Posted on / by Olympischesfeuer / in Allgemein, Gesellschaft

Kiel 1972. Kiel 2024. Eine olympische Spurensuche

Die Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins hat in der deutschen Sportlandschaft ihren festen Platz: Da ist der Handball-Traditionsklub THW Kiel, da sind Holsteins Fußballer, da ist die Kieler Woche als Segel-Highlight. Und? Da ist die olympische Vergangenheit der Fördestadt.  Auf Spurensuche in Deutschlands Norden.

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Von Rainer Paepcke

 

Olympische Spiele werden nicht an ein Land, sondern jeweils an eine einzelne Bewerberstadt vergeben. Da nicht in jedem Fall alle benötigten Sportstätten vor Ort verfügbar sind oder errichtet werden können, arbeiten die Olympiastädte regelmäßig mit Veranstaltungsorten in anderen Regionen zusammen. Bei den Olympischen Fußballturnieren nutzt man landesweit die Arenen der großen Clubs, und vor allem bei den Winterspielen wird man kaum einen Bewerber finden, der alle geforderten Sportstätten auf engstem Raum anbieten kann.

Bei den Olympischen Spielen 1936 (Berlin) und 1972 (München) wurden die Segelwettbewerbe in Kiel durchgeführt. Die Entfernung zur jeweiligen Ausrichterstadt ist nicht unerheblich, die Lage der Stadt bietet dafür aber ideale Bedingungen für die Wassersportler. Aus ähnlichen Überlegungen heraus werden die Segel-Wettbewerbe bei den Pariser Spielen 2024 im südfranzösischen Marseille durchgeführt. Ob die Wettkämpfe der Surfer 2024 tatsächlich in Tahiti, der größten Insel Französisch-Polynesiens, gut 15.000 Kilometer vom Mutterland entfernt, stattfinden müssen, wurde und wird kontrovers diskutiert. Kritiker betonen, dass auch die französische Atlantikküste für diese Wettkämpfe durchaus geeignete Standorte aufweisen kann.

Schilksee – Blick über den Hafen.
(Alle Fotos: Rainer Paepcke)

 

Bewerbung für 2024

Für die Austragung der Sommerspiele 2024 hatte in Hamburg ein attraktiver Standort eine Bewerbung vorbereitet. Mit einem Referendum wurden im November 2015 alle stimmberechtigten Bürger der Hansestadt aufgefordert, ihre Einstellung zu einer endgültigen Bewerbung Hamburgs zu dokumentieren. Die Vorlage wurde schließlich von den Bürgern abgelehnt (51,6 % Nein-, 48,4 % Ja-Stimmen; Wahlbeteiligung 50,2 %). In Kiel, wo bei einer Vergabe der Sommerspiele an den deutschen Bewerber die Segelwettbewerbe durchgeführt werden sollten, sprachen sich 65,6 % für die Weiterführung der Bewerbung aus; hier lag die Wahlbeteiligung lediglich bei 31,7 %.

Die Seglerbasis bei den Sommerspielen 1936 lag in Düsterbrook an der Innenförde, also in relativer Nähe zum Kieler Zentrum. 1972 war dann Schilksee, gute 10 Kilometer nördlich vom Stadtzentrum gelegen, der Nabel der Olympischen Seglerwelt.

Der Olympiahafen von 1936 nennt sich heute Sportboothafen Kiel-Düsterbrook. Der Eingangsbereich zum Gelände ist auch heute noch mit den Olympischen Ringen bestückt; eine Info-Tafel nennt die bei den Spielen ausgetragenen vier Wettbewerbe und die Medaillengewinner in den einzelnen Bootsklassen.

‚Sailing City‘: Infotafel im einstigen ‚Dorf‘.

 

Neue Bootsklassen, Wettbewerbe, Medaillengewinner

Die Bootsklassen, in denen 1936 und 1972 um Medaillen gekämpft wurde, zählen heute mehrheitlich nicht mehr zum Programm der Olympischen Spiele. Boote der Klassen Tempest und Soling wird man in der Olympia-Zweigstelle Marseille vergeblich suchen, stattdessen werden Windsurfer und Kite-Sportler im Rahmen der Olympischen Segelwettbewerbe an den Start gehen. Wie in vielen anderen Sportarten werden Ausrüstung und Regelwerk immer mal wieder angepasst, um technischen Neuerungen, Zeitgeist und medialen Anforderungen Rechnung zu tragen.

Bei den Wettfahrten 1972 in Schilksee wurden Medaillen in sechs verschiedenen Bootsklassen vergeben. Eine Infotafel mit den siegreichen Seglern ist auch hier zu finden. Die deutsche Olympia-Mannschaft durfte sich über zwei Bronze-Medaillen freuen. In der Klasse Flying Dutchman zählten Ullrich Libor / Peter Naumann und im Star-Boot Wilhelm Kuhweide / Karsten Meyer zu den erfolgreichen Athleten. In der öffentlichen Wahrnehmung sind die Namen der Bootsführer (“Steuermänner”) Libor und Kuhweide den Sportinteressierten heute möglicherweise noch bekannt. An das übrige Personal (“Vorschotmann”) dürften sich wohl nur die Insider der Segler-Szene erinnern. Dieses Schicksal teilen sich die Segler unter anderem mit den Bob-Sportlern, bei denen vor allem der Pilot im Zentrum des öffentlichen Interesses steht, wohingegen die restliche Besatzung bedeutend weniger Aufmerksamkeit genießt.

Hotel Olympia in Schilksee.

 

Das Olympische Feuer 1972

Das Olympische Feuer wurde in München am 26. August 1972 bei der Eröffnungszeremonie im Olympiastadion entzündet. Einen Tag später traf die Flamme auf dem Kieler Rathausplatz ein, wo in Anwesenheit von 40.000 Zuschauern das lokale Olympische Feuer entfacht wurde. Hierzu war von einem amerikanischen Künstler die Feuersäule Vortex, ein achteckiger Glaszylinder entworfen worden, in dem das Feuer während der Spiele loderte. Die Reinheit, die dem Feuer zugesprochen wird, gilt als Symbol für alle mit der Olympischen Idee in Verbindung stehenden Aktivitäten. Am Tag darauf wurde die Flamme zur Regattastrecke nach Schilksee getragen.

Jahrelang konnte die gasbetriebene Flamme auf dem Rathausplatz wegen eines Defekts nicht gezündet werden. Erst 2017 wurde durch Ratsbeschluss die Instandsetzung festgelegt. Die Flamme sollte nicht zuletzt die Hoffnung zum Ausdruck bringen, die Olympischen Spiele irgendwann einmal wieder in Kiel erleben zu dürfen. Aus Gründen des Umweltschutzes sollte die Flamme allerdings nur in den Abendstunden brennen; unnötiger Emissionsausstoß sollte vermieden werden.

Das Olympia-Hochhaus in der Mercatorstraße.

Anlässlich der Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio 2021 brannte das Olympische Feuer dann auch in der Kieler Innenstadt wieder. Eine Anfrage im Bereich Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Kiel Anfang Juli zur nächsten Aktivierung der Flamme wurde nach mehr als einer Woche dahingehend beantwortet, dass ein nächster Termin nicht absehbar sein. Man darf gespannt sein, ob die Kieler Flamme auch für die Spiele 2024 in der französischen Metropole entzündet wird.

Auf dem Weg von der Innenstadt zum Olympiazentrum Schilksee passiert man das an der Mercatorstraße gelegene Behördenzentrum (Mercator-Hochhaus), mit 16 Stockwerken eines der höchsten Gebäude in der Landeshauptstadt. Das Gebäude wurde 1970 im Vorfeld der Olympischen Spiele errichtet und zeigt seit dieser Zeit in seinem oberen Bereich die weithin sichtbaren Olympischen Ringe – Kunst am Bau der olympischen Art. Nachvollziehbar, dass das Gebäude auch immer mal wieder als Olympia-Hochhaus bezeichnet wird.

Bootsklassen und Medaillengewinner.

Von hier aus ist es nicht weit bis zur Olympiabrücke, die im Vorfeld der 1972er Spiele erbaut wurde. Sie ergänzte eine bereits vorhandene Brücke über den Nord-Ostsee-Kanal und sollte eine bessere Anbindung des olympischen Segelreviers an die Landeshauptstadt sicherstellen – eine Baumaßnahme, die nachhaltige Vorteile für Kiel und das städtische Umfeld darstellt. Die Durchfahrtshöhe der Brücke beträgt 42 Meter; im November 2022 reichte diese Höhe nicht aus: ein auf dem Kanal transportierter Kran war ein wenig höher als gedacht und kollidierte mit der Brücke. Der Kran wurde zerstört und an der Olympiabrücke entstand ein Schaden in Millionenhöhe.

Die technische Basis für das Olympische Feuer.

 

Olympia-Zentrum Schilksee

Erreicht man das Olympiazentrum Schilksee bleibt der Blick zunächst an einem grauen Gebäude hängen. Der langgestreckte, sich nach oben verjüngende Beton-Querriegel wurde im Vorfeld der Olympischen Spiele errichtet und beherbergt unter anderem 400 Wohnungen, Geschäfte und Bootshallen. Hier ist heute der Bundesstützpunkt des Deutschen Segler-Verbandes untergebracht. Gleich nebenan erhebt sich das elfgeschossige Hotel Olympia, ein unattraktiver Zweckbau mit 500 Betten, in dem während der Spiele die Funktionäre untergebracht waren.

Nahe der Wasserlinie vermittelt eine große Infotafel einen Einblick in den olympischen Segelsport und die Veranstaltung von 1972. Die erläuternden Texte werden in deutscher und englischer Sprache präsentiert. Ein paar Schritte weiter erhebt sich eine Plattform, auf der während der Spiele das Olympische Feuer brannte. Eine Vorrichtung mit 21 einzelnen Zuleitungen gewährleistete die Gasversorgung für die weithin sichtbare Flamme. Heute dient das Bauwerk als Aussichtsplattform und bietet einen hervorragenden Blick auf Hafen und die Außenförde bis hinüber zur Ostsee.

Ein Tipp für Geocacher und solche, die es werden wollen: die olympischen Erinnerungen im Kieler Umfeld können auch im Rahmen von zwei Adventure Labs angesteuert werden. Geocaching ist so etwas wie die aus Kindertagen bekannte Schnitzeljagd, heute durch GPS-Navigation unterstützt. Es sind keine protzigen Stadien und Sporthallen, die an die Olympischen Spiele in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt erinnern. Wer aber Interesse an sporthistorischen Hintergrundinformationen hat und keine spektakulären Entdeckungen erwartet, wird bei der olympischen Spurensuche in Deutschlands Norden nicht enttäuscht werden.

 

Rainer Paepcke, Jahrgang 1952, war vor seiner Pensionierung im IT-Bereich als Anwendungsplaner tätig. Auf lokaler Ebene zehn Jahre lang ehrenamtlich im Basketball engagiert, seit 2014 bei der DOG-Zweigstelle Darmstadt in den Bereichen Internet und Presse aktiv. Zur Vita des Sportfans gehören auch zahlreiche Einsätze im Bereich Doping-Kontrollen im In- und Ausland und als Volunteer bei Welt- und Europameisterschaften.

Schreibe einen Kommentar