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“Nicht den Ereignissen hinterherlaufen“

Von Birgit Hasselbusch und Frank Schneller

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Sendungsbewusstsein hat Leipzig ja. Die Messestadt zum Standort dieses ehrgeizigen Unternehmens zu machen – das passt. Liegt im Trend, wenn man so will. Leipzig ist schließlich auch Sportstadt. Schon immer gewesen. Eine Hochburg außergewöhnlicher Leistungen. Und aktuell vor allem durch seine Teamsportarten angesagt: Fußball, Handball, Volleyball … Mit dem ersten bundesweiten 24/7-Sportradio in Leipzig ansässig zu werden, ist also stimmig. Zumal dort, bei der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, auch der Zulassungsantrag seitens des Betreibers, der Sportradio Deutschland GmbH (gehört zum radio-affinen Technologie-Investor Bugovics), gestellt worden war und der letzte Programmplatz auf der nationalen DAB+ Plattform gesichert werden konnte. Darüber hinaus aber ist es eher antizyklisch, was sich Geschäftsführer Erwin Linnenbach und sein Team da ausgedacht und initiiert haben: Ausgerechnet jetzt, in einer derart fragilen Phase, in der viele Unternehmen – auch in der Medienbranche – seit Ausbruch der Corona-Krise ums Überleben kämpfen im Ökosystem Sport, ein solches Start-Up aus der Taufe zu heben, das setzt schon Chuzpe voraus. Und, vor allem, eine unerschütterliche Vision.

Beides ist dem gebürtigen Saarländer Linnenbach zweifellos zu attestieren. Ziel sei es, dem deutschen Radio ein Stück weit dabei zu helfen, wieder zu „internationaler Normalität“ zu finden. In vielen anderen Ländern – insbesondere USA, Australien, England, Spanien oder Frankreich – nämlich sind Sportradioformate allgegenwärtig und erfolgreich. Business as usual. Auch wenn es sich dabei nicht um sogenannte Erstprogramme handelt: Eingeschaltet wird, wenn’s ein spannendes Thema gibt oder ein Ereignis mitverfolgt werden kann. Sporthören als „first second choice“, quasi. So soll das auch mit dem Sportradio hierzulande laufen. Rund 67 Millionen Hörer könnten mit dem neuen Format erreicht werden, sagt Linnenbach.

Ein Mann mit Erfahrung und Risikobereitschaft: SRD-Geschäftsführer Erwin Linnenbach

Um Linnenbachs Pioniergeist zu verstehen, muss man ein wenig mehr wissen über ihn: Der Diplom-Journalist und Fußballfan nämlich träumte bereits als Grundschüler von einer Reporterlaufbahn und den Reisen zu Weltmeisterschaften. Dazu kam es nur nicht – Linnenbach landete stattdessen auf der Managementseite der Branche, wurde Radioprofi. Er hat den privaten Radiomarkt Sachsens maßgeblich mitgeprägt – als Mitgründer von Radio PSR und knapp 20 Jahre auch als Geschäftsführer der Regiocast (u.a. Radio PSR und R.S.A.). Linnenbach war stets daran interessiert, dass Radioprogramme national ausgerichtet werden und bundesweite Bedeutung erlangen. „Wer nur UKW macht, wird verlieren“, ist er überzeugt.

Das Thema hat ihn nie losgelassen. Dafür ist er schon manches Abenteuer eingegangen, hat schon einiges hinter sich. Im Jahr 2008 beispielsweise – also noch in der Pre-Smartphone-Ära – hatte er die DFL auf deren brachliegende Internetrechte aufmerksam gemacht, wie er sich erinnert, noch bevor der Lizenzhalter selbst überhaupt ein Geschäftsmodell darin erkannte – und in der Folge auch erworben. Bis 2013 nutzte Linnenbach diese für die ‚Digital Audio Broadcasting (DAB)- Internetradioplattform namens ‚90elf – Dein Fußballradio und Deutschlands Fußballradio“. 2013 war die Gunst der Geburtshilfe in Sachen Fußball-Internetradio jedoch aufgebraucht. Die Rechte wurden von der DFL neu ausgeschrieben – und landeten bei Sport1 (FM). Entmutigt hat den Medienmacher diese Enttäuschung nicht. Zuletzt hat er erfolgreich mitgeholfen, für Antenne Deutschland Drittanbieter auf der sogenannten 2. DAB+ Bundesmux-Plattform digital-terrestrisch im Markt zu platzieren. Das mag der entscheidende Impuls gewesen sein: Nun, mit und aus voller Überzeugung also ran an den letzten Programmplatz auf der nationalen DAB+ Plattform und ein Sportradio für Deutschland aufziehen.

Im Sommer, im zeitlichen Umfeld von EM und Olympia, sofern diese Events stattfinden, soll das Spartenprogramm ‚on Air’ gehen und digital-terrestrisch sowie als IP-Stream – auch per App – spannende Sport-Angebote in hohen Reichweiten zum Hörer bringen. Bundesweit. „Die Kapazität ist vorhanden. Wirtschaftlich kann man sich da heran trauen“, sagt der 60-Jährige. Der Jahresetat soll im deutlich siebenstelligen Bereich liegen – in der Werbewirtschaft erhofft man sich „hohe Relevanz“. Dafür sollen und müssen freilich auch Hörerzahlen entsprechend sein. Genaue Zielwerte seien da aktuell noch vermessen, aber im sechsstelligen Bereich pro Stunde wolle man schon ankommen.

Ein Mann mit Ambitionen: SRD-Programmchef Alexander Fabian

Hinter den Kulissen entsteht gerade die Mannschaft, die das bewerkstelligen soll. Das Kernteam wird festangestellt und in Leipzig verortet sein, zudem will man zahlreiche freie Mitarbeiter verpflichten, mit denen ein engmaschiges nationales wie internationales Netzwerk gesponnen werden soll. An der Spitze des Teams, denn Linnenbach will selbst weder ans Mikro noch an den redaktionellen Regiepult: Alexander Fabian (37). Der wechselte jüngst von Amazon Music, wo er für das Fußball-Portfolio verantwortlich war, auf den Programmchef-Posten des neuen Radio-Players und bringt darüber hinaus weitere Expertise aus seinen Zeiten bei Sport1 FM und 90elf mit zurück in seine Heimat Leipzig. Nun will er nichts Geringeres als „Sportmediengeschichte schreiben“.

24/7 Sportradio – wie soll sich das anhören? Wie soll das gehen? Zumal man sich nach etwaigen Live-Rechten für Top-Events zunächst gar nicht erst gestreckt hat. Ergo ist Liveberichterstattung aktuell kein Thema. Linnenbach mag auch gar nicht erst groß in den millionenschweren Rechte-Wettbewerb einsteigen: „Wir sehen uns nicht als Radioprogramm, das Ereignissen hinterher läuft. Wir müssen da nicht sitzen und sagen, dass Müller zu Schmidt und der zu Meier passt.“ Viel mehr wolle man live-unabhängige Beitragsformen liefern: Hintergrundberichte, Vermischtes, Interviews, Foren mit Experten- und Hörer-Meinungen aus und über Spitzen-, aber eben auch Breitensport, E-Sport-Themen, Podcasts. Das Credo: Die eigene Begeisterung am Sport, auch am selber Sport machen, frisch und spannend vermitteln, dabei aber die kritische Distanz nicht aufgeben: „Man kann Fan der Tour de France sein oder Wintersport lieben, ohne deshalb alles hochzujubeln.“

Ohne die Highlights eines Sportkalenderjahres dürfte es aber auch in diesem Konzept nicht gehen. Ein WM-Finale werde natürlich in irgendeiner Art und Weise im Programm stattfinden, ebenso ein Springen der Vierschanzentournee, die Handball-WM oder ein Fußballbundesliga-Spieltag, räumt Linnenbach ein. Aber man werde, betont er, „garantiert nicht in die Stadien ausschwärmen oder 20 Leute nach Tokio schicken“. Das überlässt man den anderen. Stattdessen wolle man der ganzen Bandbreite des Sports gerecht werden, durchaus auch auf den Service-Charakter einzahlen. Das heißt also auch: Gesundheitssport, Ernährung und Fitness, Physio-Tipps (zum Beispiel zum Thema „Bewegung am Arbeitsplatz“) und Sportpsychologie, statt „wie steht’s auf Schalke?“ oder „Elfmeter in München“ …  – Infotainment eben.

Ob der Stoff für ein Fulltime-Angebot reicht, ob abseitige und alternative Content-Ideen unerschöpflich sind, wenn aktuelle Berichterstattung nicht zu den Schwerpunkten zählt? Hört man sich um, sind Branchenkenner gespannt bis dezent skeptisch, freuen sich aber auf den neuen Player. Stundenlangen (Werbe-)Leerlauf, Teleshopping und ‚Ruf-mich-an“-Angebote aufgrund fehlender Übertragungs- bzw. Senderechte – wie sie im Spartenfernsehen bisweilen üblich sind – soll es bei Sportradio Deutschland jedenfalls nicht geben. Eine mögliche Lösung: Musik. Wie viel Sendezeit diese einnehmen wird, ist noch nicht ganz klar. Der Sport allerdings, das betonen Linnenbach und Fabian, soll natürlich den Ton angeben.

Beitragsfoto: picture-alliance/ dpa | Achim Scheidemann | im Text: beide Fotos Sportradio Deutschland GmbH

Birgit Hasselbusch ist Kommentatorin bei Eurosport, hat für Euronews in Lyon gearbeitet und für Radio Plus Monte Carlo die Fußball-Bundesliga moderiert, genau so wie für den NDR in ihrer Heimatstadt Hamburg. Dort gehört sie auch zum Team der Medienmannschaft und schreibt Bücher für Erwachsene und Jugendliche, unter anderem eine Sportkrimi-Reihe.

Frank Schneller (51), Sportjournalist und Themenproduzent aus Hamburg. Seine Laufbahn begann Frank Schneller beim SportInformationsDienst, arbeitete dann viele Jahre in der Redaktion der Sport-Bild. Seit 2001 arbeitet  Schneller als Freelancer und ist seit 2011 Leiter des Reporter- und Dienstleister-Netzwerks Medienmannschaft.

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