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Es geht um viel mehr als um CO2

Ein Verein ist „nachhaltig“. Was bedeutet das eigentlich? Wie sieht das im Alltag eines Profiklubs aus? Und welchen Herausforderungen gilt es, sich zu stellen? Kerstin Lidgett, Nachhaltigkeitsmanagerin der MT Melsungen, und Axel Renner, Vorstand Strategie, Nachwuchs und Regionale Kooperationen des Handball-Spitzenklubs, im Gespräch.

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Von Frank Schneller

 

Olympisches Feuer: Das Thema Nachhaltigkeit wird seit Jahren auch im deutschen Sport diskutiert. Was aber bedeutet denn Nachhaltigkeit überhaupt? Geht es da rein um Klimaschutz und Ressourcenschonung?

Kerstin Lidgett: Nachhaltigkeit per Definition basiert auf drei Säulen: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Sich nur auf das Thema Klima zu beschränken, was bei sehr vielen Menschen leider so verstanden wird, ist also falsch, weil es nur einer von drei Bausteinen ist.

 

Olympisches Feuer: Das heißt also, dass es viel mehr Themen als den CO2-Ausstoß betrifft?

Kerstin Lidgett: Ja genau. Die drei Bereiche müssen von Unternehmen oder auch in unserem Fall von Profivereinen alle betrachtet werden, damit sie von Nachhaltigkeit sprechen können.

 

Olympisches Feuer: Konkret zur MT Melsungen: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln? War das die Vorgabe und Pflicht durch die DAIKIN HBL, um das Nachhaltigkeits-Zertifikat zu erhalten?

Axel Renner: Die MT beschäftigt sich bereits seit drei Jahren mit diesem Thema. Es war uns als Verein wichtig, dass wir uns mit Zukunftsthemen beschäftigen, weil wir uns als Sport- und Profiverein in der Pflicht sehen, Verantwortung – sozial und ökologisch – zu übernehmen. Wir haben in Kerstin Lidgett eine qualifizierte Nachhaltigkeitsmanagerin, die dieses Thema mit uns entwickelt hat und die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie betreut. Dass die DAIKIN HBL in diesem Jahr erstmalig mit der Nachhaltigkeitszertifizierung als Lizenzierungskriterium auftritt, war uns zu Beginn unserer Nachhaltigkeitsarbeit noch gar nicht bekannt. Somit war dies für uns von Vorteil, denn wir waren schon mittendrin in den Themen.

 

Olympisches Feuer: Wie erhält man das Zertifikat der DAIKIN HBL? Welche Kriterien müssen erfüllt werden?

Axel Renner: Die HBL fordert als Basis, dass jeder Verein der 1. und 2. Bundesliga einen qualifizierten Nachhaltigkeits-Verantwortlichen hat. Zudem müssen in jedem der drei Dimensionen Nachweise vorgelegt werden: Im Bereich Ökologie: Die Erstellung einer Klimabilanz, das Entwickeln eines Abfallmanagement-Konzeptes, Mobilitätskonzepte von Mitarbeitenden und Fans. Im Bereich Ökonomie: Hier müssen wir aufzeigen, wer unsere Anspruchsgruppen sind, beispielsweise Fans, Mitarbeitende, Lieferanten, Sponsoren etc., wie wir mit Ihnen auf Augenhöhe fair und verantwortlich zusammenarbeiten. Dazu müssen wir den sogenannten ‚Code of Conduct‘ entwickeln. Um die Anforderungen und Einstellungen der Anspruchsgruppen zu erfahren, müssen wir diese befragen. Im Bereich Soziales möchte die DAIKIN HBL pro Saison einen Nachweis für mindestens zwei soziale Projekte, die aus den Bereichen Nachwuchs, Vielfalt, Teilhabe, Armut, Klima etc. stammen, erhalten.

Kerstin Lidgett: Unsere Ziele richten sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der UN aus. Wir fokussieren uns auf sechs Ziele: Gesundheit und Wohlergehen, Hochwertige Bildung, Weniger Ungleichheiten, Nachhaltiger Konsum und Produktion, Maßnahmen zum Klimaschutz und Partnerschaften und Netzwerke, um diese Ziele zu erreichen.

Kerstin Lidgett und Axel Renner steuern bei den Nordhessen das Thema Nachhaltigkeit.

 

Olympisches Feuer: Das hört sich nach einer Menge Arbeit an. Welche Themen stellen denn die größte Herausforderung dar?

Kerstin Lidgett: Sicherlich war die Erstellung der ersten Klimabilanz die größte Herausforderung. Das Zusammenstellen von unzähligen Zahlen und Daten war sehr arbeitsintensiv. Zumal diese Zahlen an verschiedenen Stellen abgerufen werden mussten und das heißt, nicht nur intern in der Geschäftsstelle, sondern auch bei Partnern, Lieferanten, Energieversorgern oder Entsorgungsunternehmen. Hier haben wir sehr viel gelernt zum Beispiel über unsere kritischen CO2-Quellen.

 

Olympisches Feuer: Die da wären?

 Kerstin Lidgett: Nun, das ist ja kein Geheimnis, dass es im Sport schwierig ist, den CO2-Ausstoß komplett niedrig zu halten. Wir haben pro Saison ca. 65.000 Fans, die zur Rothenbachhalle anreisen. Es gibt keine Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel. Unsere Fans reisen im Durchschnitt ca. 48,5 km zu unseren Spielen an. Wir haben wir sehr viel PKW-Anreisen die damit auch den Großteil unseres CO2-Ausstoßes ausmachen.

 

Olympisches Feuer: Wie steht die MT Melsungen denn zum Thema CO2-Kompensation? Man kann doch für seinen CO2-Ausstoß klimafreundliche Projekte finanziell unterstützen, um seinen eigenen Ausstoß zu kompensieren.

Axel Renner: Ganz klar: Davon halten wir gar nichts. Es ist sinnvoll in klimaschonende Projekte zu investieren oder diese zu unterstützen die auch wirkliche Effekte haben. Vorausgesetzt diese werden nicht als Ablasshandel benutzt. Wir meinen, diese sollten – wenn überhaupt – nur eine Ergänzung zu einer klaren, verbindlichen Reduktionsstrategie sein.

 

Olympisches Feuer: Gibt es Projekte im Bereich Klimaschutz, die die MT aktiv umsetzt, neben den Reduktionszielen?

Axel Renner: Wir arbeiten daran unseren eigenen Fuhrpark, in dem es bereits  Hybrid- und E-Fahrzeuge gibt, noch emissionsärmer zu gestalten. Wir sind im Austausch mit der Stadt Melsungen und arbeiten an konkreten Klimaschutzprojekten wie z.B. der Future Challenge unseres Partners sera.  An unseren Spielstätten oder Trainingsstätten können wir leider nicht viel beeinflussen, denn wir sind hier nur Mieter.  Aber ein permanentes Projekt ist die Auswahl unserer Lieferanten und der Materialien im Bereich Merchandise, in dem sowohl up- als auch recycling eine Rolle spielen.

Kerstin Lidgett ist strikt gegen ‚Greenwashing‘.

 

Olympisches Feuer: Wo setzt der Verein m sozialen Bereich an?

Axel Renner:  Sportvereine, und die MT Melsungen im Speziellen natürlich auch, sind immer aktiv in vielen sozialen Bereichen. Wir haben ein umfangreiches Nachwuchskonzept, wir fördern Bewegung in den Grundschulen mit unseren ‚ballstars‘ (https://www.ballstars.de ), veranstalten Handball-Camps zusammen mit unserem Partner‘ sera‘ (https://mt-melsungen.de/news/details/handball-camp-in-den-osterferien ) und wir waren der erste Handball Bundesligist, der eine eigene ‚Glückskinder‘-Mannschaft gegründet hat (https://mt-melsungen.de/news/details/mt-glueckskinder-feiern-geburtstag  ). Das sind nur einige Projekte, die wir aus unserem Selbstverständnis heraus begonnen und umgesetzt haben. Im Bereich soziale Nachhaltigkeit liegen ganz klar gegenwärtig unsere Stärken.

 

Olympisches Feuer: Und wie verhält es sich im Bereich der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit? Was genau ist darunter zu verstehen?

Axel Renner: Wir sind im Gespräch und im Austausch mit unseren Fans, Partnern, Sponsoren und Lieferanten Wir wollen erfahren, was für sie im Bereich Nachhaltigkeit wichtig ist. Daraus entwickeln wir Maßnahmen, die sowohl für uns als MT als auch für die entsprechenden Gruppen sinnvoll sind. Dabei spielt eine wirtschaftliche positive Entwicklung und Stabilität mit einem schonenden Ressourcenumgang eine große Rolle.

 

Olympisches Feuer: Wie wird so etwas alles erfasst? Mit hunderten von Excel-Listen oder einem dicken Papierordner?

Kerstin Lidgett: Nein, sicher nicht, das wäre nicht effizient und auch total unübersichtlich. Tatsächlich nutzen wir eine professionelle Software zum Nachhaltigkeitsmanagement. In der erfassen wir an einer zentralen Stelle alle relevanten Daten. So können wir unser Nachhaltigkeitsthema auch planvoll fortschreiben. Es ist ein Managementsystem, in dem wir unsere Ziele erfassen und regelmäßig anpassen, wir unsere Maßnahmen planen und in das alle, für das Thema relevanten Mitarbeitenden, hineinarbeiten können. Unsere Klimabilanz erstellen wir hiermit und erfassen dort alle Daten.

Axel Renner aus dem MT-Vorstand nennt vor allem soziale Nachhaltigkeit eine „Herzenssache”.

 

Olympisches Feuer: Gab es von Fanseite denn Reaktionen?

Axel Renner: Bisher kamen ausschließlich positive Reaktionen und auch schon einige gute Anregungen. Wir denken, dass es daran liegt, dass wir uns dem Thema Nachhaltigkeit schon lange widmen. Wir sehen uns in der Verantwortung und als Vorbild, Dinge für die kommenden Generationen besser zu machen. Das bedeutet für uns, achtsamer mit Themen umzugehen und sich diese bewusst zu machen. Wir wollen gemeinsam nach Wegen suchen, um die Zukunft lebenswert zu gestalten. Wir nutzen beim Heimspiel ausschließlich Mehrwegbecher und das seit vielen Jahren. Die Fanclubs nutzen diese, um aus den Pfandgeldern soziale Projekte zu finanzieren. Auch gibt es schon seit zwei Jahren kein Plastik im Bereich Public Catering, sondern ausschließlich Papier oder sogar essbare Teller. Die Auflage unseres Hallenmagazins wurde um 500 Exemplare reduziert. Niemanden stört das und wir alle tragen dadurch zur Reduzierung von Abfall bei.

Kerstin Lidgett: Als nächstes werden wir die Fananreise analysieren, um daraus Ideen zu entwickeln, wie wir diese klimafreundlicher gestalten können. Wir nehmen das Thema Nachhaltigkeit sehr ernst, aber unser Grundsatz ist, authentisch und transparent zu bleiben, und die Dinge umzusetzen, die wir auch wirklich können. Wir glauben daran, dass wir gemeinsam mit unserem Umfeld viel bewegen können und möchten das auch tun.

 

Olympisches Feuer: Wie stehen die Mitarbeitenden oder auch die Mannschaft zu diesen Themen?

Kerstin Lidgett: Wir spüren eine starke Unterstützung unserer Bundesligamannschaft und unserer Mitarbeitenden. Viele von ihnen haben kleine Kinder und Familien. Ihnen ist es von Natur aus wichtig, ein Umfeld zu schaffen, in dem ein schönes Leben im heute und morgen möglich ist. Die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle unterstützen mich trotz des anspruchsvollen Tagesgeschäftes sehr engagiert mit Zahlen, Statistiken und Datenrecherchen. Das ist nicht selbstverständlich und dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Im Bereich Merchandising verfolgen wir schon seit langem den Ansatz, Produkte aus der Region zu beziehen, den Recycling- und Upcyclinganteil zu erhöhen und den Versand Co2 arm zu gestalten. Nachhaltigkeit soll weder Pflicht noch Zwang sein, sondern ein Selbstverständnis. Wir wollen alle mitnehmen.

Axel Renner: Genau. Deshalb hat unsere Nachhaltigkeitsstrategie auch den Namen ‚MT Herzenssache‘. Es sind Themen, die wir leben. Nachhaltigkeit ist Teil unsrer DNA –und für uns auch Teamarbeit. Die meisten von unseren Spielern und Mitarbeitenden haben Kinder. Ich selber habe eine sechsjährige Tochter. Ich habe bei mir bemerkt, dass ich seitdem ich Vater bin ganz anders und vielleicht auch viel weiter in die Zukunft schaue. Uns ist es nicht egal wie unsere Kinder aufwachsen und auch nicht wie sie leben wenn sie erwachsen sind.

Kerstin Lidgett: Wir können nicht von heute auf morgen Berge versetzen, aber wir können unser Umfeld, unsere Fans, die Öffentlichkeit sensibilisieren und somit den Anspruch klar formulieren: Immer ein etwas besser zu werden. Mit vielen kleinen Schritten erreicht man irgendwann auch ein großes Ziel.

Einen Podcast zu diesem Thema findet man unter: https://open.spotify.com/episode/2VvxIY024yuFhd0YcFxmXQ?go=1&sp_cid=9b4c4f10f67ea09031fcf98da5cbbf80&utm_source=embed_player_p&utm_medium=desktop&nd=1&dlsi=d24c544f2ced457b

 

Frank Schneller (55), Sportjournalist und Themenproduzent aus Hamburg. Seine Laufbahn begann Frank Schneller beim SportInformationsDienst, arbeitete dann viele Jahre in der Redaktion der Sport-Bild. Seit 2001 arbeitet Schneller als Freelancer und ist seit 2011 Leiter des Reporter- und Dienstleister-Netzwerks Medienmannschaft.

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