Einfach mal klein machen
ein Kommentar von Gerd Graus [ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
An Fußballspiele ohne Zuschauer sind die Menschen nicht nur in Deutschland mittlerweile gewohnt. Aber das Pokalfinale in Berlin zwischen Borussia Dortmund und RB Leipzig hat den Sportfans dennoch ein ausgesprochen ungewohntes Bild beschert: Statt der gewohnten Männer in dunklen Anzügen wurden die Gewinner aus Dortmund in diesem Jahr durch zwei Jugendliche geehrt. Kein DFB-Präsident, kein DFB-Geschäftsführer oder DFB-Vizepräsident, der die Medaillen überreichte – alle, die diese Ämter zur Zeit bekleiden stehen, vor ihrem Rücktritt, in Bälde oder in einigen Monaten. Fest aber steht: Beim nächsten Pokalfinale werden sie ebenso wenig zu sehen sein auf dem Rasen bei der Siegerehrung.
Aus der Not geboren wurde ein Bild, das sinnbildlich ist für den Fußball – des Deutschen liebstes Spiel benötigt frischen Wind durch Menschen, die nachwachsen in die Strukturen der Verbände. Und damit ist nicht nur der Deutsche Fußball-Bund gemeint, auch die Deutsche Fußball-Liga gehört dazu. Es bedarf einer gewaltigen Veränderung, und die Diskussion darf nicht nur auf die üblichen Muster beschränkt sein.
Es geht nicht nur um Personen, nicht um die Fragen, ob es bekannter Gesichter wie Uli Hoeness oder anderer Ex-Profis als Heilbringer bedarf, oder ob Frauen wie Sylvia Schenk neues Denken implementieren können (was sie sicherlich könnten, und was fraglos von Nöten wäre), es geht um wirklich grundlegende Fragen: Welche Struktur braucht der deutsche Fußball?
Heribert Bruchhagen, lange Jahre Teil des Fußball-Betriebs, auch als Manager der Frankfurter Eintracht und Mitglied in vielen DFB-Gremien, schreibt in einem Gastbeitrag auf Spiegel online: „Es ist doch zum Totlachen, wenn von Kreisklassevereinen Spieler “unter Vertrag” genommen werden. Der gesamte Amateurfußball macht sich die Bundesliga in der Struktur zum Vorbild. Der DFB macht den Drittligisten und Viertligisten Auflagen, die nur die wenigsten erfüllen können, ohne ein großes wirtschaftliches Risiko einzugehen. Der SC Verl, mein Verein in der Nachbarschaft, hat ein wunderbares Stadion, das er wegen fehlender Kapazitätsgröße von 10.000 Zuschauern nicht nutzen darf – und somit gezwungen wird, nach Paderborn auszuweichen. Verbunden mit großen Kosten. Das will ich nicht verstehen.“
Er kann auch so interpretiert werden: Besinnt euch auf eure Rolle, seid Profis oder Freizeitsportler. Und die freie Übersetzung und Interpretation lautet: Es muss erlaubt sein, die Rollen der Organisationen neu zu denken. Welche Rolle spielt der DFB, welche die DFL, und welche die Nationalmannschaften? Das sind die drei Spieler, um die es geht.
Vielleicht müsste der DFB sich einmal klein machen. Auch im Verständnis und Bewusstsein seiner Funktionäre. Die Profis haben sich längst von ihm entkoppelt; der DFB ist auch nicht mehr Eigner seiner Nationalmannschaft. Dies sind vielmehr die Vereine, die ihre Profispieler:innen abstellen. Zum gegenseitigen Nutzen wohlgemerkt.
Also warum nicht einmal um die Ecke denken, die Eckfahnen neu aufstellen. Der DFB bleibt zuständig für den Unterbau, im Nachwuchs- und im Amateurbereich. Um die Profis kümmert sich die DFL, die Nationalmannschaften werden einer eigenen Einheit mit eigenem Management zugeordnet (was sie ja im Männerbereich mit Oliver Bierhoff ja schon sind).
Der DFB ist die Volumenmarke (bleiben wir beim DFB-Sponsor) VW, die Nationalmannschaft der Bugatti und die DFL der Porsche. Jede Marke mit eigenem Vorstand, übergeordnet ist der Konzernvorstand. Jeder muss in seinem Bereich Leistung bringen, der Konzernleitende ist für die Koordination und gerechte Gewinnverteilung zuständig.
Anständig bezahlt werden müssen sie alle. Ein ehrenamtlicher DFB-Präsident findet in einem solchen Konstrukt dennoch weiter seine Rolle, aber der DFB e.v. muss sich anders ordnen, auch und vor allem seine Wirtschaftsbetriebe. Die Vermarktung beispielsweise der Nationalmannschaft wäre nicht mehr seine Aufgabe.
Der DFB wäre nicht mehr so mächtig, der Vorstand der „Volumenmarke“ DFB hätte nicht mehr den direkten Draht zum Kanzleramt und wäre nicht mehr ganz vorne dabei im Olympiastadion bei der Vergabe der Medaillen, aber immer noch dabei. Und vielleicht wieder näher bei denen, die die Mehrzahl derjenigen ausmachen, die den DFB in der Mitgliederstatistik der Verbände noch immer ganz weit oben stehen lassen. Und durch ihre Arbeit dafür sorgen, dass auch bei internationalen Ereignissen noch Medaillen gewonnen werden können.
Ein Umdenken in den Köpfen der Funktionäre (es sind ja zumeist Männer) tut Not. Heute sind es nicht mehr Neckermann, Braun, Grundig, die in den Köpfen der Menschen präsent sind, sondern Amazon, Google, Facebook und andere. Tesla war der Vorreiter, VW und andere ziehen gerade nach. Vielleicht muss auch der deutsche Fußball lernen, anders zu denken.
Foto: picture alliance / Christopher Neundorf/Kirchner-Me | Christopher Neundorf/Kirchner-Media
Gerd Graus ist redaktioneller Berater des Olympischen Feuers. Der ehemalige Sprecher der Olympiamannschaft und Leiter Medien des DOSB hat das “neue” Olympische Feuer mit entwickelt. Das Olympiastadion Berlin war für ihn Arbeitsplatz als Pressesprecher von Hertha BSC und Kommunikationschef im Organisationskomitee der Fußball-WM 2006.