Wenn schon, dann die richtige (Moral-)Debatte!
Haken an die drei Streifen: Der Kleidertausch des DFB –von Adidas zu Nike, hat nicht nur das Sportbusiness massiv durchgeschüttelt. Die ganze Nation scheint einen Kulturschock erlitten zu haben. Aber: Ist es moralisch verwerflich, wenn sich der DFB gegen Tradition und für (viel) mehr Geld entscheidet? Noch dazu in seiner Lage? Ein Kommentar.
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Von Frank Schneller
Die Nachricht – oder zumindest ihr Zeitpunkt – überraschte nicht nur Björn Gulden, den CEO von Adidas. Das ganze Land war, gefühlt jedenfalls, in Aufruhr: Der Deutsche Fußball-Bund wechselt von Adidas zu Nike.
70 Jahre Geschichte, Tradition, Loyalität – all das hielt den DFB nicht davon ab, ein besseres Angebot anzunehmen. Ein deutlich besseres. 50 Mio. – ehe Gulden nachzubessern versuchte und dennoch weit unter der Nike-Offerte blieb, wenn die kursierenden Zahlen stimmen – vs. 100 Mio. Euro. Jährlich. Bis in die Nachrichten zur Prime-Zeit schaffte es die Meldung. Sogar die Bundespolitik äußerte sich dazu. Seitdem freuen sich die Medien über den Schlagabtausch zwischen Frankfurt und Berlin.
Ab 2027 beginnt für alle – Fans, Medien, Beteiligte – die Entwöhnung. Haken an die drei Streifen. Stattdessen der Swoosh auf den Kleidern des größten Fußballverbandes der Welt. Okay: An die freie Schuhwahl innerhalb der Nationalteams – seit 2006 – hatte man ja Zeit, sich zu gewöhnen. Aber dieses neuerliche Markenbeben bedeutet mehr, ist es doch im Kontext zu sehen …
Ein Stück Kultur, das verloren geht?
In Zeiten wie diesen ist die aufgekündigte Partnerschaft mit einem Player wie Adidas für den Wirtschaftsstandort Deutschland – und eben nicht nur für Herzogenaurach, die Heimat der drei Streifen – ein denkbar schlechtes, ja mitunter sogar ein Alarm-Signal. Ist ökonomisch hierzulande auf gar nichts mehr Verlass? Wenn Adidas nicht mal mehr den DFB halten kann: Droht dann der Ausverkauf made in Germany?
Ob Wirtschaftsminister Robert Habeck auch ein wenig die Wellness- und Trainings-Oasen im Schatten des Adidas-Headquarters vor Augen hatte, als er sich mehr „Standortpatriotismus“ vom DFB gewünscht hatte?
Der Adidas-‚Homeground‘ war quasi als DFB-Campus light gebaut worden. In knapp drei Jahren wird der Konzern aus Mittelfranken ausschließlich andere Kunden und Partner in das dann einstige DFB-Refugium auf seinem Firmengelände einladen. Ein Stück Kultur, auch in der Kundenbetreuung, wird nach Meinung der Branchenkenner zwangsläufig verlorengehen. Natürlich wird unter Insidern auch über die Produktqualität in diesem Segment diskutiert.
Frontalattacke durch Nike letztlich marktüblich
Mehr noch: Der Ausrüsterwechsel hat bundesweit intensive Werte-Debatten ausgelöst. Nicht nur unter Wirtschaftsweisen. Es geht um Prinzipien. Auch um Moral.
Die von Nike ist hierbei zu vernachlässigen. Nike folgte den Gesetzen des Marktes. Wie es nun mal die Art des US-Giganten ist: Wuchtig. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Hätte Adidas umgekehrt gezögert? Hatte oder hat Adidas etwa einen anderen Kodex? Nein. Und: Nein. So viel Nostalgie und Romantik wäre Wunschdenken.
Auch ist es nicht verwerflich, dass der finanziell strauchelnde DFB sich fürs große und dringend benötigte Geld entschieden hat. Bei einer vorläufigen Vertragsdauer bis 2034 kann man sich die Gesamtsumme ja leicht ausrechnen. So funktioniert Marktwirtschaft. Ein Sittenverfall ist der Wechsel also an sich dadurch nicht.
Abserviert
Das ‚Wie‘ indes, sollte der Flurfunk stimmen, allerdings rechtfertigt sehr wohl eine Debatte. Den jahrzehntelangen Partner so zu düpieren, kommt einer Schmach gleich. So geht man nicht miteinander um.
Wenn Adidas-Boss Gulden tatsächlich am Tag vor der DFB-Verkündung von vorn herein umsonst in Frankfurt erschienen war, um den Nike-Deal zu verhindern, worauf vieles hindeutet, rücken auch die Gepflogenheiten des DFB in schummriges Licht. Einmal mehr. Und der Verband sieht darin, einmal mehr, nicht gut aus.
Ja, selbst wenn sich hier zu viel Dichtung mit der Wahrheit vermischt haben sollte: Die Stilfrage in Umgang und Außendarstellung seitens des DFB stellt sich allemal.
Hausgemacht: Ein Verband im Krisenmodus
Denn, und das ist der zweite wesentliche Punkt der ganzen Angelegenheit: Er hat sich über Jahr(zehnt)e mit Großmannssucht bis hin zur Hybris, Intransparenz und fortwährender Führungsschwäche systematisch in eben jene missliche Lage manövriert, die ihn nun dazu zwang, ausschließlich ans Geld zu denken.
Dass sich der DFB, selbsternannte Instanz in Sachen Moral und Deutungshoheit, im Zuge dessen moralisch erneut hinterfragen lassen muss, hat er vor allem – sich selbst zu verdanken. Von den sportlichen Fehltritten der letzten Jahre ist hier noch gar nicht die Rede.
Nike ist zweifelsohne ein ‚Coup‘ gelungen. ‚Right in your Face, Adidas‘, wird man sich im Headquarter in Oregon sagen und die Hände reiben. Mit den Glückwünschen aber mag sich hierzulande manch einer beim (zweiten) Blick auf den Partner in spe schwertun.
Moraldebatten anlässlich eines gängigen Ausrüster-Wettbewerbs zwischen dem Weltmarktführer (Nike) und der Nummer zwei (Adidas) muten derweil schnell bigott an.
One thought
Das ganze ist v.a. ein Scharmützel – über das sich v.a. die Presse freuen darf:Mal nicht nur über den Ausgang eines Kriegs wie in der Ukraine, sondern über viel harmlosere Dinge zu spekulieren und diskutieren.
Nike hat vorgelegt – und Adidas hat Zeit, bis 2027 (also noch fast drei Jahre) nachzulegen. Wetten, daß ?!
Außerdem: Erst mal abwarten, was die Fußball-EM im eigenen Land bringt – dann könnten dem DFB bald
wieder die Dienste der Schuh- und Trikotmacher aus dem Frankenland ganz dringend zu Diensten und Nutzen stehen. Denn daß sich Nike (griechisch: ´Sieg`) mit einem Loser schmücken will – (wohl nicht nur) allein mir fehlt der Glaube. Michael Hakenmüller (VDS), 72379 Hechingen, 07471/9301096