Homosexualität im Sport: „Öffentliche Coming-Outs spielen eine wahnsinnig große Rolle“
Im Herbst 2022 sorgte das Coming-Out von Bundesliga-Handballer Lucas Krzikalla deutschlandweit für Schlagzeilen. Der 29-Jährige des SC DHfK Leipzig war zu diesem Zeitpunkt der einzige offen homosexuelle Mannschaftssportler in Deutschlands männlichen Profiligen. Warum ist die sexuelle Orientierung im Jahr 2023 immer noch ein Tabu im Sport? „Im Sport ist bis heute oft ein stereotypes Männerbild verankert“, erklärt Dr. Birgit Braumüller. Im Interview spricht die Wissenschaftlerin, die am Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln lehrt, über die Entwicklung im Umgang mit Homosexualität im Sport, die Bedeutung von öffentlichen Coming-Outs sowie die Regenbogenbinde…
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Von Julia Nikoleit
Olympisches Feuer: Frau Dr. Braumüller, warum ist Homosexualität von Spitzensportlern immer noch ein so ein großes Thema?
Dr. Birgit Braumüller: Im Sport ist bis heute oft ein stereotypes Männerbild verankert. Sport gilt als die letzte Domäne, wo ein männlich-konnotiertes Verhalten akzeptiert wird. Das macht es für Personen, die diesem stereotypen Männerbild nicht entsprechen, schwieriger, dort teilzuhaben – wie beispielsweise schwulen Sportlern, denen immer noch ein feminines Verhalten und Aussehen unterstellt wird. Homosexualität ist daher besonders in stereotypen Männersportarten wie Fußball oder Handball noch immer ein Tabu.
Olympisches Feuer: Könnten Sie das etwas genauer erläutern?
Dr. Birgit Braumüller: Vermeintlich männliche Eigenschaften wie Kraft, Stärke und Durchsetzungsfähigkeit sind in diesen Sportarten erfolgversprechend. Außerdem ist der Sport anders als andere Gesellschaftsbereiche ein Raum, in dem körperliche Nähe relevant ist – beim Torjubel, in Umkleiden etc. Das ist eine Begründung, warum es im Sport bis heute Vorurteile, Ängste und Ressentiments gibt.
„Die Problematik liegt in erster Linie im Männersport“
Olympisches Feuer: Inwiefern unterscheidet sich der Umgang mit Homosexualität zwischen Frauen- und Männersport?
Dr. Birgit Braumüller: Man muss ganz klar differenzieren: Die Problematik liegt in erster Linie im Männersport, bei den Frauen ist ein recht offener Umgang mit Homosexualität zu sehen. Die Gedankenstruktur, die schwulen Sportlern eine Nähe zur Weiblichkeit unterstellt, spricht ihnen ab, in einem körperlichen und kraftbetonten Sport zu reüssieren. Bei Frauen ist das genau andersherum: Wenn man in die Geschichte blickt, gehören Frauen qua Geschlecht nicht zum Sport. Lesbische Sportlerinnen, denen oft eine Nähe zu typisch männlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen zugesprochen wird, passen daher ein stückweit besser zum Sport.
Olympisches Feuer: Gibt es dieses Denken tatsächlich noch?
Dr. Birgit Braumüller: Man kann sich teilweise nicht vorstellen, wie starr Geschlechterrollen noch immer sind. Menschen, die vor 40 oder 50 Jahren großgeworden sind, sind mit einer ganz anderen Geschlechterordnung aufgewachsen. Das macht es für einige Menschen schwer, den gesellschaftlichen Wandel komplett zu verinnerlichen. Es ist zu hoffen, dass die Offenheit wächst.
Olympisches Feuer: Was machen die Vorurteile, Ängste und Ressentiments mit homosexuellen Sportler:innen?
Dr. Birgit Braumüller: Wir haben in unserer Studie OUTSPORT herausgefunden, dass tatsächlich 20 Prozent der LGBTQ+-Befragten ihre Sportarten nicht ausüben, weil sie Angst vor Diskriminierung, Ausschluss und negativen Kommentaren haben; es findet also häufig ein Rückzug statt. In anderen Studien zeigt sich, dass dabei die eigene Mannschaft am wenigsten problematisch ist, denn wenn man Leute kennt, gibt es weniger Ressentiments. Es ist vor allem die Angst vor gegnerischen Fans und Spieler:innen.
Aus dem Profisport weiß man zudem, dass oft nicht offen damit umgegangen wird. Das haben auch Befragte aus dem Breiten- und Leistungssport in unserer Outsport-Studie angegeben. Sie verstecken sich und gehen nicht an die Öffentlichkeit, weil sie negative Folgen erwarten, wenn sie offen mit ihrer Homosexualität oder Geschlechtsidentität umgehen.
„Öffentliche Outings haben hohen Vorbildcharakter“
Olympisches Feuer: Gibt es Zahlenmaterial, wie viele Sportler:innen der LGBTQ+-Community angehören?
Dr. Birgit Braumüller: Meines Wissens nach gibt es keine Zahlen. Es wird von fünf bis zehn Prozent in der Bevölkerung ausgegangen. Für den Frauensport mag diese Angabe übertragbar bzw. höher sein, auf den Männersport bezogen lässt sich das allerdings nicht herunterbrechen.
Olympisches Feuer: Welche Bedeutung haben öffentliche Coming-Outs von bekannten Sportler:innen?
Dr. Birgit Braumüller: Öffentliche Coming-Outs von bekannten Sportlerinnen und Sportlern, die medial positiv begleitet werden und in der Öffentlichkeit positiv aufgenommen werden, spielen eine wahnsinnig große Rolle – gerade für die Menschen, die sich in dem Prozess befinden, ob sie an die Öffentlichkeit gehen oder nicht. Wenn diese Personen sehen, dass es bei prominenten Sportler:innen problemlos vonstatten geht, hat das einen hohen Vorbildcharakter. Das haben wir auch in unserer Studie gesehen: Unsere LGBTQ+-Befragten haben als wichtigste Strategie im Kampf gegen Homo- und Transfeindlichkeit gesagt, dass es wichtig ist, dass Sportstars mit gutem Beispiel vorangehen.
Olympisches Feuer: Wie wichtig sind Aktionen wie die Regenbogenbinde und Kampagnen für Toleranz und Offenheit?
Dr. Birgit Braumüller: Im ersten Schritt sind die Regenbogenbinde oder ähnliche Signale und Kampagnen sehr wichtig, weil so auf das Thema aufmerksam gemacht wird und die Öffentlichkeit sensibilisiert wird, aber das reicht nicht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Sportverbände sich ein bisschen darauf ausruhen, wenn jemand eine Regenbogenbinde trägt. Das ist auch wichtig, um das Thema in die breite Bevölkerung zu tragen und zu zeigen, dass der Sport offen ist, aber es braucht weitere Schritte wie Schaffung inklusiver Strukturen und deren tatsächlicher Umsetzung. Es darf nicht nur dabei bleiben, eine Flagge aufzuhängen.
„Es geht um Dialog und darum, Zeichen zu setzen“
Olympisches Feuer: Was könnte jeder Sportverein selbst tun?
Dr. Birgit Braumüller: Die Sportvereine sollten nicht alleine entscheiden, welche Strukturen sie aufbauen, sondern in den Austausch mit der LGBTQ+-Community gehen, welche Ansatzpunkte es gibt und welche Bedarfe aus der Community heraus kommuniziert werden. Es geht um Dialog. Es ist auch wichtig, ein Zeichen zu setzen, indem die Anti-Diskriminierung beispielsweise in der Satzung des Vereins verankert wird und auf der Homepage ein positives Signal gesetzt wird, das alle unabhängig von sexueller Orientierung, Identität und beispielsweise auch Hautfarbe willkommen sind.
Olympisches Feuer: Und darüber hinaus?
Dr. Birgit Braumüller: In der Umsetzung sind die Trainer:innen ein ganz zentraler Schlüssel. Die Vereine müssen ihren Trainer:innen Handwerkszeug mitgeben, wie man sensibel spricht und wie man inklusiv mit homosexuellen oder Non-Cis-Athlet:innen umgeht. Eine Forderung an die Verbände wäre es, das Thema in den Ausbildungsstrukturen ihrer Trainer:innen zu etablieren, um Hilfestellung zu geben statt Überforderung zu schaffen, indem man die Trainer:innen alleine lässt. Funktionen mit Vorbildcharakter wie Trainer:innen und Vorstandsmitglieder können über ihre Einstellung und ihr Handeln viel bewirken.
Olympisches Feuer: Wie hat sich der Umgang mit Homosexualität im Sport bzw. homosexuellen Sportler:innen entwickelt?
Dr. Birgit Braumüller: Es gibt eine grundsätzlich positive Entwicklung im Umgang mit Homosexualität im Sport. Es gibt eine stärkere Thematisierung und eine stärkere Sensibilisierung für die Bedarfe von LGTBQ+-Sportler:innen und wir sehen im Profisport immer wieder Coming-Outs, die positiv aufgefasst werden. Auch immer mehr Verbände und Vereine nehmen sich des Themas an und versuchen, die Entwicklung voranzutreiben. Es gab 2022 beispielsweise zum fünften Mal die Bundesnetzwerktagung des queeren Sports, in dem queere Sportvereine, Verbände, Politik und Wissenschaft zusammenkommen. Das ist ein positives Zeichen.
Olympisches Feuer: Welche Rolle kann der Sport spielen, um Vorurteile abzubauen, Diskriminierung entgegenzuwirken und Toleranz zu schaffen?
Dr. Birgit Braumüller: Dem Sport wird per se unterstellt, integrativ und inklusiv zu wirken und Möglichkeiten zu schaffen, dass alle teilhaben können. Es ist jedoch ein Irrglaube, dass sich das einfach so ergibt. Die Wettkampfstrukturen des Sports fördern ein Gegeneinander; faire Zugangschancen sind ein großes Thema. Der Sport muss in Zukunft einen Weg finden, um mit all seinen Facetten inklusiv wirken zu können. Der Sport schafft vielfältige Begegnungsmöglichkeiten. Es kommt nicht auf Sprache oder Bildung an, sondern man findet über Fähigkeiten und Interesse Zugang. Der Sport hat wahnsinnig viel Potenzial.