Quo Vadis, Sportdeutschland?
Zwischen DFB-Desaster und Basketball-Sternstunden, Leichtathletik-Blamagen und Olympia-Träumen, Systemfragen und Budget-Kürzungen: Der deutsche Sport offenbart sich in einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft ebenso: Gespalten. Nun soll eine neue Agentur die Fördergelder steuern. Ist das die Lösung für die Identitätskrise? Eine kommentierende Einordnung zum Ende eines Sommers, in dem nur der WM-Titel der Handball-Junioren und der Basketballer sowie das kurzfristige Revival Rudi Völlers etwas Aufbruchsstimmung erzeugten.
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Von Hans-Joachim Lorenz und Frank Schneller
Es passte irgendwie ins Bild: Während die mit viel Fachwissen, Empathie und klarer Ansprache von Trainer Gordon Herbert orchestrierten deutschen Basketballer WM-Gold gegen Serbien holten, verkündete der DFB die Trennung des seit Monaten taumelnden Cheftrainers seiner vor vielen Jahren erfolgreichen Nationalmannschaft, Hansi Flick.
Sternstunden hier, Trauerspiel(e) dort. Sportdeutschland, ein gespaltenes Land. Spiegelbild der deutschen Gesellschaft und der Politik, die sich mit echten Reformen und stringenten Strategien genauso schwertut wie die großen nationalen Dachverbände. Dabei wäre es sogar geschönt, zu behaupten, der deutsche Sport würde aktuell irgendwo zwischen diesen Extremen hin- und her pendeln. Nein. Im Jahr 2023 überwiegen die Misserfolge und Enttäuschungen bei weitem.
Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist immens: Zum WM-Titel der perfekt zusammengeschweißten Basketballer gesellen sich noch die Junioren-Handballer, die ebenfalls Weltmeister wurden, obendrein im eigenen Land, und die letzten Erfolge der Eishockey-Nationalmannschaft – um einige der wenigen erfreulichen Beispiele zu nennen.
Krisensommer: The trend is not our friend
Dem gegenüber stehen die kläglichen wie desillusionierenden Entwicklungen der Fußballnationalteams, ihr frühzeitiges Aus bei den letzten großen Turnieren: Missratene Missionen mit Ansage. Systematisches Scheitern. Dazu eine Leichtathletik-WM ohne auch nur eine deutsche Medaille, eine Ruder-WM haarscharf am Imageschaden vorbei, enttäuschte EM-Hoffnungen der Hockey- und Volleyball-Nationalteams … – und bisweilen entlarvende Diskussionen auf Funktionärsebene: Hier der ungeachtet des folkloristischen Tons von DFB-Vize Hans-Joachim Watzke beinahe schon philosophische Fußballstreit um die Jugendreform, dort der Diskurs rund um die ungenügenden Fördermittel für den deutschen Sport bei gleichzeitigen Bestrebungen, bei der Vergabe der Olympischen Spiele endlich mal wieder ein Wörtchen mitreden zu können.
Wie das alles zusammenpasst? Gar nicht. Wie derzeit so vieles nicht in Deutschland. Was wurde aus der Spitzensportreform von Bundesinnenministerium und DOSB nach den Spielen von Rio 2016 – Leistungssteigerung durch Kürzungen und Umverteilungen? Man muss sie als gescheitert betrachten. Knapp ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Paris.
Reform-Reform: Nicht ausreichende Korrekturen
Reaktion auf die (Identitäts-)Krise und gleichzeitig ein Eingeständnis eben dieser durch Dachverband und BMI: Die Reformierung der Reform*. Genauer: Die Gründung einer unabhängigen Sportagentur, die fortan über die Verteilung der Fördergelder entscheiden soll. Zudem soll laut Sportministerkonferenz das zuletzt stark in die Kritik geratene Potenzialanalysesystem ‚PotAS‘ weiterentwickelt und in die neue Sportagentur „integriert werden”. * Siehe Papier zur Neustrukturierung am Textende.
DOSB-Präsident Thomas Weikert sprach von einem wichtigen „Meilenstein zur Weiterentwicklung des Leistungssportsystems in Deutschland. Wir haben bei der Veröffentlichung des Grobkonzepts im November 2022 gesagt, dass die Spitzensportförderung in Deutschland flexibler, digitaler, innovativer und weniger bürokratisch werden soll. Diesem Ziel sind wir ein großes Stück nähergekommen.”
Ob sich pikante Konstellationen wie jene beim Speerwurf-WM-Finale dadurch künftig verhindern lassen? Olympiasieger Neeraj Chopras gewann auch dort Gold, während kein Deutscher aufs Treppchen kam. Trainer des Inders: Der deutsche Wurfcoach Klaus Bartonietz, 75 – in der Heimat offenbar längst nicht mehr gefragt.
Die für den Sport zuständige Innenministerin Nancy Faeser wird solche Ungereimtheiten kaum vor Augen haben, wenn sie jetzt mit Blick auf die neue Agentur und die Abkehr des Bundes von der Streichung von rund 27 Millionen Euro für den Sport erklärt: „Wir wollen sportliche Höchstleistungen auf Top-Niveau ermöglichen. Dafür brauchen wir die besten Trainingsbedingungen, gezielte Förderung und weniger Bürokratie für die Verbände.”
Komfortzonen erkennen und hinterfragen
Soviel zum bürokratischen Ansatz, der Misere beizukommen und Bürokratismus abzubauen. Reicht das? Gewiss nicht. Einsparungen teilweise wieder kassieren – das mag ein Hoffnungsschimmer sein. Doch es geht um viel mehr. Weil Sport auch Emotion ist, Spaß machen muss, weil Leistung Spaß machen muss und Spaß Leistung erzeugt, gehört mehr dazu als eine Task Force nach der anderen, egal wie man sie verkleidet oder nennt. Der Sport braucht neben alten, aber nicht veralteten Tugenden auch neue Impulse. Und neue Vorbilder. Die besten deutschen Basketballer sind in der NBA aktiv. Weit weg im Alltag. Man muss daher hoffen, dass die Gastgeberrolle bei Handball- und Fußball-EM 2024 zusätzliche Energiequellen werden, aus denen der deutsche Sport schöpfen kann.
Ein Umdenken muss indes nicht nur rund um die Leistungssportlerinnen und -Sportler einsetzen. Sondern bisweilen auch unter den Aktiven selbst. Eine Mentalitätsdiskussion darf vor ihnen nicht haltmachen. In jedem Bereich müssen sich alle Beteiligten (hinter-) fragen, wie viel – und sei es nur unterbewusst eingerichtete – Komfortzone da eventuell zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegt.
Einen starken Hinweis darauf lieferte gerade die DFB-Auswahl, die mit dem 90-Minuten-Interims-Motivator Rudi Völler ausgerechnet gegen Vizeweltmeister Frankreich ihre Dauermisere unterbrach. Nicht zuletzt auch, weil sie sich nicht mehr hinter ihrem hoffnungslos überfordert wirkenden Trainer verstecken konnte. Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz.
Der oftmals entrückt wirkende DFB und seine zuletzt Antiwerbung betreibenden Auswahlmannschaften sind natürlich eine eigene Geschichte. Das liegt nicht zuletzt an den Einkommensverhältnissen der Profis. Doch ist die Gehälter-Diskrepanz allein kein Ausschlusskriterium für eine Einbeziehung des DFB in das Gesamtbild des deutschen Sports. Schließlich verdienen vor allem die für den Basketball-WM-Titel unverzichtbaren deutschen NBA-Profis sehr viel Geld. Und waren trotzdem hungrig auf Erfolg.
Gefragt: Neue Impulse und intrinsische Motivation
Vor allem mit Blick auf die Flick-Nachfolge und die Verpflichtung von Andreas Rettig als Geschäftsführer – in ihm hat man sich immerhin mal jemanden ins Haus geholt, der gerne Reibung erzeugt – passt der DFB sogar gut in den Kontext. Denn: Mentalitätsfragen – um nicht immer gleich den Charakter von Leistungssportlerinnen und Sportlern anzuzweifeln, wenn es nicht läuft – sind eng verknüpft mit handelnden Personen in der jeweiligen Struktur der Aktiven. Mit Impulsen und Vorgaben.
Bedarf es einer großen Portion intrinsischer Motivation, wie weiter oben angemahnt? Selbstverständlich. Doch auch das Umfeld spielt eine entscheidende Rolle. Trainerinnen und Trainer. Berater. Und Funktionäre, die keine Schreibtischtäter sind, die es ernst meinen. Bis heute trauert man nicht nur beim DOSB beispielsweise Persönlichkeiten wie Helmut Meyer oder Ilse Bechthold nach, weil es von deren Sorte nicht mehr viele gibt: so nah am Sport, mit hoher Akzeptanz bei den Aktiven. Mit Leib und Seele dem Spitzensport verschrieben. Vom Fach.
Jemand wie Bahnrad-Olympiasiegerin und DOSB-Vizepräsidentin Miriam Welte. Sie offenbart jene Basisnähe und jenen Realismus, die Voraussetzungen für gelebtes und nicht nur opportun zur Schau gestelltes Verständnis für die Belange der Aktiven sind. Mit Blick auf die drohenden Mittelkürzungen hatte Welte unlängst erst Bekenntnisse der Politik und Gesellschaft zum Spitzensport, zu Olympischen Spielen in Deutschland, zu einer Rundumerneuerung des deutschen Sports gefordert. Aber eben auch das nötige Mindset bei den Aktiven: „Zum Teil fehlt uns wirklich die Leistungsbereitschaft.“
Fazit für und Botschaft an Aktive wie Funktionäre: Das Sommermärchen der Basketballer darf nicht davon ablenken, dass der Sport hierzulande derzeit an allen Ecken und Enden krankt. Sein gesellschaftlicher Stellenwert wird zunehmend unterminiert. Die drohenden oder bereits vorherrschenden Folgen für unsere Gesellschaft – Stichwörter: Gesundheit und Prävention – sind unübersehbar. Um die Krise zu überwinden, sind Führungsqualitäten gefragt, Verantwortungsbewusstsein und ein echtes Bekenntnis zum (Spitzen-)Sport hierzulande. Sonst ist dieser nicht nur Spiegelbild unserer Gesellschaft, sondern, fernab mangelnden Selbstwertgefühls aufgrund fehlender Erfolge, auch ein ernstes Problem für sie.
3 thoughts
Besonders lesenswert in diesem Zusammenhang ist auch dieses Interview bei FAZ+: https://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/spitzensport-reform-lsb-chef-aus-baden-wuerttemberg-im-interview-19263421.html
Zum ursprünglichen Thema hier ein spannender Beitrag, den uns freundlicherweise Uli Derad, Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes Baden-Württemberg, aus den LSV-BW-Medien als Reaktion auf unsere Zustandsbeschreibung zugeschickt hat:
„Die Diskussionen über die Zukunft des
Spitzensports in Deutschland und seine
Strukturen sind im vollen Gange. Baden-
Württemberg geht seinen eigenen Weg,
wie in einem Gespräch zwischen Sven
Rees, Leistungssportdirektor Leichtathletik
Baden-Württemberg, Tim Lamsfuß,
Leiter Olympia-Stützpunkt Stuttgart,
und Ulrich Derad, Hauptgesch.ftsführer
des Landessportverbandes Baden-Württemberg,
deutlich wird.
Herr Rees, bei der U20-Leichtathletik-
EM in Jerusalem hat Deutschland mit
23 Medaillen, darunter achtmal Gold,
den ersten Platz im Medaillenspiegel
belegt. Bei der WM in Budapest gab es
zuletzt keine Medaille. Wie ist das zu
erklären?
Sven Rees: Das Niveau bei einer U20-EM
ist sicher nicht vergleichbar mit dem einer
WM bei den Aktiven. Aber beim Nachwuchs
sind wir als Landesverband noch
viel näher an den Athleten und ihren Trainern
dran. Zwischen der U20 bis in die
Weltspitze haben wir im Anschlussbereich
in Deutschland zu viele Störfaktoren.
Welche sind das aus Ihrer Sicht?
Rees: Am meisten Störpotenzial ist durch
die verschiedenen Trainertypen gegeben
– Bundestrainer, Bundesstützpunkttrainer,
Landestrainer, Verbandstrainer,
Heimtrainer, Kompetenzteamtrainer. Bei
dieser Fülle an Trainern verliert der Athlet
leicht die Orientierung. Diese Trainer verstehen
sich auch nicht als Förderpartner,
sondern häufig eher als Konkurrenten.
Wenn sich nicht alle hinter das gemeinsame
Ziel stellen, diesen Athleten oder diese
Athletin an das Weltniveau zu führen,
sondern ein Konkurrenzkampf zwischen
Bundes-, Landes- und Heimtrainer stattfindet,
dann wird dieser junge Mann oder
diese junge Frau dieses Ziel nicht erreichen
können.
Gehört es nicht zur elementaren
Aufgabe von Trainern, Athleten besser
zu machen?
Rees: Klar ist es ein Ziel. Aber wenn wir uns
die Voraussetzungen anschauen, unter
denen ein Bundestrainer angestellt ist, ich
denke an Vierjahresverträge, Kettenverträge
und so weiter, dann ist er zum Erfolg
verdammt. Dieser Erfolg wird bei Bundestrainern
mit Disziplinverantwortung nicht
ausreichend bemessen an der Entwicklung
der Disziplingruppen, sondern am
persönlichen Erfolg mit Athleten. In dem
Moment, an dem der Lebensunterhalt dieser
Trainer abhängig wird von der Performance
von Athleten, ist man nicht mehr
Förderpartner.
Sondern?
Rees: Die Anstellungsvoraussetzungen bei
bundesfinanzierten Trainern sind einfach
so, dass häufig nicht nach der individuell
besten Lösung für den Athleten, sondern
eher für den Trainer gesucht wird.
Ulrich Derad: Dies ist bezeichnend für die
gesamte Situation im deutschen Spitzensport.
Ein Problem stellt das Potenzialanalysesystem
(PotAS; die Redaktion) Strukturen
über alle Sportarten dar. Es gibt keine
Korrelation von Struktur und Erfolg. Sollen
aber Potenziale bemessen werden, müssen
die sportartspezifischen Besonderheiten
mitberücksichtigt werden. Wie soll das
anders funktionieren? Strukturen in der
Rhythmischen Sportgymnastik müssen
andere Schwerpunkte haben wie in der
Leichtathletik oder wie in Spielsportarten,
um erfolgreich zu sein.
Sie sehen in PotAS kein Potenzial?
Derad: Ich finde, dass man das mal auf
den Prüfstand stellen muss. Nehmen wir
doch einfach drei Beispiele: Die Leichtathletik
wurde als potentialreichste Sportart
eingestuft – das Ergebnis hat man in Budapest
gesehen. Gleichzeitig hat man Basketball
kein Potenzial attestiert. Auch die
Rhythmische Sportgymnastik rangiert
ziemlich am Ende. Beide waren in den vergangenen
Wochen bei Weltmeisterschaften
mit dem Titel bei den Männern oder
fünf Goldmedaillen durch Darja Varfolomeev
sehr erfolgreich. Da ist es doch berechtigt
und zwingend notwendig, nicht
nur das Analysesystem infrage zu stellen,
sondern auch die gesamte Struktur. Ich frage
provokant: Sind wir überhaupt auf dem
richtigen Weg?
Rees: PotAS steht den Bedürfnissen des
Sports – Flexibilität, Variabilität, Mitteleinsatz
– völlig entgegen. Jeder Verband unterhält
sich fast ausschließlich über Kennziffern
und was man ausfüllen muss, damit man
am Ende ein finanzielles Auskommen hat.
Über Trainingsgestaltung unterhält sich niemand
mehr.
Aus welchem Grund?
Rees: Weil man, ich übertreibe, 48 Stunden
am Tag am Schreibtisch sitzen und
Fragebögen ausfüllen muss, damit irgendjemand
bemessen kann, wie viel Geld man
bekommt. Das alles hat mit Sport und Leistungssport
überhaupt nichts zu tun.
Was könnte helfen?
Derad: Nehmen wir die USA als Beispiel.
Von den Medaillengewinnern trainieren
dort sehr viele. Da gibt es eine unheimlich
große Konkurrenz unter den Colleges. Da
gibt es keinen zentralen Plan, wer was zu
tun und wer was zu lassen hat. Das sind
alles internationale Trainingsgruppen. Es
geht um Zulassen, nicht um Verhindern.
In einer davon, an der Universität in
Austin, trainiert Zehnkämpfer Leo Neugebauer
aus Leinfelden-Echterdingen.
Rees: Für Leo war es der absolut korrekte
Weg. Er hat in Austin das gefunden, was
er gesucht hat mit der Betreuung, mit den
kurzen Wegen zwischen Studium und
Training. Das passt für ihn. Das passt aber
nicht für alle.
Tim Lamsfuß: Der nächste findet vielleicht
sein Glück im Trainingszentrum Papendal
in den Niederlanden. Oder er findet es an
einem Olympia-Stützpunkt in Baden-Württemberg.
Wir müssen uns davon lösen, dass
es die einzige Lösung im Leistungssport
gibt.
Derad: Es sind immer individuelle Lösungen,
weil wir mit Menschen arbeiten.
Der Versuch über ein Potenzialanalysesystem
Strukturen in alle Sportarten zu bringen,
negiert, dass jeder Mensch und jede
Sportart anders ist.
Sie haben das Trainingszentrum in Papandal
angesprochen. Dies gilt in der
Diskussion als Nonplusultra. Ist es das?
Derad: Wir schauen immer zu den anderen.
Wir schauen, was England macht. Wir
schauen, was Frankreich macht. Wir schauen,
was Holland macht. Aber wir leben in
Deutschland. Wir leben in einer Gesellschaft,
die sehr pluralistisch ist, die sehr individualisiert
ist. Lasst uns doch innerhalb
unserer gesellschaftlichen Möglichkeiten
agieren. Und nicht immer kopieren.
Rees: Unsere Ressourcen sind ja so schlecht
nicht, wir nutzen diese nur nicht ausreichend.
Im Gegensatz zu ausländischen
Athleten. Hürden-Olympiasieger Hansle
Parchment aus Jamaika hat sich in Stuttgart
auf die WM vorbereitet und Silber gewonnen,
Alina Rotaru-Kottmann trainiert seit
acht Jahren bei einem Coach des VfB Stuttgart
und holt Bronze – für Rumänien.
Lamsfuß: Dafür gab’s vom deutschen
Sport immer wieder einen auf die Mütze
mit dem Hinweis: Ein Bundesstützpunkt ist
keine internationale Trainingsstätte.
Rees: Völlig vergessen wird dabei, dass die
Athleten voneinander profitieren. Vergessen
dürfen wir auch nicht, dass die deutschen
Topathleten in ihren Vereinen gar
nicht mehr auftauchen. Wir müssen die
Frage stellen: Wie ist denn der Link zwischen
dem Landesverband, dem Bundesstützpunkt
und den Vereinen?
Wie lautet Ihre Antwort?
Derad: Man muss das gar nicht so kompliziert
machen. Momentan wird ja diskutiert,
dass die leistungssportorientierte
Vereine fehlen. Das mag zum Teil so sein.
Dann lasst uns daran arbeiten, dass es die
gibt. Lass uns Möglichkeiten schaffen, dass
die Vereine es tun wollen und können. Das
Thema Ganztag kommt zudem mehr auf
uns zu. Wir haben in den Sportvereinen in
Baden-Württemberg den seit langer Zeit
höchsten Organisationsgrad bei Kindern
und Jugendlichen. Wir haben tolle Teilnehmerzahlen
bei „Jugend trainiert für Olympia
und Paralympics“. Jetzt gilt es das zu
transportieren, zu motivieren, Möglichkeiten
zu schaffen.
Rees: Ein konkretes Beispiel. Im Stützpunktkonzept
des DOSB gibt es ein Schaubild, in
dem der DOSB im Zentrum allen Handelns
steht. Ganz weit außen kreisen die Athleten.
In Baden-Württemberg haben wir
dies, zumindest in der Leichtathletik, umgedreht.
Für uns steht das direkte Umfeld – Athlet, Trainer, Eltern,
Verein, Trainingsgruppe – im Mittelpunkt. Wenn man dann
noch Vertrauen organisieren kann von diesem direkten
Umfeld in die Landesorganisation oder die Bundesorganisation,
dann hat man gewonnen. Nur dann ist Beratung möglich.
Sport muss Vertrauen zu den Unterstützern drumherum herstellen.
Nur wenn wir das verstehen, können wir anfangen zu beraten.
Zum Glück haben wir in Baden-Württemberg das nötige
Vertrauen zu und von den allermeisten. Wir werden gefragt.
Aber schon in der nächsten Etappe findet das zu wenig statt.
Warum scheitert es da?
Derad: Die zentralen Prinzipien für unsere
Gesellschaft sind Subsidiarität und Föderalismus.
Das wird teilweise als störend empfunden.
Das ist aber eine Stärke. Die Steuerung innerhalb
des Föderalismus ist, zugegeben, extrem herausfordernd.
Es ist aber möglich. Über Verhandlungssysteme
und über echte Partnerschaft.
Wird Innovation durch Bürokratie kaputtgemacht?
Derad: Durch überbordende Bürokratie
und durch Machtanspruch.
Wir reden über das System mit Bundesund
Landesstützpunkten. Welche Rolle
spielen die Olympia-Stützpunkte?
Lamsfuß: Das unterscheidet sich von Stützpunkt
zu Stützpunkt, von Region zu Region.
Unsere Aufgabe ist es, dass wir einfach
eine Infrastruktur in hoher Qualität
zur Verfügung stellen. Diese sollen die Athleten
nutzen, die denken, dass dies ihnen
einen Mehrwert und sie persönlich weiterbringt.
Derad: Die Olympia-Stützpunkte können
mit ihrer Strahlkraft in die Region und in
die Vereine inspirierend wirken. Nicht nur
für Landeskaderathleten, sondern auch für
Vereine. Auch für Schulen und Schulsportwettbewerbe.
Sie können diese beraten.
Wir praktizieren dies hinter den Kulissen
mit Landesmitteln mehr und mehr.
Lamsfuß: Jetzt stelle man sich mal vor, wir
hätten am Olympia-Stützpunkt sportartübergreifend
freie, flexible Mittel zur Verfügung.
Wie man das auch immer organisiert,
könnten sich die Sportarten treffen
und besprechen, wer welche Schwierigkeiten
hat und wie man sich gegenseitig
helfen kann. Dann schaffen wir eine Atmosphäre
des gegenseitigen Vertrauens.
Das Gespräch führte Klaus-Eckhard Jost“
Sehr geehrter Herr Lorenz, sehr geehrter Herr Schneller,
danke für Ihren jüngsten Bericht über ´Quo vadis Sportdeutschland`
im ´Olympischen Feuer`.
Nach meiner Beobachtung und mit vier Kindern im Gepäck einer Familie
muß ich allerdings hinzufügen, daß sich bei dem von Ihnen aus Ihrer Sicht
beschriebenen Dilemma die ersten spürbaren Auswirkungen einer Smartphone-Generation und -Gesellschaft zeigen, welche nach meiner Beobachtung zumindest in Deutschland immer weiter vorangetrieben und perfektioniert wird, schon ab der ersten Klasse Grundschule (und wohl bald auch schon Ende der Kindergarten-Zeit) eine vollständige Digitalisierung erreicht werden soll.
Flach ausgedrückt: Warum soll ich mich da noch vom Sofa aufmachen ?
Und wie fraglich die bereits schon vorhandenen digitalen Leistungs-Analysen und Technik-Verbesserungen sind, welche sich in vielen Interviews mit der Antwort offenbaren: “Das müssen wir jetzt erst sauber und eingehend analysieren”, zeigt sich anhand der jüngsten Erfolge der bundesdeutschen Nationalmannschaft, welche in der 100 Millionen Euro teuren DFB-Akademie in Frankfurt Frauen und Männern alle möglich fremdgesteuerten und roboterähnlichen Hilfsmittel zur Verfügung stellt, um gekonnt und gezielt, eben perfekt auf´s Tor schießen zu können, Pässe zu verteilen und taktische Vorgaben einzuhalten.
Nur was fehlt, sind eben Trainer, die selbst motivieren können, mit Fleisch und Blut, und die auch selbst das konnten und können, was sie anderen, ihren Spielern oder Schülern vorschreiben.
Und die selbst Spieler entdecken, anstatt dazu noch extra Scouts und Spielerbeobachter zu benötigen.
Und schon da hege ich an der Kompetenz von Julian Nagelsmann (weder National- noch Bundesligaspieler) – abgesehen von seinem irrsinnigen Gehalt im Voraus eines DFB, welcher sich finanziell übernommen hat – ernste Zweifel.
Im übrigen hat er außer einem deutschen Meistertitel keine weiteren nennenswerten Erfolge als Trainer aufzuweisen. Und mit den Spielern der teuer zusammengekauften Zirkus-Truppe de FC Bayern Deutscher Meister oder Pokalsieger zu werden, gelingt wohl auch jedem mittelmäßigen Trainer (meint ebenso Ihr resp. unser Kollege, der frühere ARD-Sportreporter Waldemart Hartmann (München)).
Franz Beckenbauer, kraft seiner Autorität, allemal das gekonnt zu haben, was er von seinen Spielern fordert, soll als Trainer des FC Bayern und vor allem der Nationalmannschaft vor einem Match oder gar noch vor Beginn der 2.Halbzeit gesagt haben: “Geht´s raus und spielt´s Fußball !”. Und: “Das Tor steht in der Mitte”.
Und daß die deutsche Nationalmannschaft nun gegen Frankreich gewonnen hat, ist doch insofern auffällig, daß der Vizeweltmeister über die meiste Zeit des Spiels hinweg wie mit angezogener Handbremse gespielt hat – Mbappé nicht einmal beim 0 : 2 eingewechselt wurde. Und sich die beiden Trainer nach dem Spiel überdurchschnittlich lange Zeit umarmt und unterhalten haben, nicht zuletzt sie ja auch Mannschafts-Kollegen bei Olympique Marseille waren.
Das legt den Verdacht nahe, daß der französische Nationaltrainer Deschamps sich selbst die Order gab oder von oben bekam, Deutschland wieder einmal gewinnen zu lassen, weil eine auf Dauer erfolglose deutschen Fußballnationalmannschaft mit dem wirtschaftlich lukrativen deutschen Publikum sich allgemein negativ auf die Einschaltquoten im TV und damit die finanziellen Gewinne aus den Übertragungsrechten wie auch auf die Umsätze auf dem Spielermarkt auswirkt.