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Die Zeit nach dem Leistungssport

Irgendwann ist sie vorbei, die glanzvolle Sportlerkarriere im Rampenlicht. Was kommt danach? Viele Stars von einst bleiben aktiv. Ein großer Report aus Schweden – und dem eigenen Umfeld anlässlich der World Masters Athletics.

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Von Rainer Paepcke

 

Er ist der bis heute erfolgreichste Athlet im alpinen Skirennsport der Männer: Ingemar Stenmark, Jahrgang 1956 aus dem schwedischen Dorf Joesjö in der Nähe von Tärnaby. Aus 86 Weltcuprennen ging er als Sieger hervor, eingefahren in den Disziplinen Slalom und Riesenslalom. In seiner aktiven Zeit zwischen 1973 und 1989 gewann er dreimal den Gesamtweltcup und fuhr zu fünf Weltmeistertiteln. Bei den Olympischen Winterspielen 1980 in Lake Placid gewann er die Goldmedaillen im Slalom und Riesenslalom, bereits 1976 hatte er sich in Innsbruck die Bronze-Medaille im Riesenslalom gesichert.

Im November 2023 begann Stenmark im Alter von 67 Jahren sich intensiv mit dem Stabhochsprung zu beschäftigen. Zum einen hatte ihn diese Disziplin mit ihrem hochkomplexen Bewegungsablauf schon immer fasziniert, zum anderen reizte die Aussicht auf eine Teilnahme an den World Masters Athletics Championships, den Altersweltmeisterschaften in der Leichtathletik, die für 2024 an die schwedische Stadt Göteborg vergeben worden waren. Mehr als 8000 Aktive aus 111 Ländern nehmen an den Wettkämpfen teil.

Bei den World Masters Athletics sind Athletinnen und Athleten ab 35 Jahren startberechtigt. Die Altersklassen umfassen jeweils fünf Jahre, in der letzten detailliert definierten Klasse sind Sportlerinnen und Sportler zwischen 95 und 99 Jahren startberechtigt. Für ältere Masters ist die zusammenfassende Gruppe der über Hundertjährigen vorgesehen.

Die Wettkämpfe finden an drei Veranstaltungsorten in Göteborg statt: Im Großstadion Ullevi, in einer Sportanlage in Björlanda und im altehrwürdigen Slottskogsvallen, wo auch der Stabhochsprung der M65 mit Ingemar Stenmark und seinen Konkurrenten stattfindet. Die Wettkampfstätte wurde 1923 vom damaligen Kronprinzen Gustaf Adolf eingeweiht. In diesem Stadion fanden 1926 die zweiten Internationalen Frauenspiele statt. Der Schwede Gunder Hägg stellte hier 1942 den Weltrekord über die Meile auf, eine erste Weltbestleistung des Athleten, der 15 weitere auf Mittel- und Langdistanzen folgen sollten.

Die Holztribünen und die ebenfalls aus Holz errichteten Funktionsgebäude am Slottskogsvallen versprühen einen eigenen Charme und lassen bei dem einen oder anderen Besucher sicherlich Erinnerungen an die “gute alte Zeit” aufkommen. Natürlich herrscht hier absolutes Rauchverbot.

Ski-Legende Ingemar Stenmark (ebenfalls im Bild oben zu erkennen) gibt auch als Stabhochspringer eine sehr gute Figur ab. (Fotos: Alle von Rainer Paepcke)

 

Der Name Stenmark zieht noch immer

Die Tribünen sind schon lange vor Beginn des Stabhochsprung-Wettbewerbs gut besucht, schließlich gilt Ingemar Stenmark bei vielen Schweden als der beliebteste nationale Sportler. Beifall bei der Vorstellung des Athleten und bei jedem gültigen Versuch des zweifachen Olympiasiegers, ungewohnt lauter Beifall auch bei den Sprüngen der anderen Teilnehmer, die von der Präsenz Stenmarks profitieren und sicher unvergessliche Eindrücke mit nach Hause nehmen.

Ingemar Stenmark steigt bei einer Höhe von 2,70 Metern in den Wettbewerb ein, diese Höhe meistert er im ersten Versuch. Bei 2,85 Metern droht der Ski-Legende bereits das frühe Ausscheiden, doch unter dem Jubel des Publikums überquert er die Latte doch noch im dritten Versuch. Für die anschließend geforderten 3,00 Meter benötigt er zwei Versuche, bevor er schließlich an einer Sprunghöhe von 3,15 Metern scheitert. Mit übersprungenen 3,00 Metern bleibt Stenmark an diesem Tag zwei Zentimeter unter seiner persönlichen Bestleistung. Den Titel des Weltmeisters in der Altersklasse M65 holt sich der Amerikaner Wendell Beck mit einer übersprungenen 3,70 Metern. Für Stenmark kein Grund, schlecht gelaunt zu sein.

In seiner aktiven Zeit galt der schwedische Skisportler als wortkarg und verschlossen. Bei der Göteborger Veranstaltung präsentiert er sich dagegen offen und gelöst, kommuniziert mit seinen Konkurrenten und interagiert mit dem Publikum. Die Teilnahme an den Weltmeisterschaften scheint er zu genießen. Ähnliches dürfte auch für den Großteil aller Teilnehmenden zutreffen.

Starke Gemeinschaft, Miteinander der Konkurrenten: Die M65-Starter über 200m. Mittendrin Gerhard Zorn, der Dritter wurde.

 

In jedem Fall Champion

Einerlei, ob man in der Altersklasse M85 im Hochsprung einen Versuch über 95 cm absolviert oder im Sprint über 200 Meter acht Sekunden nach der W60-Siegerin durchs Ziel läuft: Wer sich selbst überwindet und sein Bestes gibt, wird nicht unbedingt Weltmeister, ist aber in jedem Fall Gewinner und Vorbild.

Auch im Leben ehemaliger Topsportlerinnen und -sportler geht es freilich um Prioritäten, zumal nach der aktiven Laufbahn. An erster Stelle steht natürlich die Existenzsicherung, schließlich hat man viele Jahre damit verbracht, Höchstleistungen in seiner Disziplin abzuliefern. Wer sich während seiner aktiven Zeit durch besondere Leistungen hervorgetan hat, wird es leicht haben vorübergehend oder dauerhaft im Umfeld des Sports unterzukommen, sei es als TV-Experte, Trainer, Motivationscoach, in Vereinen oder Verbänden oder als Chef eines eigenen Unternehmens mit Sportbezug. Für Sportlerinnen und Sportler aus der zweiten oder dritten Reihe bieten sich naturgemäß weniger Gelegenheiten. So entstehen andere Karrieren, abseits des Sports. Auch solche, die von vornherein geplant waren.

Wie aber sieht es mit den sportlichen Aktivitäten der früheren Leistungssportler nach der Aktiven-Karriere aus? Drei ehemalige Olympiateilnehmer und Medaillengewinner aus dem Bereich der DOG-Zweigstelle Darmstadt beantworten eine entsprechende Frage: Hans-Joachim Klein, Gerhard Hennige, Lothar Krieg.

Zusammen stark trotz Einzelkonkurrenz: Die Damen des W60-Stabhochsprung-Wettbewerbs.

 

Klein, Hennige, Krieg: So halten sie es heute

Hans-Joachim Klein, Schwimmer, vier Medaillen bei Olympia 1964 in Tokio, DOG-Präsident 2001 – 2007: „Nach dem letzten Wettkampf habe ich einen Schlussstrich gezogen. Danach gehörte der Schwimmsport der Vergangenheit an. Natürlich hätte ich mich auch in Altersklassen-Wettkämpfen präsentieren können, aber ich habe es vorgezogen lieber schlecht Fußball, Tennis und Golf zu spielen. Ich habe mich immer gefreut, dass meine Leistungen dabei kontinuierlich besser wurden. Wenn man auf niedrigem Level beginnt, sind in der Anfangszeit sehr schnell signifikante Verbesserungen zu erzielen.“

Hans-Joachim Klein

Gerhard Hennige, Leichtathlet, Silber (400 Meter Hürden) und Bronze (4×400 Meter Staffel) 1968 in Mexico-Stadt: „Ich bin ein relativ geschickter Handwerker. Einen Teil unserer Möbel habe ich selbst gebaut, habe auch ältere Möbel aufgearbeitet. Im Keller unseres Hauses befindet sich eine gut ausgestattete Werkstatt. In den vergangenen Jahren habe ich einen großen Teil meiner Freizeit auf dem Golfplatz verbracht. Charity-Organisationen und Stiftungen laden regelmäßig zu Golfturnieren ein. Ich versuche immer, das eine oder andere Turnier mitzuspielen. Da spielt man für einen guten Zweck, macht auf Kinderprojekte, Organspende und Ähnliches aufmerksam.“

Gerhard Hennige

Lothar Krieg, Leichtathlet, Bronze-Medaille mit der 4×400 Meter Staffel 1976 in Montreal: „Ich beschäftige mich sehr gern mit Pflanzen, vor allem mit Bonsais. Die meisten Exemplare habe ich selbst gezüchtet. Musik ist für mich wichtig. Ich habe jahrelang Klavier gespielt und Schlagzeug-Unterricht genommen. Meine Frau spielt Klarinette und Saxofon, mein Bruder spielt Geige. Zumindest zur Weihnachtszeit wird dann gemeinsam das eine oder andere Lied eingeübt.“

Lothar Krieg

 

Das Bedürfnis, sich bei Masters-Wettkämpfen mit gleichaltrigen Athleten zu messen, ist also zumindest bei diesen drei Olympioniken nicht vorhanden. Viele Sportler, die auf absolutem Weltniveau agiert haben, scheinen diese Einstellung zu teilen. In der Meldeliste der World Masters Athletics Championships taucht jedenfalls kaum ein bekannter Name auf. Bis der Blick auf den Eintrag ‘Ingemar Stenmark’ fällt …

Und aus deutscher Sicht? Macht in Göteborg ein Trio auf sich aufmerksam. Zwei Teilnehmer gehen in der gleichen Gruppe wie Stenmark an den Start:

Rolf Nucklies, Jahrgang 1954, persönliche Bestleistung 4,70 Meter im Trikot des USC Mainz im Jahr 1984, eine Höhe, die nicht sehr viele Sportler in der Bundesrepublik bewältigen. Für Titel oder vordere Plätze im Aktivenbereich reichte diese Höhe jedoch nicht. In den Masterklassen erwies sich Rolf Nucklies dagegen als erfolgreicher Dauerbrenner mit zahlreichen Top-Platzierungen. In Göteborg erreicht Nucklies mit übersprungenen 3,00 Metern die gleiche Höhe wie Stenmark.

Jürgen Hinterstößer, Jahrgang 1958, mehrfacher Bayerischer Meister im Stabhochsprung und Mehrkampf. Als Sportlehrer am St.-Thomas-Gymnasium im schwäbischen Wettenhausen trug er viele Jahre wesentlich dazu bei, die Rahmenbedingungen für Sport in seinem Umfeld zu verbessern und junge Menschen an die leichtathletischen Disziplinen heranzuführen. Darüber hinaus engagiert er sich im Projekt „Jugend trainiert für Olympia und Paralympics“. Jürgen Hinterstößer überspringt in Göteborg 2,70 Meter.

In der Alterklasse M65 geht über die 200m Gerhard Zorn, Jahrgang 1956, an den Start. Bereits in den Vorjahren hatte er Weltmeistertitel in Altersklassen erringen können, in Göteborg landet er als Dritter mit beachtenswerten 26.28 Sekunden erneut auf dem Siegerpodest. Bemerkenswert: Gerhard Zorn wollte schon in seiner Jugend aktiv in die Leichtathletik einsteigen, fand in seinem Wohnort aber keinen Verein und widmete sich zunächst viele Jahre lang anderen Aktivitäten, bevor er dann als Altersklassenathlet doch noch zur Leichtathletik fand und sich alle wichtigen Details als Autodidakt aneignete.

Das deutsche Team – hier die W35-Weitspringerinnen – belegte Gesamtplatz zwei in Göteborg.

 

Dabei sein ist – fast – alles

Solche oder ähnlich spannende Lebensläufe findet man häufig – nicht nur, aber auch unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Göteborg. Es scheint derweil offensichtlich und auch verständlich, dass ehemalige Top-Sportler kein großes Interesse daran haben, an Masters-Wettkämpfen in ihren Disziplinen zu starten.

Natürlich werden in vielen Disziplinen und Altersklassen durchaus beachtenswerte Leistungen geboten, die nur durch Trainingsfleiß und akribische Vorbereitung erzielt werden können. Andererseits ist unübersehbar, dass nicht wenige Starter ohne Aussicht auf eine vordere Platzierung angetreten sind. Vielfach ist die Tatsache ein Teil dieser großartigen Veranstaltung zu sein, Anreiz und Belohnung zugleich.

Im Medaillenspiegel der World Masters Athletics Championships 2024 belegt Deutschland (79 Gold, 66 Silber, 58 Bronze) den zweiten Platz hinter den USA (110/73/63) und vor Großbritannien (70/60/57).

Die Interviews mit den Olympioniken Hans-Joachim Klein, Gerhard Hennige und Lothar Krieg finden Sie unter http://www.dog-darmstadt.org/sport_portraits

 

 

Rainer Paepcke, Jahrgang 1952, war vor seiner Pensionierung im IT-Bereich als Anwendungsplaner tätig. Auf lokaler Ebene zehn Jahre lang ehrenamtlich im Basketball engagiert, seit 2014 bei der DOG-Zweigstelle Darmstadt in den Bereichen Internet und Presse aktiv. Zur Vita des Sportfans gehören auch zahlreiche Einsätze im Bereich Doping-Kontrollen im In- und Ausland und als Volunteer bei Welt- und Europameisterschaften.

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