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Sind Influencer die neuen Big Player der Sportbranche?

Blogger. Vlogger. Social Media. Wie umgehen mit der neuen ‚Spezies‘, die trotz viel Argwohn und Ablehnung seitens der klassischen Medien längst die Sportwelt mitbestimmen – und sie bisweilen sogar schon diktieren? Eine Einordnung aus der Perspektive Medienschaffender.

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT] 

Von Frank Schneller und Frank Heike

 

Johannes Golla, Julian Köster, Christoph Steinert – sie alle blieben stehen, am Ende der Interviewkette im Keller der Berliner Arena. Gerne sogar, obwohl sie doch schon alles gesagt hatten: Erst dem Fernsehen, dann dem Radio, dann den Printmedien. Jari Brüggmann mit seinem Smartphone in der Hand aber begegnete den Handballnationalspielern anders, entspannter: „Ich versuche einfach ein guter Gesprächspartner zu sein, stelle weniger kritische Fragen, dafür überraschende und manchmal frechere. Wie hast du heute Nacht geschlafen? Oder konfrontiere sie mit etwas absurden Beobachtungen. Ab und zu schicken mir Spieler auch selber Content-Ideen oder Beobachtungen“, erklärt der Social Media-Reporter. Expertise – Brüggmann spielt selbst Handball – plus Stallgeruch plus Begeisterung: genau diese Zutaten hatte Streamingdienst dyn vor der Handball-EM im Januar gesucht – und den Freelancer verpflichtet.

Die Frage nach Taktik, Gegner, Trainer mögen die klassischen Medien stellen. „Ich möchte den Handball bei dyn von seiner unterhaltsamen Seite zeigen“, sagt Brüggmann, „für die junge Generation brauchst du andere Formate als einen langen Zeitungstext“.

Als auf den ‚anderen Kanälen‘ im Mai junge Influencerinnen und Influencer, wohlgemerkt vom DFB akkreditiert, vergnügt Selfies aus dem Kölner Stadion, Schauplatz des DFB-Pokalfinales der Frauen, von sich veröffentlichten – in Teilnehmer-Leibchen („Bin jetzt offiziell Pressefotograf, haha“), war die Empörung im VDS mitunter groß. Der Stimmung unter klassischen Medien ebenso abträglich waren bei der Fußball-EM die gut gelaunten Filmchenmacher der saloppen Magenta-Clips, die Stadion, Presseraum und Pressekonferenz als Schauplatz nutzen. Sie flitzen herum im Auftrag der Deutschen Telekom, dem UEFA-Medienpartner.

Welten prallen aufeinander. Wirklich? Was auf den ersten Blick die essenzielle Frage aufwirft, ob Influencer*innen nicht inzwischen die neuen Journalist*innen sind, ist längst ‚normal‘ in einer Medienwelt, die sich rasant und unaufhaltsam weiterentwickelt. Die Studierenden des Masters Public Relations & Unternehmenskommunikation der Hochschule Ansbach widmeten jüngst exakt dieser Frage eine zweieinhalbstündige Diskussionsrunde (https://www.youtube.com/watch?v=rffrgYIqNYQ). Antwort auf die Frage? Ein klares: Jein. Denn letztlich kann sie nicht entkoppelt werden von der Erkenntnis, dass die ‚Sozialen Medien‘ längst Teil unserer Informationskultur sind. Zumal Influencer*innen nicht immer nur eine eigene Agenda verfolgen, sondern vielfach als Multiplikatoren verpflichtet werden – von Eventveranstaltern, Vereinen, Sponsoren. Alles ein riesiger Schmelztiegel. Mittendrin, übrigens: Die Stars selbst. Zu den erfolgreichsten Influencer*innen gehören schon lange die Aktiven. Viele von ihnen sind inzwischen größere Zugnummern auf Social Media als Abräumer auf dem Spielfeld oder auf der Tartanbahn.

Dr. Jana Wiske, Professorin für Ressortjournalismus und PR/Unternehmenskommunikation, erklärt: „Gerade im Sport übernehmen Athleten selbst die Rolle des Kommunikators. Veröffentlicht Cristiano Ronaldo eine Botschaft auf seinen Kanälen, kann in Sachen Reichweite kein klassisches Medium mehr mithalten. Zudem sind diese Botschaften für jeden Rezipienten via Social Media kostenlos zu empfangen. Warum dann noch in ein teures journalistisches Produkt investieren?“

Medienwissenschaftlerin Jana Wiske sieht, wie Kommunikation sich wandelt, auch und besonders in der Sportwelt.

 

Was die ehemalige Kicker-Redakteurin beschreibt, ist ein unaufhaltsamer Trend, dem sich die klassischen Medien ausgesetzt sehen. Ob es ihnen nun passt oder nicht – sie werden auf der Welle mitsurfen müssen. Eine Herabwürdigung gut ausgebildeter Berichterstatter*innen ist das – noch – nicht. „Das alles macht Influencer nicht zu „besseren“ Journalisten, ihre Meinungsmacht aber nimmt insbesondere bei der jüngeren Zielgruppe zu“, sagt Wiske, „der Journalismus muss sich hier ein Stück weit mitentwickeln und durch eigene Formate auf Social Media die jüngere Zielgruppe einfangen. Die Themen Unterhaltung, Interaktion, persönliche Nähe stehen hier hoch im Kurs. Die unabhängige Einordnung aber bleibt das höchste Gut.“

Womit bei allen Gemeinsamkeiten und verwischenden Grenzen die rote Linie gezogen scheint: Die Unabhängigkeit. Zudem: Die journalistische Ausbildung, natürlich. Die Sorgfaltspflicht, der Umgang mit Recherche und Gegenrecherche, das Produkt.

„Journalisten stehen in diesem Land weiterhin für eine unabhängige Berichterstattung, die Influencer so nicht leisten können und wollen. Aber: Will insbesondere die jüngere Zielgruppe diese objektive Einordnung noch, oder vertraut man hier eher auf Meinungsmacher, die diese Konsumenten mehr ansprechen – sei es durch Tonalität, unterhaltsame Aufmachung und die erzeugte persönliche Nähe? Auch die Reichweite der klassischen Medien ist immer weniger ein Argument für den Journalismus“, urteilt Medienwissenschaftlerin Wiske. Nicht zuletzt auch darum bewegen sich die beiden Parteien zwangsläufig aufeinander zu: Journalist*innen und Verlagshäuser, die sich im Interesse einer deutlich größeren Relevanz ihrer Beiträge Influencer-Methoden zu eigen machen. Und Influencer*innen, die journalistische Standards einhalten, um flächendeckend ernstgenommen zu werden.

Fabrizio Romano beispielsweise, mächtiger Transfer-Journalist (21 Mio. Follower bei ‚X‘) und Branchen-Ikone, „lassen sich beide Profile zuordnen. Mit seinem Einfluss ist er so etwas wie der Inbegriff des Influencers. Gleichzeitig erfüllt er journalistische Ansprüche“, erklärt Werder Bremens Kommunikationsdirektor Christoph Pieper. Pauschale Ein- oder Zuordnungen seien eben nur noch schwer möglich.

Millionen Follower: Transfer-Journalist Fabrizio Romano ist längst eine eigene Marke – und Superstar an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Influencer-Szene.

 

Eine trennscharfe Linie kann – und muss – längst nicht mehr gezogen werden. Es bedarf einer differenzierten Draufsicht, mehrerer Perspektivwechsel. Im Gespräch mit Werders Medienchef wird das überdeutlich. Background, Herkunft, Intention, Auftrag, Reichweiten spielten eine ebenso wichtige Rolle wie der Umgang mit sensiblen Paragraphen in den Verträgen mit den Medienpartnern und Rechte-Haltern. Jeder Fall müsste individuell betrachtet werden, sagt Pieper.

Sein Kollege vom Handball-Bundesligisten MT Melsungen, Robin Lipke, vormals selbst Zeitungsreporter, bringt es – danach gefragt, wen er akkreditieren würde –auf den Punkt: „Entscheidendes Kriterium, wie bei allen anderen Medienschaffenden übrigens auch, ist das Einhalten journalistischer Grundregeln: Wahrhaftigkeit, Schutz der Menschenwürde, Sorgfalt und dergleichen.“ Lipke weiß natürlich um den Nutzen, den Influencer*inen einem Verein bringen können: „Unsere Tür steht allen Medienschaffenden offen, und zu denen zähle ich auch Influencerinnen und Influencer. Social-Media-Kanäle regelmäßig zu bestücken, gehört längst zum medialen Alltag – für die Liga, für unseren Medienpartner dyn und für die Klubs selbst. Dabei geht es nicht nur um die reinen Spielergebnisse und Berichte. Es geht darum, stetig Emotionen und Impressionen zu transportieren, um mehr Aufmerksamkeit und Reichweite für unsere Sportart zu erzielen. Meines Erachtens können Influencerinnen und Influencer genau dazu beitragen.“ Von daher spreche zunächst einmal pauschal nichts gegen eine Akkreditierung.

Einen Antagonismus von „wir“ und „die“ will auch Jari Brügmann nicht erkennen: „Ich sehe keine Konkurrenz von klassischen und social-media-Reporter*innen. Mein Content kann neben den Inhalten klassischer Berichterstattung co-existieren. Beides hat seine Berechtigung und sollte von den großen Zeitungshäusern gemischt genutzt werden. Ich informiere mich ja auch in seriösen Quellen.“

 

 

Sportjournalist Frank Heike (54) schreibt seit vielen Jahren als Korrespondent regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der gebürtige Flensburger ist zudem Mitglied der Hamburger Medienmannschaft. Neben Fußball und Handball gehören Sportbusiness-Themen inzwischen zu Heikes Kern-Expertise.

 

 

Frank Schneller (55), Sportjournalist und Themenproduzent aus Hamburg. Seine Laufbahn begann Frank Schneller beim SportInformationsDienst, arbeitete dann viele Jahre in der Redaktion der Sport-Bild. Seit 2001 arbeitet Schneller als Freelancer und ist seit 2011 Leiter des Reporter- und Dienstleister-Netzwerks Medienmannschaft.

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