenburg umgeschaut.
Von Frank Schneller und Lars Schneller
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Ein Fußballspiel unter Kindern und Jugendlichen ist schnell organisiert und auf die Beine gestellt, zwei Mannschaften rasch zusammengetrommelt. Drei gegen Drei. Fünf gegen Fünf.
Aber was ist eigentlich mit dem Schiedsrichter? Worauf auf Schulhöfen und Bolzplätzen gerne verzichtet wird, jedenfalls in der Freizeit, wirft bei näherer Betrachtung die Frage auf, woher denn dann all die Schiedsrichter*innen kommen, die später auf Verbandsebene, im Amateur- und Profibereich, unverzichtbar sind. Und womöglich genau aus diesem Grund auch irgendwie als selbstverständlich angesehen werden. „Ich mach Schiri“ – das hört man selten auf dem Bolzplatz.
Während Messi, Mbappé und Co. – Idole und Vorbilder für Millionen Kinder – durch ihre Genialität alle Blicke auf sich ziehen, sind die besten Schiedsrichter dieser Welt bekanntlich die, die während der 90 Minuten am besten gar nicht auffallen. Nur: Wer will das schon? Nicht auffallen.
Was veranlasst also einen Teenager, der seit seinem vierten Lebensjahr selbst im Verein aktiv ist – zunächst als Torwart, inzwischen als Feldspieler bei einem kleinen Verein im Brandenburgischen – dazu, regelmäßig Ball gegen Pfeife einzutauschen und sich stattdessen etwaigen Diskussionen, Zwischenrufen oder gar Beleidigungen von und mit Spielern, Trainern oder (über-) ehrgeizigen Eltern am Spielfeldrand auszusetzen? Neugierde. Kay S. (14), von dem hier exemplarisch die Rede ist, erklärt: „Ich wollte auch mal die andere Seite kennenlernen.” Und: Sein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, wie Kays Eltern unisono annehmen. Auch Verantwortungsbewusstsein lässt sich dem Fan von Greuther Fürth allemal nachsagen. Das schätzen Eltern, Großeltern und Freunde sehr an ihm. Dass er auch Klassensprecher ist, mag hingegen Zufall sein.
Einsatzhonorar nur eine nette Randerscheinung
Um neben Schule, Freundeskreis, Training, den eigenen Punktspielen am Wochenende und sonstigen Freizeitinteressen, die ein 14jähriger so hat, sich in jeweils zwei Schiedsrichter-Lehrgängen und Online-Kursen das Regelwerk und Einmaleins des Fußballs anzueignen, bedarf es schon ein hohes Maß an Ehrgeiz und Motivation. Darüber hinaus gibt’s bis zu 20.- Euro für einen Einsatz in der D-Jugend (Alter: zehn bis zwölf Jahre, Spieldauer: 2mal 30 Min.) – auch das Taschengeld aufzubessern, kann ja nicht schaden in dem Alter. Das allerdings ist für Kay kaum mehr als eine nette Randerscheinung. Zumal es bis zum ersten Einsatzhonorar eine ganze Weile dauert.
Vor rund einem Jahr erreichte ihn die Anfrage des Fußball-Landesverbandes Brandenburg durch seinen Vereinstrainer, der ihn später auch zur Schiri-Ausbildung angemeldet hatte. Die Theorie verwandelte Kay zwar erst im Nachschuss, aber abgesehen davon kristallisierte sich schnell heraus, dass er viele Voraussetzungen mitbringt für den Job an der Pfeife (wie war das mit dem Klassensprecher?). Lohn war der Schiedsrichter-Ausweis. „Und eine Erstausrüstung mit zwei Trikots, je einer Hose, Regenjacke, Stutzen, Pfeife und einem Karten-Set inklusive Quittungsblock für den Spielbericht sowie Notizkarten fürs Spiel“, erklärt Kay, durchaus ein wenig stolz. Was ebenfalls begünstigend hinzukam: Den jungen Unparteiischen entstehen keine zusätzlichen Kosten. Startkapital ist nicht notwendig. Dafür sorgt der Verband.
Anfangsnervosität hat sich gelegt
Ein paar Punktspiele sowie ein Turnier hat Kay schon geleitet – „die haben viel Spaß gemacht“, berichtet er, „auch meine Anfangsnervosität vor einem Einsatz hat sich mittlerweile gelegt“. Anders als beim Spiel mit seinem Team, wo er einer von elf ist, steht er als Schiri im Mittelpunkt. Eine falsche Entscheidung kann dann nicht von seinem Nebenspieler korrigiert werden – dessen ist er sich bewusst: „Damit kann ich umgehen“. Und lästige Zwischenrufe? „Kamen noch nicht vor, würde ich aber versuchen zu ignorieren“, sagt Kay. Was anstrengender ist? Noch pfeift er Spiele, die nur 60 Minuten dauern. „Aktuell ist das konditionell nicht so anspruchsvoll wie selbst zu spielen. Wenn ich aber mal ältere Jahrgänge pfeife und die Spiele länger dauern, wird das wohl anstrengender sein“, vermutet er. Weitermachen aber will Kay dennoch. Absehbar könnten dann auch Einsätze bei den Erwachsenen im unterklassigen Amateurbereich winken. Eine weitere Herausforderung, die er spannend findet.
Zu den Einsätzen fährt er – noch – mit dem Rad. Zur Jugendweihe bekommt er einen Motorroller, mit dem wird die Angelegenheit logistisch etwas einfacher. Auch die monatlichen Wissensabfragen des Verbandes nimmt er in Kauf. Vorbilder unter den Referees hat er zwar nicht, dennoch orientiert er sich – altersgetreu – an Nachwuchs-Schiri Pascal Martin, der unter dem Pseudonym ‚Qualle XC‘ auf Instagram und Tiktok für Fairness und Gerechtigkeit im Schiedsrichterwesen wirbt. Und gegen den Rückgang an jungen Unparteiischen kämpft. Der Fußball braucht Mädels und Jungs wie Kay S., denn: Trotz fortwährender Innovationen auf dem Spielfeld oder im ‚Kölner Keller‘ (VAR) wird es auch in Zukunft nicht ohne echte Spielleitung gehen.
Wie wird man (Nachwuchs-)Schiedsrichter? Quelle: dfb.de:
Mindestalter
Die Schiedsrichter-Ordnung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) empfiehlt ein Mindestalter von 12 Jahren. In einzelnen Landesverbänden wird hiervon abgewichen. In Niedersachsen zum Beispiel ist das Mindestalter 14 Jahre.
Weitere Voraussetzungen
Die Schiedsrichter-Bewerber müssen Mitglied in einem Fußballverein sein (u.a. damit Versicherungsschutz besteht), Interesse am Fußball haben und die Einsatzbereitschaft mitbringen, jährlich mindestens 20 Spielleitungen zu übernehmen und an Weiterbildungsveranstaltungen an acht bis zwölf Tagen pro Jahr teilzunehmen.
Ausbildung
Je nach Landesverband 20 bis 50 Unterrichtsstunden im Zeitraum von drei bis zwölf Ausbildungstagen innerhalb von einer Woche bis sechs Wochen. Dabei Einführung in die Grundzüge der Fußballregeln.
Prüfung
Schriftliche (Beantwortung von Regelfragen) und auch körperliche Prüfung (zum Beispiel 1300-Meter-Lauf in sechs Minuten).
Einsätze
Nach Prüfung, je nach Alter im Junioren- und auch schon im Senioren-Bereich, beginnend in den Basisklassen. Hierbei erfolgt in der Anfangsphase möglichst Betreuung durch erfahrene Kollegen (“Paten”).
Aufstieg
Bei Eignung können gegebenenfalls auf Kreis- und Bezirksebene zwei Klassen in einem Jahr übersprungen werden. Ab den Spielklassen der Landesverbände benötigt jeder Kandidat pro Spielklasse grundsätzlich ein Jahr. Bis in die Bundesliga sollen mindestens sechs bis acht Jahre veranschlagt werden. Die Eignung für die höhere Spielklasse wird durch Schiedsrichter-Beobachter festgestellt.
Finanzen
Die Sportkleidung wird normalerweise vom Verein gestellt. Die Fahrtkosten zu den Spielleitungen werden ersetzt, daneben gibt es abhängig von der Spielklasse Aufwandsentschädigungen zwischen fünf € (Schülerspiele), 300 € (Regionalliga), 1000 € (3. Liga), 2500 € (2. Bundesliga) und 5000 € (Bundesliga). Ab der Saison 2018/2019 erhalten FIFA-Schiedsrichter der Elite-Klasse nach einem neu geschaffenen Modell einen festen Betrag in Höhe von 80.000 Euro, FIFA-Schiedsrichter und die Schiedsrichter der Bundesliga mit mehr als fünf Jahren Erfahrung 70.000 Euro. Alle anderen Bundesliga-Schiedsrichter liegen bei 60.000 Euro, in der 2. Bundesliga sind 40.000 Euro vorgesehen. Für FIFA-Assistenten sind 45.000 Euro eingeplant, in der Bundesliga reduziert sich der Betrag auf 40.000 Euro und in der 2. Bundesliga auf 4500 Euro.
Erste Ansprechpartner
Über den Verein vor Ort, bei der örtlichen Schiedsrichter-Gruppe, bei den zuständigen Gremien der Kreise und Bezirke, beim zuständigen DFB-Landesverband vor Ort.