„Das Problem ist, dass die Menschen unsere Gesichter nicht kennen“
Im ersten Länderspiel nach der durch Covid19 bedingten Zwangspause hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen in der EM-Qualifikation das Nationalteam aus Irland 3:0 bezwungen. Nicht in der Mannschaft stand Torhüterin Almuth Schult, eigentlich die Nummer 1 des Teams. Nach überstandener Schulterverletzung und der Geburt von Zwillingen hat die Nationaltorhüterin inzwischen ihr Comeback in Angriff genommen. Im Interview für das Magazin go!d der Deutschen Sporthilfe, das am 23. September erscheint, spricht die 29-Jährige über ihren Weg zurück auf den Fußballplatz, über die Bedeutung des Frauenfußballs in Deutschland, die Auswirkungen der Corona-Pandemie und über die Vorbildfunktion von Spitzensportlern. [SPORTHILFE | MENSCHEN]
Almuth, seit Martina Voss-Tecklenburg, der heutigen Bundestrainerin, ist keine Spielerin nach der Geburt eines Kindes wieder in den Profi-Bereich zurückgekehrt. Habt Ihr Euch schon ausgetauscht, wie das bei Lehrgängen und Länderspielen zukünftig gehandhabt werden kann?
Almuth Schult: Im Detail haben wir das noch nicht besprochen. Grundsätzlich ist die Bereitschaft des DFB da, mich zu unterstützen. Aber zunächst muss ich im Verein erst einmal wieder meine Leistung bringen. Wir haben genug gute Torhüterinnen in Deutschland, ich kann nicht erwarten, dass ich gleich wieder im Tor stehe. Aber ich bin optimistisch. Es gibt zwar nicht im deutschen Fußball, aber aus anderen Sportarten gute Beispiele von Athletinnen, die es geschafft haben, nach einer Geburt in die Weltspitze zurückzukommen. Auch mit Zwillingen, wie Kugelstoßerin Christina Schwanitz, oder Beachvolleyballerin Kira Walkenhorst, die sich absolut beeindruckend als Co-Drillingsmutter und zusätzlich auch noch aus ihrer Verletzungsmisere zurück gekämpft hat. Ich bin gespannt, wie es im Fußball als Mannschaftssportart funktioniert und freue mich auf die kommende Saison.
… die aufgrund der Pandemie keine normale sein wird. Wie wirken sich die Einschränkungen auf den Frauenfußball aus?
Almuth Schult: Von meinem Arbeitgeber VfL Wolfsburg gibt es die Zusicherung, dass es die Arbeit der Frauenabteilung nicht beeinflusst. Dafür bin ich sehr dankbar, in anderen Vereinen könnte das anders aussehen. Natürlich gab es auch beim VfL Arbeitsausfälle in der Geschäftsstelle und demzufolge Kurzarbeit bei den Mitarbeitern. Es gab aber auch viele solidarische Aktionen und den Blick auf die, denen es gerade nicht so gut geht. Vielleicht können wir auf dieser Basis insgesamt als Gesellschaft auch weiterhin etwas Positives aus der aktuellen Situation generieren.
Der Spielbetrieb geht erst einmal mit begrenzter Zuschauerzahl weiter. Provokant könnte man sagen, dass das keine allzu großen Auswirkungen auf den Frauenfußball haben wird, weil die Anzahl der Fans in den Stadien zuletzt ohnehin übersichtlich war. Warum kommen vergleichsweise so wenige Zuschauer zum Frauenfußball?
Almuth Schult: Das ist nicht schnell beantwortet, denn es hat viele Gründe, angefangen bei der Struktur. Wir feiern jetzt das Jubiläum „50 Jahre Frauenfußball“, zuvor war er verboten. Bei vielen ist der Frauenfußball noch nicht modern genug im Kopf, weswegen die Leute sich nicht nachhaltig dafür interessieren. Zum Teil stehen auch in Vereinen und Verbänden noch ehrenamtliche, 60- oder 70-jährige Entscheidungsträger an der Spitze, die nicht mit dem Frauenfußball aufgewachsen sind und ihn vielleicht deswegen nicht fördern. In den Traditionsvereinen steckt ein riesiges Potential, um in die Köpfe der Fans zu kommen. Als Schalke 04 zum Beispiel entschieden hat, eine Frauenmannschaft aufzumachen, konnten sie sich vor Anmeldungen nicht retten. Mädchen und Frauen, die für Schalke leben, sind Hunderte von Kilometern gefahren, nur um einmal dort ein Probetraining zu absolvieren. Zu viele große Vereine haben noch keine Frauenabteilung.
Die Vereinsebene ist das eine, aber auch bei Länderspielen gab es früher deutlich vollere Stadien, 2011 bei der Heim-WM, aber auch 2013 waren in der Allianz-Arena in München 45.000 Zuschauer bei einem Spiel gegen Japan. Wo sind die Fans hin?
Almuth Schult: Unser Problem ist oftmals, dass die Menschen unsere Gesichter nicht kennen. Kaum jemand kann aus dem Stegreif drei aktuelle Fußball-Nationalspielerinnen nennen. Vor der WM 2019 gab es deshalb die Werbekampagne „Weißt Du eigentlich, wie ich heiße?“ Das kam gut an. Aber dafür braucht es eben auch mehr Präsenz in den Medien über die Weltmeisterschaft hinaus – im TV, in den Zeitungen, Magazinen und Online-Portalen.
Welche Chance bietet dafür heute Social Media?
Almuth Schult: Das hilft in meinen Augen nur bedingt, denn die traditionellen Medien greifen Posts zwar vermehrt auf, doch noch ist es nicht so, dass hohe Follower-Zahlen auch automatisch Fans ins Stadion ziehen. Beispiel Gulia Gwinn…
… Nationalspielerin vom FC Bayern München…
Almuth Schult: … sie hatte durch die WM einen unglaublichen Zulauf auf Instagram, von vorher wenigen Tausend auf heute mehr als 230.000 Follower. Wenn davon nur ein Prozent ins Stadion käme, dann hätte München kein Zuschauerproblem, dann würden statt 500 Zuschauern 3.000 da sein. Wir müssen deshalb weiter daran arbeiten, unsere Namen und Gesichter stärker zu positionieren, wir brauchen ein Gesamtkonzept, aus dem etwas Nachhaltiges entsteht.
Ist es dabei erforderlich, auch Privates preiszugeben, um mehr Nähe zum Fan herzustellen?
Almuth Schult: Mein Ansatz ist, Interviews zu geben und öffentliche Auftritte wahrzunehmen. Das geht auch, ohne intime Details preiszugeben. Jeder kann nachlesen, dass ich auf einem Bauernhof aufgewachsen bin, man kennt meinen Werdegang. Das sind Sachen, die wichtig sind, um dem Nachwuchs zu zeigen: Auch aus der Provinz kommend ist es möglich, Fußballprofi zu werden, wenn man es nur möchte. Warum soll ich dafür meinen Mann, meine Kinder, meine Familie in den Vordergrund stellen? Ich glaube auch, dass man sein Privatleben ein wenig schützen muss, um Rückzugsmöglichkeiten zu haben. Aber rund um meinen Sport gebe ich gerne alles preis und versuche, ein Vorbild zu sein.
Fotos: Beitragsfoto: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow; Textfoto: picture alliance / foto2press | Michael Täger
Die Deutsche Sporthilfe portraitiert in ihrem Magazin “gold” Sportlerinnen und Sportlern und gibt auch den Lesern und Leserinnen des Olympischen Feuers die Gelegenheit, mehr über die Menschen zu erfahren, die wir ansonsten allzu oft nur durch ihre sportlichen Erfolge kennen.