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Ein Leben lang

Es geht um Titel und Pokale, Auf- oder Abstieg. Ob in München, Dortmund, Leipzig, Frankfurt, Stuttgart oder Hamburg. Ob beim Final 4 der Handball-Champions League in Köln oder den Play-Offs um die deutsche Basketballmeisterschaft: Emotionen pur unter Millionen von Fans rund um die Showdowns der deutschen Sportligen, insbesondere die Saisonfinalspiele der Fußball-Profiligen. Hommage eines Fans an das Fan-Sein abseits des Fanatismus.

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Von Lars Schneller

 

Während das reale Leben immer schneller zu werden scheint, in dem Veränderungen, Anpassungsfähigkeit und Kompromissbereitschaft vorausgesetzt werden und nicht nur unseren beruflichen Alltag bestimmen, trotzt ein Ereignis nahezu überall auf der Welt Woche für Woche bedingungslos dem Lauf der Zeit. Stellt ein Phänomen für viele eine von nur wenig noch verbliebenen Konstanten im Leben dar: Die Liebe zu ihrem Verein! In guten wie in schlechten Zeiten … – ein Bekenntnis, das in manch anderen Bereichen des Lebens an Glaubwürdigkeit und somit an Bedeutung verloren hat, scheint (nicht nur) bei Fußball-Fans wie in Stein gemeißelt: Misserfolge, Skandale, Lügen, Intrigen, interne Machtkämpfe, steigende Eintrittspreise, Verschuldung, Insolvenz, Zwangsabstieg… Nichts was ein echter Fan nicht verzeihen würde! Und mitzumachen bereit wäre. Loyalität als Lebensinhalt.

Ähnliche Bekenntnisse, ähnliche Treue in den anderen Bereichen des Lebens – und die Welt wäre womöglich eine bessere! Umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass kaum eine andere Branche so sehr für den Werteverfall und die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit steht wie der Fußball: Kommerzialisierung, absurde Gehälter und Ablösesummen, blinder Aktionismus infolge von Erfolgsdruck und öffentlicher Erwartungshaltung, Vertragsbrüche, Abfindungen… Der Profisport als Spiegelbild der Gesellschaft. Der Fußball als Brennglas.

 

Emotionen sind nicht käuflich

Wie lässt sich bedingungslose Treue und ewige Verbundenheit zu einem Verein erklären, wenn die Gesichter, Vorbilder und Identitätsfiguren durch Trainerwechsel, neues Management, neuen Vorstand, neues Präsidium und neues Personal kommen und gehen? Wenn Stars infolge von Transfers nach und nach ausgetauscht werden und selbst das Stadion in das man als Kind regelmäßig an den Wochenenden ging, nicht mehr dasselbe ist?

Nun, womöglich sind es nicht zuletzt auch diese Veränderungen, die – dem Lauf der Zeit geschuldet –die Beziehungen zwischen Verein und Fan, Team und Anhänger – aufregend bleiben lässt. Die dafür sorgen, dass das Feuer niemals erlischt.

Die Antwort aber ist letztlich vergleichsweise noch einfacher: Liebe und Verbundenheit basiert auf Emotionen. Zwar ist der Fußball – ist der Profisport –längst ein Milliardengeschäft. Ein Produkt, das von uns Fans konsumiert und mit-finanziert wird. Doch im Gegensatz zu sportlichem Erfolg lassen sich Emotionen und Gefühle nach wie vor mit Geld nicht kaufen! Es sind die besonderen Momente. Die Augenblicke, die unter die Haut gehen. Das Gemeinschaftsgefühl. Freude, Leid, Hoffen, Bangen: Emotionen abseits des Alltags. Und doch so fest verankert in unserem Alltag. Meist in der Kindheit, zumindest in der Jugend begründet.

 

Ob bei der Aufstiegsfeier der Darmstädter Fußballer (siehe Foto oben) oder wie hier unter den Fans der Magdeburger Handballer: Die Liebe der Fans zu ihrem Team ist groß.

 

Eine Videokassette war‘s

„Danke Papa, dass Du mich damals mitgenommen hast!” Kaum etwas könnte die emotionale Bindung, den ersten Kontakt und das erste Erlebnis zu seinem Verein besser umschreiben, als dieser Druck auf diversen Fanartikeln – auch zu sehen in der Endphase der abgelaufenen Saison.

Meine Erinnerung reicht inzwischen 37 Jahre zurück; bis ins Jahr 1986. Als damals Fünfjähriger sah ich gemeinsam mit meinem zwölf Jahre älteren Bruder – früher Schalke-Fan, heute aus beruflichen Gründen zu Neutralität und Objektivität verpflichtet – mein erstes Fußballspiel im Fernsehen. Besser: auf einer ‚Video 2000‘-Kassette. Die Aufzeichnung des DFB-Pokal Klassikers von 1984, Schalke 04 gegen Bayern München. Endstand: 6:6 n.V. (dreimaliger Torschütze bei Schalke: der 18-jährige Olaf Thon). Das Reglement sah damals kein Elfmeterschießen, sondern ein Wiederholungsspiel in München vor, dessen Aufzeichnung ich direkt im Anschluss dann alleine schaute, da mein Bruder nicht mehr mitschauen wollte (wohl im Wissen, dass Bayern dieses mit 3:2 gewann) …

Wenn Thomas Tuchel unlängst vorgab, sich in sein Bayern-Team beim 0:3 in Manchester „schockverliebt“ zu haben, muss er annähernd empfunden haben, was diese Videoaufzeichnung seinerzeit mit mir machte.

Gleichermaßen prägend wie unvergesslich das zweite Schlüsselerlebnis: Halbfinal-Hinspiel im Europapokal der Landesmeister 1991, Bayern München gegen Roter-Stern Belgrad… Live. Mit nunmehr zehn Jahren das allererste Mal im (Olympia-)Stadion, knapp 70.000 Zuschauer und mit der EAV (Ersten Allgemeinen Verunsicherung) als Vorgruppe und musikalischem Intro in einen unvergesslichen Abend! Diese Aufregung, diese Vorfreude, der Olympiapark, das riesige Stadion… Gänsehaut.

Jeder echte Fan kann von solchen magischen Momenten berichten. Fast jeder zehrt davon. Sie dauern an und versöhnen. Man kann sich in sie zurückziehen. Im besten Fall wiederholen sie sich immer und immer wieder. Echte Fans brauchen dafür auch keine elf Meisterschaften in Folge. Sie steigen ab, wieder auf und wieder ab. Egal. Wo die Liebe hinfällt. Im Fußball bleibt sie.

Danke Bruderherz, dass ich damals mitschauen durfte.

 

Lars Schneller (42) ist kein gelernter Sportjournalist, doch sportbegeistert und leidenschaftlicher Fan. Einst selbst sportliches Multitalent (Handball, Fußball, Tennis, Leichtathletik), entdeckte er schon als Jugendlicher seinen Hang zum Texten – damals zu Musik. Heute greift er in die Tasten, um seine Gedanken rund um den Sport festzuhalten.

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