„Der Klimawandel wird die Alpen grundlegend verändern.“
Roland Stierle aus Böblingen ist seit 2022 Präsident des Deutschen Alpenvereins (DAV). Im Interview mit uns spricht der studierte Elektro-Ingenieur und frühere Top-Manager – u.a. – über seine Erfahrungen und was den Deutschen Alpenverein in Sachen Umwelt bewegt. Trotz aller Gefahren: Eintritt in die Natur bleibt für ihn ein Tabu.
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Von Michael Hakenmüller
Roland Stierle engagierte sich ehrenamtlich über 40 Jahre in Vorstandsaufgaben der Sektion Stuttgart, im Landesverband Baden-Württemberg und ist seit 2014 im Präsidium des DAV. 1869 in München gegründet, wächst der DAV auch unter Stierles Ägide an Mitgliedern immer weiter an und ist mit gut 1,5 Millionen Mitgliedern der größte Bergsportverband der Welt.
Im Interview spricht der studiere Elektro-Ingenieur und frühere Top-Manager über seine Erfahrungen und was den Deutschen Alpenverein in Sachen Umwelt bewegt – kurz vor den Olympischen Spielen in Paris, wo Bergsteigen wie schon in Tokyo 2021 (und wie auch schon bei den Spielen von 1924, 1932 und 1936 mit einem ´Bergsteigerpreis`) mit Kletter- und ´Boulder`-Wettbewerben als olympische Disziplin ausgezeichnet wird (aktuell ist, dass es zwei olympische Disziplinen gibt: die Kombinationsdisziplin Bouldern & Lead sowie die Disziplin Speed).
Olympisches Feuer: Welches war der schwierigste Grad, den Sie an einem Berg dieser Erde geklettert sind – und wo?
Roland Stierle: In der Hochphase meiner Kletterzeit in den 1970ziger und 80ziger Jahren war zuerst der sechste und später der siebte Grad das Maß aller Dinge und bezog sich auf Klettereien im alpinen Gelände, also mit schweren Bergstiefeln und Rucksack. Die Lacedelli Route an der Scotoni in den Dolomiten galt damals als schwerste Kletterei mit dem Grad 6+ und diese hatten wir 1974 bewältigt.
Olympisches Feuer: Glauben Sie auch, daß Bergsteigen in den vergangenen zwanzig Jahren zu einer Art ´Volkssport` geworden ist – nicht nur in Europa?
Stierle: Bergsteigen oder allgemein der Bergsport ist in den vergangenen Jahrzehnten geradezu explodiert. Das sehen Sie an den zahlreichen Kletterhallen, an dem intensiven Betrieb in den Sportklettergebieten wie beispielsweise am Gardasee oder auf Sardinien. Alpines Bergsteigen im extremen Bereich hat in den Alpen eher etwas nachgelassen, dafür ist das Trekking beispielsweise in Nepal sehr beliebt, wie auch das Wandern in unseren Bergen.
Olympisches Feuer: Worin sehen Sie die Gründe?
Stierle: Klettern ist eine fantastische Sportart, die den gesamten Körper mobilisiert, viele verschiedene Bewegungsabläufe verlangt und einen wachen Geist erfordert. Dazu kommen, wenn in den Bergen oder Felswänden betrieben ein Abenteuer- und Naturerlebnis. Wandern könnte vor allem bei jüngeren Menschen wieder so beliebt geworden sein, weil man es einerseits sportlich ausüben kann, andererseits auch meditativ.
Olympisches Feuer: Inwieweit hat die Popularität von Reinhold Messner einen Anteil daran?
Stierle: Messner hat durch seine viele Publikationen und Vorträge die Attraktivität sehr gefördert, selbst für so technisches Klettern wie Klettersteig gehen. In den 70ziger und 80ziger Jahren waren seine großartigen Erfolge am Berg auch sicher für viele Vorbild. Ich hatte ihn in den 70ziger Jahren kennengelernt und treffe ihn von Zeit zu Zeit auf Sigmundskron bei der Verleihung des Paul Preuß-Preises.
Olympisches Feuer: Kritiker meinen, Messner hätte erst die Hype für die Alpen in Gang gesetzt, deren Konsequenzen er jetzt anmahnt. Inwieweit stimmt das für Sie?
Stierle: Kann man so sehen.
Olympisches Feuer: Haben Sie schon einmal ein Buch der Bergfilmer und -steiger-Legende Luis Trenker gelesen?
Stierle: Den Trenker habe ich in Stuttgart bei einer Lesung noch selbst erleben dürfen, ein großartiger Erzähler, von dem ich etliche Bücher, beispielsweise. „Noch einmal alles gut gegangen“ gelesen habe.
Olympisches Feuer: Was hat Sie daran fasziniert?
Stierle: Es waren nette Geschichten, die man als Bergsteiger leicht nachvollziehen konnte. Besonders sein Buch ‘Der verlorene Sohn‘ mit dem dazugehörigen Film beeindruckt mich bis heute.
Olympisches Feuer: Schon 1970 warnt er in seinem mehrfach aufgelegten Werk ´Bergwelt Wunderwelt` vor der beginnenden Zerstörung der Alpen durch immer mehr Seilbahnen und Fahrtwege hinauf.
Stierle: Dieses Buch kenne ich leider nicht, aber mit der beginnenden Übererschließung lag er richtig.
Olympisches Feuer: Welches ist für Sie der schönste Berg der Erde? Und wo machen Sie eigentlich – wenn Sie Zeit dazu haben – am liebsten Urlaub?
Stierle: Für mich haben die kühnen 3 Zinnen in den Dolomiten die größte Bedeutung. Der Anblick von Norden lässt schon tolle Klettereien erahnen. Heute wandere oder klettere ich am liebsten mit der Ehefrau im Allgäu.
Olympisches Feuer: Fühlen Sie sich auf den Höhen der Alpen bzw. der Berge Gott am nächsten?
Stierle: Auf Gipfeln oder am Ende von Klettertouren fühle ich mich frei und beglückt. Gott bin ich in diesem Sinne nahe, dass ich das erleben darf.
Olympisches Feuer: Wenn Sie auf einer Berghütte einkehren oder übernachten, was ist dann dort ihr Lieblingsessen?
Stierle: In aller Regel bestelle ich das „Bergsteigeressen“, also Linseneintopf oder ähnliches. In Südtirol kann ich einem Speckbrot selten widerstehen.
Olympisches Feuer: Sollten noch weiter Berghütten in den Alpen gebaut werden?
Stierle: Wir halten die Alpen mit Infrastruktur, also Hütten und Wegen seit 50 Jahren für erschlossen. Neue, zusätzliche Hütten braucht es nicht.
Olympisches Feuer: Inwieweit hat der Umstand, dass Bouldern mittlerweile sogar eine olympische Disziplin ist, diese Art des Kletterns an künstlichen Bergen in Hallen befördert?
Stierle: Die enorme Attraktivität des Kletterns und Boulderns für Sportler und Zuschauer hat diese Disziplin olympisch attraktiv gemacht. Wenn sich dazu Erfolge bei olympischen Wettbewerben einstellen, könnte dies den Sport sogar noch weiter fördern. Vorbilder haben immer noch eine Anziehungskraft.
Olympisches Feuer: Reinhold Messner bezeichnete früher ´Bouldern` als “Kasperei”. Heute bezeichnet er es als “schönen Sport”. Was ist Ihre Meinung dazu?
Stierle: Bei Bouldern handelt es sich geradezu um eine artistische Sportart, die für Kletterer noch den großen Vorteil bringt, dass man es auch alleine – ohne Sicherungspartner – betreiben kann.
Olympisches Feuer: Tatsächlich könnte man ja sagen, die Boulderhallen schützen die Alpen, Denn wer den Nervenkitzel oder die Selbstbestätigung beim Bergklettern sucht, ist dort weit umweltverträglicher und auch sicherer unterwegs.
Stierle: Hallenklettern ist daher, weil in der Regel wohnortnah möglich, ökologisch und klimaschonend sinnvoll.
Olympisches Feuer: Wo sehen Sie die natürliche Gestalt der Alpen am meisten in Gefahr? Bergrutsch oder ihre Fauna und Flora? Der dramatische Rückgang der Gletscher?
Stierle: Der Klimawandel wird die Alpen grundlegend in ihrem Aussehen und als Lebensraum für Mensch, Pflanze und Tiere verändern. Der Temperaturanstieg führt beispielsweise in Österreich dazu, dass es in 40-50 Jahren keine Gletscher mehr geben wird, was u.a. den Wasserhaushalt und damit den Lebensraum verändern wird. Der rückläufige Permafrost wird die hohen Berge verstärkt erodieren lassen, Murenabgänge durch Starkregen lassen viel Wege unpassierbar werden.
Olympisches Feuer: Nun vermitteln ja – im übrigen sehr beliebte – TV-Serien wie ´Die Bergretter` oder auch ´Der Bergdoktor` den Eindruck, dass die Technik heutzutage so perfekt ist, dass man jedes Risiko in den Alpen eingehen kann, und man wird bei Unfällen doch immer rechtzeitig gerettet.
Stierle: Diese Sendungen schaue ich nicht an. Vor der Bergrettung habe ich größten Respekt, weil sie oft ihre Gesundheit wenn nicht Leben riskieren für die Unbedarftheit bzw. Dummheit anderer.
Olympisches Feuer: Sollte man sich wie beim Südtiroler Tourismusverband überlegen, für den Eintritt in die Berge eine Tages-Gebühr zu erheben?
Stierle: Ich kenne dieses Modell nicht, aber Eintritt in die Natur zu bezahlen ist für mich ein No Go!
Olympisches Feuer: Ein Blick auf die zweite olympische Disziplin, die eigentlich in den Bergen zuhause ist: Das Mountain-Biken. Auch wenn diese nicht im Bereich des Deutschen Alpenvereins liegt: Wo sehen Sie hier die Grenzen dieser mit technisch immer besseren, ja Elektro-Energie angetriebenen Fahrrädern in den Alpen?
Stierle: Für den DAV sind die Grenzen beim Moutainbiken klar gezogen: Nur auf Wegen oder ausgewiesenen Trails. Diese Regel gilt nur in bestimmten Ländern, z.B. Deutschland oder Österreich. In Italien oder Spanien ist es ganz anders. Also eigentlich meine ich, dass unsere Position in etwa so sein sollte: MTB ist eine hochtechnische Sportart, die viel Sensibilität im Umgang mit Natur und Mitmenschen erfordert; örtliche Regeln sollten unbedingt beachtet werden…
Für die meisten ist MtB eine Sportart. Für mich dann, wenn ohne Elektroantrieb gefahren wird, die am Berg viel Können verlangt. MTB mit Elektroantrieb wird vom DAV nicht unterstützt, aber es fahren viele damit auf Alpen zum Vespern – eigentlich gibt es da auch viele Nutzungsformen bis hin zum Crosscountry… Auch das kann man verstehen.
Olympisches Feuer: Erstmals von Ihnen gehört und gesehen habe ich in einer alle zwei Wochen veröffentlichten Sendung der Reihe ´Bergauf-Bergab` im Bayrischen Rundfunk. Gerade dort wird dieses Verhalten, mit dem MTB einfach so auf die Alpenhütten zum Vespern hinaufzufahren vielfältig dargestellt und – für mich zum Glück – noch kritisiert. Denn wie ich es auch bei den seit gut zehn Jahren touristisch intensiv beworbenen ´Traufwanderwegen` hier entlang der Abhänge der Schwäbischen Alb beobachte, werden die früher naturbelassenen Wege immer ausgetrampelter, dazu mit MTBs noch ausgefahrener, sodass sich mehr und mehr das Wurzelwerk offenlegt, welches ja diese Hänge eigentlich zusammenhält und ´vernäht`.
Auch in den Alpen muss so ein bequemes, auf schwäbisch ´faules` Erklimmen von Jausen-Stationen und Berghütten dazu führen, dass sich die Wege bald zu kleineren Straßen verbreitern, auf denen dann nur noch die Steine ´wachsen` und das Erdreich sich zurückzieht. Sie müssen dann immer wieder neu geschottert werde – was wiederum den betroffenen Kommunen weitere finanzielle Kosten verursacht–, damit sich die wirklichen Bergwanderer nicht die Füße und Knie verstauchen, und diese eigentlichen Freunde der Berge Lust und Freude daran verlieren, mit natürlichem Tempo ´von Hütte zu Hütte` zu wandern.
Stierle: Lassen Sie uns das diskutieren! Grundsätzlich soll nur auf geeigneten Wegen gefahren werden. In Baden-Württemberg gibt es die 2m-Regel, in Bayern müssen zwei Lenker aneinander vorbei gehen.Mit dem Vespern auf Alpen meine ich, daß man dorthin nur auf Fahrwegen mit dem MTB hinaufkommen sollte.
Olympisches Feuer: Was halten Sie in Zukunft angesichts der wachsenden Klimakrise für schädlicher für die Alpen: Den alpinen Skisport oder das Mountain-Biken?
Stierle: Schädlich bei beidem kann die Anreise sein, wenn sie nicht klimaschonend erfolgt. Alpiner Skisport auf bestehenden Pisten wie MTB auf Wegen sehe ich eher unproblematisch.
Olympisches Feuer: Fahren Sie selbst Mountain-Bike?
Stierle: Für mich ist das Fahrrad – um auch auf schlechten Wegen einigermaßen sicher fahren zu können nehme ich ein Mountain Bike – ein Fortbewegungsmittel, einfacher dienstlich Hütten zu besuchen.
Olympisches Feuer: Welche Sportarten werden Sie sich vor allem bei den Olympischen Sommerspielen in Paris am TV betrachten – oder vielleicht selbst vor Ort?
Stierle: Ich hoffe, Klettern kommt an prominenter Stelle, ansonsten finde ich den Zehnkampf der Leichtathletik ebenfalls sehr spannend.