Ich bin Robin.
Robin Luth ist Handball-Torhüter, angehender Grundschullehrer – und transident. Vor zwei Jahren begann der 23-Jährige mit seiner Transition, der Sportverein war in der schwierigen Zeit eine wichtige Stütze für ihn. „Wenn meine Mannschaft damals nicht so gut auf mein Coming-out reagiert hätte“, sagt Luth, „wäre ich nicht der Mensch, der ich heute bin – so glücklich und zufrieden mit mir selbst.“ Gleichwohl bleibt Transidentität im Sport ein kontroverses Thema. Während Verbände und Vereine um den richtigen Umgang ringen, fordern Aktivisten: Die Teilhabe am Sport muss für alle Menschen möglich sein.
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Von Julia Nikoleit
Im Sommer 2021 konnte Robin Luth die eigenen Ausflüchte nicht mehr ertragen. Wochenlang hatte der Handballer seinen Mannschaftskolleginnen bei der HSG Kastellaun Simmern erzählt, dass er nächste Saison nicht spielen könne. Zu viel Stress. Über den wahren Grund schwieg sich der damals 21-Jährige hingegen aus: Wenige Monate zuvor hatte er sich eingestanden, dass er transident ist. Gegenüber seiner Familie und seiner besten Freundin hatte sich Luth zu diesem Zeitpunkt schon geoutet, nun wollte er mit der Hormontherapie beginnen.
Diese Entscheidung, davon war Luth überzeugt, würde ihn seinen Sport kosten. „Ich war mir sicher, dass ich aufhören muss“, erinnert er sich. Der Handball fußt – wie der organisierte Sport generell – auf einer zweigleisigen Ordnung; es gibt Männer- und Frauenmannschaften. Wie er als trans* Mann in dieses System passen sollte, konnte sich Luth nicht vorstellen.
Oft erfolgt der Rückzug aus dem Sport
Dr. Birgit Braumüller begegnet diese Unsicherheit immer wieder. „Im Sport ist die binäre Einordnung oft zwingend notwendig. Das macht es für trans, inter und nicht-binäre Athlet:innen schwierig, weil sie sich nicht zuordnen können oder wollen oder die Zuordnung, die sie selbst vornehmen, aufgrund von geltenden Regularien nicht akzeptiert wird“, sagt die Wissenschaftlerin, die am Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln lehrt.
Die Folge ist oft ein Rückzug vom Sport – wie ihn auch Luth erwog. „Wir haben in unserer Studie OUTSPORT herausgefunden, dass tatsächlich 20 Prozent der LGBTQ+-Befragten ihre Sportarten nicht ausüben, weil sie Angst vor Diskriminierung, Ausschluss und negativen Kommentaren haben“, bestätigt Braumüller. Gerade trans* Athlet:innen machen am häufigsten negative Erfahrungen: „Sie sind die vulnerabelste Gruppe im Sport.“
Ich bin trans. Ich bin Robin.
Den Handball aufzugeben, wäre für Luth ein harter Einschnitt gewesen: Seit der Grundschule trug Luth das Trikot der HSG Kastellaun Simmern, engagierte sich als Jugendtrainer, der Sport prägte seine Freizeit. Als seine Mitspielerinnen an jedem Sommerabend vor anderthalb Jahren erneut nachfragten, warum er aufhören wolle, entschied er sich für die Wahrheit: „Ich bin trans. Ich bin Robin.“
Robin: Diesen Namen hat Luth sich ausgesucht, nachdem er sich selbst eingestanden hatte, dass er trans ist. Das war ein langer Prozess. „Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich immer irgendwo im Hinterkopf gehabt, aber ich wollte nicht darüber nachdenken“, gibt er zu. Als Kind trug er kurze Haare, spielte mit den Autos seiner Brüder und wurde aus einer Mädchentoilette rausgeschmissen, weil man ihn für einen Jungen hielt. Wenn Luth heute davon erzählt, ist seine Stimme fest; er kann sogar darüber schmunzeln, denn „so unrecht hatten sie ja nicht“. Den Schmerz und den langen Kampf, der hinter ihm liegt, kann man nur erahnen.
Während des Stillstands der Corona-Pandemie konnte sich Luth vor den eigenen Gedanken nicht mehr verstecken. Als er nach Monaten des Grübelns im Januar 2021 seiner besten Freundin gegenüber das erste Mal aussprach, dass er ein Mann ist, schickte sie ihm nach dem Telefonat kommentarlos einen Screenshot ihres Telefonbuchs: Dort stand über seiner Telefonnummer Robin statt seines Geburtsnamens, der in diesem Text auf seinen Wunsch ungenannt bleiben soll. „Dort Robin zu lesen“, sagt er heute, „war ein so gutes Gefühl.“
Auch seine Handball-Mannschaft unterstützte Luth bedingungslos. Der Trainer übernahm den neuen Namen sofort („mein Geburtsname ist ihm nicht einmal rausgerutscht.“) und Luth konnte, während sich der Beginn der Testosteron-Behandlung durch die lange Wartezeit auf einem Facharzt-Termin verzögerte, weiter in der Frauenmannschaft spielen. „Ich bin diesen Menschen so dankbar“, sagt Luth. „Sie haben mir in einer für mich krassen Zeit unglaublich geholfen.“
Dass das nicht selbstverständlich ist, weiß Luth, der sich in Internetforen und sozialen Netzwerken viel mit anderen trans* Menschen austauscht. Deshalb hat er sich auch entschieden, sich auf diesen Text einzulassen. „Ich möchte anderen trans* Menschen zeigen, dass sie keine Angst haben müssen“, sagt er. „Das Geschlecht anzugleichen und die Mannschaft zu wechseln ist ein riesengroßer Schritt, aber meine Geschichte zeigt, dass es funktionieren kann.“
Den Sport für alle Menschen möglich machen
In der öffentlichen Debatte ist Transidentität im Sport oft mit dem Leistungssport verknüpft; die Fälle von Leichtathletin Caster Semanya, Gewichtheberin Laurel Hubbard oder Schwimmerin Lia Thomas sorgten für Schlagzeilen. Trans* Athlet:innen „fordern scheinbar den zentralen Wert der Fairness heraus – gerade bei trans Frauen, denen im Vergleich zu cis-geschlechtlichen Frauen ein körperlicher Vorteil zugeschrieben wird“, sagt Wissenschaftlerin Braumüller. „Da wird sehr emotional diskutiert, wie man mit dieser Herausforderung der Fairness umgeht.“
Wie die Geschichte von Luth zeigt, muss jedoch auch der Amateursport völlig abseits der Debatte über Medaillen und Testosteron-Grenzwerte eine Antwort finden, wie er mit seinen transidenten Mitgliedern umgehen will. Laut dem Bundesministerium des Innern und für Heimat sind ca. 24 Millionen Menschen in rund 91.000 Turn- und Sportvereinen aktiv. Zahlen, wie viele von ihnen transident sind, gibt es nicht. „Dem Sport wird per se unterstellt, integrativ und inklusiv zu wirken“, sagt Braumüller, fügt jedoch hinzu: „Es ist ein Irrglaube, dass sich das einfach so ergibt.“
Denn abseits von verbalen Beleidigungen und Mobbing ist auch strukturelle Diskriminierung ein großes Problem für trans* Sportler:innen. Es fehlen beispielsweise adäquate Umkleide- oder Duschmöglichkeiten, sie haben mit Bekleidungsvorschriften zu kämpfen oder können aufgrund des Spielrechts ihres Verbandes ihren Sport nicht im Wettkampf ausüben. „Der erste und wichtige Schritt – gerade im Breitensport – sind inklusive Richtlinien“, nennt Braumüller eine grundlegende Forderung der queeren Community.
Ein positives Beispiel in Deutschland ist, ausgerechnet der Fußball. Seit dieser Saison dürfen trans* Fußballer:innen selbst entscheiden, ob sie in einem Frauen- oder einem Männerteam spielen. Das ist auch ein Verdienst von Christian Rudolph. Das Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) leitet seit 2021 die Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt des Deutschen Fußball-Bundes. Er nennt die Neuformulierung im Spielrecht „einen Meilenstein“.
Soziales Umfeld ganz wichtig – und somit auch der Sport
„Uns war eine klare Regelung des Spielrechts für trans, inter und nicht-binäre Personen wichtig, um Diskussionen zu vermeiden und Rechtssicherheit zu schaffen“, fasst er zusammen. „Außerdem war ein entscheidender Punkt, dass kein Mensch wegen einer Geschlechtsangleichung mit Fußball aufhören muss.“ Die Transition sei „eine physische und psychische Veränderung, die oft mehrere Monate bis Jahre dauern kann. In diesem Prozess ist das soziale Umfeld ungemein wichtig und da gehört der Sport nun einmal dazu.“
Jede Woche erreichen die Anlaufstelle mehrere Anfragen von Vereins- oder Verbandsvertreter:innen. „Wir sehen, dass sich der Sport entwickelt“, freut sich Rudolph. Neben einem inklusiven Spielrecht ist für ihn die Sichtbarkeit entscheidend. Er wünscht sich Ansprechpersonen in den Landesverbänden, die Unsicherheiten nehmen können, Maßnahmen umsetzen und Trainer:innen sensibilisieren. „Die Verbände sind gefragt, den Sport möglichst diskriminierungsfrei zu organisieren“, fordert er. Die mediale Debatte über Transidentität im Leistungssport findet er hingegen „völlig überzogen“, wie es der Berliner ausdrückt. „Der Fokus sollte auf den Vereinen in der Breite liegen, denn dort ist die Masse der Sportler:innen aktiv.“
Für das Problem der Einordnung von trans* Athlet:innen in das binäre Sportsystem haben jedoch weder Fußballer Rudolph noch Wissenschaftlerin Braumüller ad hoc eine Lösung. „Es gibt nicht den einen Königsweg“, sagt Braumüller, die für den Breitensport genau die Selbstidentifikation empfiehlt, die der Fußball umsetzt. Zudem wird in Einzelsportarten teilweise bereits die Wertungskategorie divers eingesetzt. „Man muss verschiedene Dinge wie Mixed-Teams oder eigene Turniere ausprobieren und gucken, was angenommen wird“, glaubt auch Rudolph. „Dabei muss das Credo sein, dass alle Menschen die Möglichkeit bekommen, ihren Sport auszuüben.“
Das gleiche Spiel
Im Einzelfall kann das manchmal einfacher sein als man denkt: Im Dezember 2022 steht Robin Luth das erste Mal nicht für seinen Heimatverein aus dem Hunsrück zwischen den Pfosten, sondern trägt das Jersey des SC Janus Köln. Für sein Studium zog der angehende Grundschullehrer in die Rheinmetropole; sein neuer Klub ist der älteste queere Sportverein in Europa.
„Ich wusste, dass ich nicht mehr bei einer Damenmannschaft spielen will, wenn ich Hormone nehme“, sagt Luth. Er bekommt inzwischen seit zehn Monaten Testosteron, seine Stimme ist tiefer geworden. Über Google stieß er auf den SC Janus, im Oktober trainierte er das erste Mal mit. „Die Würfe sind bei den Männern ein bisschen fester, ich muss früher reagieren, aber es ist immer noch das gleiche Spiel.“
Seinen Spielerpass von weiblich auf männlich umzuschreiben, war keine Hürde. Dem zuständigen Handballverband Mittelrhein reichte eine Kopie des Ergänzungsausweises; einem mit dem Personalausweis gekoppelten Dokument, dass trans* Menschen beantragen können. „Ich bin positiv überrascht, wie einfach das war“, freut sich Luth. Der Deutsche Handballbund hatte seine Spielordnung im Vorjahr angepasst.
In seiner Wahlheimat Köln hat sich Luth längst eingelebt. Im Sommer geht es mit dem SC Janus zum Handball-Turnier nach Madrid, das im Rahmen des dortigen Pride Festivals stattfindet. Auch auf die Abschlussfahrt der HSG Kastellaun Simmern wird er mitfahren. „Am Anfang dachte ich, dass durch das Coming-Out mein Leben zerbricht“, sagt Luth. „Ich dachte, dass ich kein Lehrer werden und kein Handball mehr spielen kann. Jetzt mache ich beides und bin viel glücklicher mit meinem Ich, als ich es je war.“