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„Momente, in denen Olympia nicht verstanden wurde“

Die Olympischen Sommerspiele von Paris wurden von ARD und ZDF mit einem linearen Mammut-Programm begleitet. Das brachte den Öffentlich-Rechtlichen hohe Quoten, aber auch Kritik ein. Wir baten Medienwissenschaftlerin Jana Wiske um eine Einordnung.

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Von Frank Schneller

 

Hinweis: Mit diesem Interview verfolgte die Redaktion im Auftrag des VDS (Verband Deutscher Sportjournalisten) ausschließlich die Einordnung der gebührenpflichtigen Programme während der Olympischen Spiele in Paris, sprich: der öffentlich-rechtlichen Sender. Nicht berücksichtigt wurde dabei das Olympia-Angebot von Eurosport. Die Kolleginnen und Kollegen des Spartensenders lieferten ihrerseits ein umfassendes, beinahe lückenloses Angebot, angereichert durch zahlreiche Expertise von Gastkommentatorinnen und -kommentatoren. Dass diese Leistung nachfolgend von den Gesprächspartnern nicht berücksichtigt bzw. einer Analyse unterzogen wurde, ist keinerlei Missachtung des Senders – vielmehr sollte sich die Kritik auf die Olympia-Performance von ARD und ZDF fokussieren.

 

Olympisches Feuer: Frau Wiske, hingen Sie während der Olympischen Spiele von Paris auch ständig vor der Glotze?

Jana Wiske: Fragen Sie mal meinen Mann, der hatte quasi zwei Wochen Zeit für sich… Im Ernst: Die Olympia-Begeisterung hatte mich total gepackt. Sofern es die Zeit zuließ, war ich vor dem TV dabei.  

 

Olympisches Feuer: ARD und ZDF haben ein Mammutprogramm im linearen Fernsehen abgeliefert, dazu gab es einen unerschöpflichen Fundus an Livestreams. Die Einschaltquoten – für TV-Anstalten ja immer die entscheidende Währung – waren ausgesprochen hoch (53,4 Mio. Zuschauer sahen sich bei den Öffentlich-Rechtlichen Olympia an, 243 Stunden umfasste deren Berichterstattung; d. Red.). Das Gebührenfernsehen zieht eine entsprechend positive Bilanz. Wie fällt Ihr Urteil aus, abseits der Quoten?

Wiske: Die Kolleginnen und Kollegen von ARD und ZDF haben während der Sommerspiele in Paris Großartiges geleistet – insbesondere, wenn man die Vielfalt an Sportarten und die logistischen wie organisatorischen Herausforderungen berücksichtigt. Bei den Streaming-Angeboten blieben nahezu keine Wünsche offen. Die Detailverliebtheit und der Informationsgehalt selbst bei weniger populären Sportarten waren total beeindruckend. Auch die Unterstützung durch Expertinnen und Experten funktionierte hervorragend und war ein absoluter Mehrwert für die Zuschauer. Insofern: Respekt vor dieser Gesamtleistung und ein großes Lob. Dennoch gibt es einige Abstriche …

 

Olympisches Feuer: … beginnend mit der Eröffnungsfeier, bei deren Übertragung sich Tom Bartels und Friederike Hofmann (Paris-Korrespondentin der ARD; d. Red.) eine Menge Kritik einhandelten …

Wiske: … wobei ich hier gleich relativieren möchte: Die Begleitung der Eröffnungsfeier war eine große Herausforderung, allein schon aufgrund der Regieführung, die man als Berichterstatter am Mikrofon ja nicht zu verantworten hat, und des komplexen Programms. Bei Eröffnungsfeiern kann man fast nur verlieren als Reporter. Das geht Stunden, hat Längen – und man muss zu jeder Zeit das richtige Maß finden. Klar, manchmal hätten sich die beiden etwas zurücknehmen, die Bilder mehr für sich sprechen lassen können – aber das ist ein ganz schmaler Grat und letztlich Geschmackssache, denn es geht ja auch um Erklärungen und Einordnungen dessen, was man da gerade alles sieht. Das war bei dieser Eröffnungsfeier besonders anspruchsvoll.

Immer auf Höhe des Geschehens? Silbermedaillengewinner Leo Neugebauer war bei seinem Zehnkampf nicht immer ‚live‘ im TV zu sehen.

 

Olympisches Feuer: Während der Abschlussfeier dann lautete die Kritik, dass Nils Kaben und Anne Arend (ZDF-Korrespondentin in Paris; d. Red.) zu verhalten, zu emotionslos berichtet hätten.

Wiske: Sehen Sie, das meine ich. Es ist unheimlich schwer, es allen recht zu machen. Eine rein fachliche Beurteilung ist kaum möglich. Zumal sich auch Sportreporter und Auslandskorrespondentin erst einmal einspielen müssen, was an sich schon keine leichte Aufgabe ist.

 

Olympisches Feuer: Wo setzt Ihre Kritik dann an?

Wiske: Die große Stärke der beiden Sender – ihre Streamingangebote – verdeutlicht gleichzeitig einige Schwächen im linearen Programm. Dort findet die Hauptaufgabe des Sportjournalismus statt, nämlich das Filtern der wichtigsten Ereignisse aus der großen Masse an Entscheidungen. Hier muss ich mich als Medienkonsument drauf verlassen können, dass ich wirklich die wichtigsten Momente, Entwicklungen und Entscheidungen bei Olympia sehe und dass die Sequenzen gezeigt werden, die diesem Ereignis gerecht werden. Dieses Filtern, dieses Einordnen, diese Übersicht – genau das muss lineares Fernsehen bei solch einem Event leisten, sonst hat es keine Daseinsberechtigung mehr. Denn wenn das nicht funktioniert, kann ich als Konsument gleich den Stream wählen. Es gab diesmal Momente, anlässlich derer man sagen könnte: Da wurde Olympia nicht verstanden.

Die erfolgreichen 3×3-Basketballfrauen aus Deutschland (Gold): Auf dem Weg ins Finale plötzlich für Werbung ausgeblendet.

 

Olympisches Feuer: Nämlich?

Wiske: Die im ZDF nahezu ununterbrochene Live-Übertragung des Viertelfinalspiels der DFB-Frauen gegen Kanada, das ja erst nach Verlängerung und Elfmeterschießen entschieden war. Zeitgleich fanden beim Schwimmen und im Zehnkampf wichtige Entscheidungen ebenfalls mit deutschen Beteiligten statt – und zudem ein 100m-Finale der Frauen, also ein absolutes Highlight jeder Olympischen Sommerspiele. Dass dieses Weltereignis, dieser Klassiker später nur als Konserve zu sehen war, aber nirgends live im öffentlichen Linearfernsehen, war völlig unverständlich. Auch die viel zu kurzen Einblendung vom Schwimmen und Zehnkampf. Hier stimmte die Verhältnismäßigkeit nicht mehr, und bei aller Wertschätzung für die Fußballerinnen drängt sich schon die Frage auf, welche Begründung hinter dieser Entscheidung steckte. So ein komplettes Viertelfinale ist geradezu prädestiniert für den Stream, die wichtigsten Entscheidungen der Partie holt man dann ins lineare Fernsehen.

 

Olympisches Feuer: Auf Eurosport teilte sich immerhin der Bildschirm, dort konnte man links Fußball sehen und rechts das Sprintfinale der Frauen.

Wiske: Aber dafür hätte man erst einmal ganz schnell herum zappen müssen. Und auf solch eine Argumentation kann sich das ZDF ja auch nicht zurückziehen, es darf ja nicht das Ziel sein, die Zuschauer an die Konkurrenz zu verlieren. Auch diesen gebetsmühlenartigen Hinweis auf den Stream verstehe ich in diesem Fall nicht. Dass zum entscheidenden Zeitpunkt dorthin geschaltet wird, wo bei Olympia die lauteste Musik spielt und die ganze Welt hinblickt, darauf konnte man sich in dem Moment als TV-Zuschauer nicht verlassen. Wer übrigens beim Adele-Konzert in München war, konnte die Entscheidung in einer der absoluten Königsdisziplinen der Leichtathletik uneingeschränkt live auf der LED-Leinwand mitverfolgen. Ein Weltstar unterbricht sein Konzert für ein anderes Weltereignis. Ziemlich grotesk, aber dem Ereignis angemessen.

 

Olympisches Feuer: Und das zweite Beispiel?

Wiske: Die Ausblendung 24 Sekunden vor Spielende des 3×3-Basketball-Halbfinalkrimis der deutschen Frauen gegen Kanada – zum Zwecke der Werbung beziehungsweise der anschließenden Nachrichten-Sendung. So etwas tut richtig weh.

 

Olympisches Feuer: Es gab entsprechend beißende Kritik fürs ZDF …

Wiske: … nachvollziehbar, denn hier fehlte jegliches Gespür. So nämlich schafft sich das lineare Fernsehen selbst ab. Zumal die Erklärung, man habe zur ‚heute‘-Sendung schalten müssen, aufgrund der angespannten weltpolitischen Lage, auch zur ungeschickten Ausrede verkam. Denn, nochmals: Erst einmal gab’s Werbung. Die heute-Sendung begann danach nicht mal pünktlich… Da wären 24 Sekunden 3×3 noch drin gewesen.

 

Olympisches Feuer: Im Livestream hätte man die Crunchtime miterleben können.

Wiske: Aber wie soll man denn derart schnell umswitchen? Da nützt auch kein Hinweis, 24 Sekunden vor Schluss eines solch dramatischen Spiels. Nicht jeder hat doch neben dem Fernseher noch den Laptop aufgeklappt stehen. Und es hat eben auch etwas mit Wertschätzung für diese Athletinnen zu tun. Bei einem Fußballspiel der DFB-Männer wäre das niemals passiert.

100m-Olympiasiegerin Julien Alfred lief beim großen Finale unter Ausschluss der ZDF-Fernsehzuschauer durchs Ziel.

 

Olympisches Feuer: In der Medienbranche wird über zu wenig Distanz und Zurücknahme der Kommentatorinnen und Kommentatoren, zu viel Marktschreierei an manchen Stellen getuschelt. Ihre Meinung?

Wiske: Da schließe ich mich nicht an. Und ich denke auch nicht, dass das Publikum sich an solcher Kritik groß beteiligt. Im Gegenteil: Das Publikum erwartet Emotionen und Nähe – beides darf und muss auch sein. Wohlgemerkt: Bei Olympischen Spielen, bei Welt- und Europameisterschaften, immer dann, wenn es für deutsche Teams und Aktive bei internationalen Events um Medaillen geht.

 

Olympisches Feuer: Also droht kein Distanzverlust, wenn beispielsweise ein Carsten Sostmeier beim Reitsport, sagen wir mal, ‚emotional etwas davongaloppiert‘?

Wiske: Ich weiß, einige meinen, der Kollege sei manchmal etwas ‚drüber‘. Aber ich sehe das anders. Für mich waren seine Live-Übertragungen in Paris wieder einmal ein Erlebnis. Ein gewisser Sportpatriotismus ist in Maßen übrigens völlig legitim, auch am TV-Mikrofon. Andere Nationen bleiben ja auch längst nicht immer ganz neutral bei Live-Übertragungen. Allerdings darf sich das nicht auf die sachlich-fachliche Einordnung auswirken. Natürlich kann man nicht alle und alles hochjubeln. Eine kritische Bewertung muss immer gewährleistet bleiben. Ich hatte aber den Eindruck, dass das – wenn auch vielleicht nicht immer, so doch meistens – in Paris ziemlich gut gelungen ist.

 

Olympisches Feuer: Dürfen Gefühle beim Moderieren und Kommentieren nicht nur zum Ausdruck kommen – sollten sie es sogar?

Wiske: Ich finde schon. Besonders authentisch ist so etwas immer dann, wenn ehemalige Aktive als Experten entsprechende Einblicke gewähren. Nicht nur fachliche, sondern auch mal in die Gefühlswelt vor, während oder nach einer Medaillenentscheidung. Aus dem eigenen Erlebten. Auch das bringt dem Zuschauer eine Sportart näher. Dies gelang ARD und ZDF, wie eingangs erwähnt, besonders gut in den Streaming-Angeboten.

 

Olympisches Feuer: Der Kollege Hajo Seppelt erhielt diesmal gefühlt mehr Sendezeit für seine investigativen Themen, sei es Doping, die Gender-Diskussionen oder das IOC. Früher hieß es hinter vorgehaltener Hand oft, er sei eine Art Feigenblatt der ARD, eigentlich aber störe er die Interessen der übertragenden Sender, also auch des eigenen, bei den großen Events.

Wiske: Das gilt heute sicher nicht mehr. Seine Arbeit gehört zur gesamtjournalistischen Herangehensweise an ein Event wie Olympia längst dazu. Die Öffentlich-Rechtlichen haben fraglos den Auftrag, auch solche Recherchen an- und vorzustellen. Dem werden sie immer besser gerecht. Offenkundig war aber diesmal auch, dass das Publikum sich in unruhigen Zeiten wie diesen von der Berichterstattung aus Paris vor allem mal Ablenkung von all dem Negativen auf diesem Erdball versprochen hat. Quasi eine zweiwöchige Auszeit …

Im Olympia-Modus während der Spiele: Medienwissenschaftlerin Jana Wiske.

 

Olympisches Feuer: … was die eingangs erwähnte Quote zusätzlich nach oben getrieben haben dürfte.

Wiske: Durchaus. Nicht nur das deutsche Publikum war sicherlich froh über die Spiele und die damit verbundene Pause von all den Brennpunkten und Problemen auf der Welt, wenn man nur die Fernbedienung zur Hand nahm. Und sind wir ehrlich: Paris und seine Kulisse allein haben ja auch Bilder für die Ewigkeit geliefert. Auch das hat diese Spiele zu einem erfolgreichen TV-Event gemacht. Ich jedenfalls habe mich sehr gerne darauf eingelassen.

Zur Person: Jana Wiske (49) ist seit 2017 Professorin für Ressortjournalismus und PR/Unternehmenskommunikation an der Hochschule Ansbach. Davor war sie über 15 Jahre Sportredakteurin beim kicker. Bis heute ist sie im Sportjournalismus verankert, beleuchtet in ihren Publikationen aber auch das Spannungsfeld Journalismus und PR. Die Medienwissenschaftlerin forscht zudem regelmäßig rund um den deutschen Fußball und seine gesellschaftliche Verantwortung.

 

Frank Schneller (55), Sportjournalist und Themenproduzent aus Hamburg. Seine Laufbahn begann Frank Schneller beim SportInformationsDienst, arbeitete dann viele Jahre in der Redaktion der Sport-Bild. Seit 2001 arbeitet Schneller als Freelancer und ist seit 2011 Leiter des Reporter- und Dienstleister-Netzwerks Medienmannschaft.

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