Vom Risiko medialer Präsenz und der Kraft des – wahren – Teamgeists.
Interview, Teil 2
Anke Naefcke, HR-Business-Coach, systemische Beraterin und Mentalcoach für junge Athletinnen und Athleten, weiß als ehemalige Top-Handballerin um die Dynamiken innerhalb eines Teams – und um die äußeren Einflüsse auf die Homogenität einer Gruppe. Im zweiten Teil des Interviews spricht sie über die Herausforderungen der DFB-Auswahl bei der WM. Diese trat die weite Reise nämlich mit vielen weiteren Themen an. Welche Effekte das auf die Expedition des Rekord-Europameisters haben kann, erklärt die Hamburgerin hier.
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Von Frank Schneller
Olympisches Feuer: Das DFB-Team kämpft gefühlt fortwährend um Anerkennung, mehr mediale Aufmerksamkeit, bessere Bezahlung und Gleichberechtigung. Schweißt das auch zusammen und setzt Kräfte frei – oder kann das behindern bzw. ablenken von der sportlichen Aufgabenstellung?
Anke Naefcke: Etwas, was man schon lange verdient hätte und was auf einem langen Weg nun endlich honoriert wird, löst erstmal einen kleinen Moment von Zufriedenheit aus – weil vor allem der sportliche Erfolg sichtbar wird. Zufriedenheit kann auch Trägheit auslösen. Nicht bei dem aktuellen Team – es ist jung und neugierig, eher auf dem Forscherkurs und sehr selbstbewusst. Momentan kann ich die Tragweite der medialen Präsenz, der Spielerinnen-Präsentationen in den sozialen Netzwerken noch nicht abschätzen. Aber ich sehe mögliche Risiken, die die Leistungen beeinflussen können. In Bezug auf die angestiegenen Zuschauerzahlen und das öffentliche Standing, tragen die Spielerinnen noch leichte Rucksäcke auf Ihren Schultern, die mit Sympathie, Anerkennung und Stolz befüllt sind. Was aber, wenn die Vorrundenspiele nicht erfolgreich laufen?
Verlorene Spiele erzeugen Erfolgsdruck, aus dem „wir könnten“, wird „wir müssen“. Aus einem eigenen Anspruch heraus, die Öffentlichkeit nicht zu enttäuschen und der Sorge, wieder Aufmerksamkeit zu verlieren, besteht das Risiko sich eher funktional und rigide Abwehrmechanismen aufzubauen, Kreativität und Spielfreude treten dann in den Hintergrund, werden sozusagen überlagert von dem sich selbst auferlegten Pflichtprogramm. Auch wenn völlig klar ist, dass das Leben, egal in welchem Kontext, nicht nur aus positiven Feedbacks bestehen kann.
Das Team wird während des gesamten Turniers von außen in Verantwortung genommen, die mediale Erwartungshaltungen werden mit mehr oder weniger Nachdruck zu medialen Forderungen. Soziale Netzwerke Fragen nicht, ob ein Kommentar ethisch vertretbar ist. Diese Medien werden sich mit ungefilterten Meinungsbekundungen füllen und nicht objektiv sein.
Olympisches Feuer: Und darin liegt eine Gefahr?
Anke Naefcke: Wir Menschen sind alle kränkbar. Dann werden die symbolischen Rucksäcke schwerer und nehmen den Spielerinnen die Leichtigkeit, werden zu Ballast. Wer läuft schon gern vorwärts mit viel Gewicht auf dem Rücken.
Ich denke, keine Spielerin, kein Team richtet die eigene Spielweise während des Turniers nach den Ansprüchen und Forderungen der Medien aus. Die sportliche Leitung des Teams bestimmt das Geschehen auf dem Platz und trägt die Verantwortung für die Entlastung der Spielerinnen. Werden die Rücksäcke schwerer, ist eine besondere Sensibilität aufzubringen, die Beziehungsarbeit im Team zu verstärken. Ein Risiko für die Spielerinnen, von denen dann Transparenz erwartet wird. Warum? Eine geringer werdende Vulnerabilität könnte zur Folge haben, nicht aufgestellt zu werden. Wenn die Psyche zu sehr belastet ist, wird man stressempfindlicher und durchlässiger für negative Gefühle. Das heißt, ein negativer Impuls, den es zu kompensieren gilt, bedarf doppelter oder dreifacher Denkschleifen, bis ein „es ist OK“ entstehen kann und dass „falsch“ sich korrigiert.
Gleichzeitig erfordert es von den Spielerinnen viel Achtsamkeit und Ehrlichkeit. Erfahrene Spielerinnen haben sich in diesem Lernfeld erprobt – jüngere Spielerinn eher nicht. Denn: Wer kennt es nicht? Ich will immer spielen, immer aufgestellt werden und eigentlich auch die komplette Spielzeit durchspielen. Dafür blende ich alles aus, bis zu dem Moment, in dem man für die Erstaufstellung benannt wird. Ich bin dann nur bei mir, nicht beim Team und nicht bei möglichem Spielversagen. Das kann aber eintreten, wenn die Achtsamkeit verloren geht. Zwei, drei Stunden nach dem Spiel grübelt man sich durch alle Szenarien und am Ende fühlt man sich nicht unbedingt gestärkt und gibt sich selbst die Höchststrafe, nicht im Interesse der Mannschaft gehandelt zu haben.
Diese Mechanismen können bei mangelndem Erfolg durch dann zu erwartende mediale Kritik und unzureichender Transparenz über die eigene emotionale Verfassung ausgelöst werden. Ich sehe eher Risiken, die Mediale Präsenz auslösen kann.
Olympisches Feuer: Wie wichtig ist dabei die – interne – Kommunikation, ein Kompass? Die DFB-Frauen sind permanent auf einer Art Mission. Ihre Spiele sind – siehe oben – fast immer gesellschaftlich aufgeladen. Denn der Erfolg des Frauenfußballs hierzulande ist unmittelbar mit dem Erfolg der DFB-Auswahl verknüpft.
Anke Naefcke: Die Spielerinnen müssen aus meiner Sicht selbst entscheiden, wieviel gesellschaftliche Verantwortung sie übernehmen wollen und können. Das ist sicherlich für die jüngeren Spielerinnen ein Lernfeld. Hierfür benötigen sie klare Vorgaben: Was darf ich mitbestimmen, wo ist meine Grenze erreicht, für welches Thema möchte ich Botschafterin sein? Ich denke, dass der Erfolg des Frauenfußballs unmittelbar mit dem Erfolg der DFB-Auswahl verknüpft ist, ist ein so großes erfolgsabhängiges Vermächtnis, was nicht auf dem Rücken der Spielerinnen abgeladen werden darf. Hierfür sollten Botschafter*Innen stellvertretend für den Frauenfußball eintreten. Ich würde mich hiervon als aktive Spielerin abgrenzen und diese Art von Rucksack ablehnen.
Olympisches Feuer: Wie wird man den los? Wie geht man damit um?
Anke Naefcke: Das kommt darauf an, aus welcher Perspektive die Spielerinnen sich betrachten. Sie müssen sich fragen, ob sie die richtigen Adressaten für die Vermächtnisse des Frauenfußballs sind. Vermächtnisse, die einem aufgebürdet werden, ohne dass eine Mitbestimmung möglich war, lösen Stress aus. Je nach Persönlichkeitsstruktur entwickelt der Mensch Strategien zur Stressbewältigung. Nicht immer mit einem positiven Ergebnis. Manche Menschen reiben sich auf bis zum Kollaps, andere Wiederum betrachten es als Herausforderung, nehmen den Wettkampf an und dann gibt es auch noch die Persönlichkeiten, die innerlich gar keinen Druck annehmen.
Wichtig ist, konstruktive Bewältigungsstrategien zu entwickeln, die zu einem persönlich passen. Die erste Abgrenzung kann beispielsweise über die innere Haltung entstehen: Ich lasse mich nicht instrumentalisieren oder manipulieren. Dann ist es wichtig, eine klare Entscheidung für sich selbst zu treffen, die unantastbar bleibt. Gestützt werden solche Strategien durch die Akzeptanz der Teamleitung. Die Kommunikation hierüber sollte ausschließlich intern erfolgen, in einem geschützten Rahmen. So entsteht Sicherheit. So lässt sich die Verantwortung eingrenzen und Themen werden an andere Empfänger delegiert.
Olympisches Feuer: Alle sprechen davon und predigen ihn: Den Teamgeist. Aber was ist das eigentlich, wie erlangt man ihn und wie zeichnet er sich aus?
Anke Naefcke: Da bleibe ich gleich mal bei einem Wortspiel: Ist das Team ein Geist? Wie sieht er aus, beschützt oder erschreckt er mich? Ein guter Teamgeist bewirkt beides. Es gibt viele Analysen, welche Persönlichkeitsstrukturen besonders leistungsfähige Teams ausbilden können. Hier geht es um Leistung und Erfolg. Solche Teams funktionieren in diesem künstlich arrangierten System aber nur azyklisch. Mein Verständnis von einem guten Teamgeist ist, wenn er für den Betrachter sichtbar wird, fühlbar erscheint und ich emotional mitschwingen kann. Dann hat sich etwas von dem Teamgeist auf mich übertragen.
Im Spiel sind es für mich die kleinen Gesten auf dem Feld, anerkennende oder aufmunternde Aktionen, Berührungen, mimische Reaktionen, Körpersprache, Patriotismus, Tränen, laute Freudenbekundungen, die ich als Teamgeist erlebe. Eine Art der Ausdrucksweise, die mit zwischenmenschlichen Gefühlen zu tun hat, authentisch und ehrlich mit einer besonderen Intensität.
Die Spieler*Innen sind gegenseitig voneinander fasziniert. Das löst unendlich viele Endorphine aus. Wenn sich Spieler*innen und Trainer*Innen auf dieser zwischenmenschlichen Ebene begegnen und ergänzen, ohne ihre Rollen aufzugeben, würde ich das als echten Teamgeist bezeichnen.
Olympisches Feuer: Lässt er sich herbei predigen?
Anke Naefcke: Appelle an den Teamgeist, das Team soll Verantwortung übernehmen und die Forderungen, sich mal auf den Teamgeist zu besinnen, sind dabei völlig ineffektiv. Wenn ich kein Team habe, gibt es keinen Teamgeist. Der Teamgeist entsteht meines Erachtens intrinsisch, wächst mit Vertrauen, maximaler Akzeptanz und absoluter Loyalität gegenüber den Teammitgliedern. Das Team fühlt sich als starke Einheit.
Und da bin ich bei dem Schreckensmoment: Solche Teams wirken erschreckend stark und übermächtig auf die Gegner. Ein Team mit diesem Potential ist anderen Teams sozio-emotional zumeist überlegen – und gewinnt mit einem zusätzlichen Geist, der mit der Mannschaft aufläuft.