“Makkabi als eine große sportliche Familie!”
von Hans-Joachim Lorenz [ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT | MENSCHEN]
Olympisches Feuer: 100 Jahre Makkabi- das sind 100 Jahre bewegte deutsche Geschichte in dessen Zentrum der ungeheure Zivilisationsbruch von Nazi-Deutschland steht mit 6 Millionen ermordeter deutscher und europäischer Juden. Aber jüdisches Leben wurde nicht völlig ausgelöscht. Das zeigte auch die Neugründung der Sportvereinigung Makkabi fast 20 Jahre nach der Shoa 1961 in Düsseldorf. Weitere Klubs in Frankfurt am Main und München folgten. Was gab den Ausschlag für diesen durchaus bemerkenswerten Schritt im Land der Täter?
Alon Meyer: „Die ursprüngliche Intention für die Gründung jüdischer Vereine hängt vor allem mit der zionistischen Idee zusammen. Noch vor Beginn des 20. Jahrhunderts war das Trainieren von sogenannten „Muskeljuden“, die die physischen Voraussetzungen für den Aufbau eines jüdischen Staates mitbringen sollten, die Idee von Max Nordau. Und aufgrund des Ausschlusses von Juden aus nichtjüdischen Vereinen sollten sie sich selber organisieren. Daraus resultierte die Gründung der Makkabi Bewegung.
Ab 1933 verstärkte sich der Ausschluss jüdischer Sportlerinnen und Sportler durch die Nationalsozialisten, was einen starken Zustrom in die Makkabi Vereine mit sich brachte. Die Pogrome 1938 bedeuteten jedoch das abrupte Ende des organisierten jüdischen Sports.
Erst nach der Gründung jüdischer Gemeinden durch diejenigen wenigen, die die deutsche Heimat nicht verlassen hatten, entstanden ab 1963 nach und nach wieder jüdische Makkabi Vereine deutschlandweit, die in erster Linie als sichere und geschlossene sportliche Heimat wahrgenommen wurden.“
Olympisches Feuer: Makkabi heute. Mehr als 30 Sportarten werden angeboten. Makkabi geht aber weit über die rein sportliche Betätigung hinaus. Mit welchen Werten definiert sich der Verein in der Gesellschaft?
Alon Meyer: „Unser Angebot umfasst die bekannten Sportarten wie Fußball, Basketball, Tennis, Tischtennis, aber auch Randsportarten wie Billard, Eiskunstlaufen und Bridge, sowie die Trendsportarten Parcours und Snow Volleyball. Etwas Besonderes sind aber unsere „Spezialitäten“, so etwa unsere Krav Maga Kurse, die eine Mischung und Weiterentwicklung verschiedener Kampfsportarten durch die israelische Armee sind, oder auch unsere Moshe Feldenkrais Kurse.
Sportlich gesehen versuchen wir dabei, die Lücke zwischen Breitensport und Leistungszentrum zu füllen, indem wir ein Förderkonzept entwickelt haben, um jedes unserer Mitglieder anhand seiner unterschiedlichen Möglichkeiten optimal zu fördern!
Neben diesem Sportangebot erfahren unsere Mitglieder beiläufig auch jüdische Werte. So feiern wir z. B. anstatt Weihnachten das Chanukkafest, an hohen jüdischen Feiertagen ruht der Trainings- und Spielbetrieb, bei Mahlzeiten wird versucht, auf Kashrut zu achten. Das ist im Übrigen auch für unsere jüdischen Mitglieder etwas Besonderes.
Durch diese abteilungsübergreifenden Aktivitäten erreichen wir eines unserer Hauptziele, das der familiären Zusammengehörigkeit – Makkabi als eine große sportliche Familie! Und so besuchen wir bei Fahrten auch gerne unsere „Familienangehörigen“, nämlich andere Makkabi Ortsvereine!“
Olympisches Feuer: Makkabi hat sich geöffnet. Herkunft und Religion spielen keine Rolle für die Mitgliedschaft. Wie und von wem wird dieses Angebot angenommen?
Alon Meyer: „Bei Makkabi sind alle willkommen und so finden sich dort alle Nationalitäten, unabhängig von Religionszugehörigkeit, Hautfarbe und sexueller Orientierung, mit und ohne körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung, wieder.
Durch die Öffnung unserer Ortsvereine und den immensen Mitgliederzuwachs hat sich der jüdische Anteil an Sportlerinnen und Sportlern reduziert. Diese Offenheit des Vereins wird natürlich auch in die Abteilungen und Mannschaften getragen und Werte wie Respekt und Toleranz vermittelt.
Dennoch unterscheidet uns von anderen interkulturellen Vereinen, dass unsere Teams mit dem Davidstern auf dem Trikot auflaufen. Das wiederum setzt ein hohes Maß an Solidarität und Zusammenhalt voraus, denn bei antisemitischen Anfeindungen machen die Angreifenden keinen Unterschied zwischen jüdisch und nicht-jüdisch.“
Olympisches Feuer: Gibt es Verbindungen zu Vereinen mit vorwiegend Migranten aus dem arabischen Raum? Falls ja, wie sehen die Reaktionen aus?
Alon Meyer: „Ja die gibt es und die sind uns ganz besonders wichtig! So bieten wir ein Schwimmkurs für muslimische Frauen an. Sie kommen zu uns, um etwas zu erlernen, was in ihrer früheren Heimat vielleicht keine Rolle spielte. Aber nicht nur das, sie bekommen Anschluss und darüber im besten Fall auch Unterstützung bei der Integration.
Oder auch ein türkischer Verein, der anlässlich der 40jährigen Partnerschaft zwischen Frankfurt und Tel Aviv mit einer gemischten Delegation des Vereins und Makkabäern nach Israel und anschließend in die Türkei reiste.
Für mich sind dies Paradebeispiele der interkulturellen Bildungsarbeit.“
Olympisches Feuer: „Stichwort Antisemitismus. Ist er im Spiel- und Sportbetrieb aber auch darüber hinaus ein Thema und wie geht Makkabi damit um?“
Alon Meyer: „Es gibt leider immer wieder judenfeindliche Angriffe auf unsere Vereine. Vor allem beim Fußball und dort in unterklassigen Spielen der Senioren, A- und B-Jugend kommt es zu verbalen oder gar körperlichen Auseinandersetzungen. Was uns dazu zwingt, in manchen Begegnungen vorsorglich auf Verbandsaufsicht, Polizeischutz oder unser eigenes Sicherheitsteam zurückzugreifen.
Das kann der sogenannte „Alltagsantisemitismus“ sein, also einfach aufgrund der Tatsache, dass jemand jüdisch ist oder den „Judenstern“ auf dem Trikot trägt. Leider häufen sich diese Attacken entsprechend der Situation im Nahen Osten. Verschärft sich der Konflikt zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten, spüren wir das auf unseren Fußballplätzen ganz besonders. Und zwar werden unsere Teams bei Makkabi genauso zu Stellvertretern Israels gemacht, wie das auch gesamtgesellschaftlich immer wieder zu sehen ist: Auf einmal wird die gesamte jüdische Weltbevölkerung pauschal in Kollektivhaft für den Staat Israel genommen und verantwortlich gemacht.
Aus unserer Sicht macht es Sinn, grundsätzlich mit allen Vereinen und insbesondere denjenigen, deren Mitglieder mit problematischem Verhalten auffällig geworden sind, in einen Austausch zu gehen und präventiv zu arbeiten. Oftmals sind die Anfeindungen von Vorurteilen geprägt, denen wir durch Workshops oder Vorträge versuchen entgegenzuwirken.
Unsere Devise: Agieren statt Reagieren. Erfahrungsgemäß ist es eher kontraproduktiv, wenn es nach solchen Vorfällen zu Bestrafungen kommt. Der Hass wird nur weiter geschürt und die Stimmung angeheizt. Was nicht heißen soll, dass im Wiederholungsfall nicht doch das Sportgericht eingeschaltet werden muss. Vielmehr sollte auf pädagogische Sanktionen gesetzt werden. Man sollte mit den Personen ins Gespräch kommen und ihre Aussagen oder Taten problematisieren und nicht die Person selbst an den Pranger stellen. Wir glauben daran, dass Vorurteile durch Begegnungen abgebaut werden und dass wir aus schwierigen Situationen gemeinsam gestärkt hervorgehen können.“
Olympisches Feuer: „Wie kommentieren Sie die Vorfälle zum Conference-Spiel von Union Berlin gegen Maccabi-Haifa, in dem israelische Fans angepöbelt , beschimpft und angegriffen wurden, ausgerechnet in dem Stadion, in dem die Nazis 1936 die Werte des Sports mit Füßen getreten haben. Waren die Reaktionen des Vereins, der Uefa und der Öffentlichkeit ausreichend?“
Alon Meyer: „Der Dachverband MAKKABI Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren als gesellschaftspolitischer Akteur etabliert. Zum einen, um den Sport als Werkzeug für die Integrations- und Bildungsarbeit zu nutzen. Aber auch, um einwirkend und beratend bei entsprechenden Vorfällen zu reagieren.
Hierfür gibt es inzwischen ein Expertenteam bei MAKKABI Deutschland, das durch das bundesgeförderte Demokratie leben-Projekt „Zusammen1 – Für das, was uns verbindet“ entsprechende Bildungs- und Präventionsangebote erarbeitet und umsetzt.
Bei dem von Ihnen genannten Beispiel mit der Conference League Begegnung Union Berlin gegen Maccabi Haifa wurden aus unserer Sicht genau die falschen Konsequenzen gezogen: Mit dem Ausschluss von Fans gab es eine Kollektivstrafe, die also auch diejenigen traf, die ad hoc ihre Solidarität mit dem Team und den Fans von Maccabi Haifa bekundet hatten und aktiv gegen die Anfeindungen vorgegangen sind. Die zweite Reaktion war das Aufzeigen des Schriftzugs „No to Racicm“, was das Thema natürlich völlig verfehlte und dem aktuellen Forschungsstand weit hinterherhinkt. Wir dürfen nicht den Fehler machen und Antisemitismus als Teil von Rassismus subsumieren, denn dadurch wird außer Acht gelassen, dass beiden Phänomenen teilweise überschneidende aber zumeist gänzlich unterschiedliche Funktionsmechanismen zu Grunde liegen. Daher sind wir der Meinung, dass der Umgang mit den Vorfällen in Berlin der eigentlichen Sache absolut nicht gerecht wurde und daher auch keine Veränderung zu erwarten ist.“
Olympisches Feuer: 2015 haben in Berlin mit großem Erfolg die European Maccabi Games stattgefunden. Welche Bedeutung hat die Maccabiah, jüdische Sportspiele in Anlehnung an die Olympischen Spiele, für die Gesellschaft?
Alon Meyer: „Entstanden sind die jüdischen Spiele, ob European Maccabi Games oder Makkabi-Weltspiele, die Maccabiah, aufgrund des Ausschlusses jüdischer Sportlerinnen und Sportler von Olympischen Spielen während der Zeit des Nationalsozialismus. Inzwischen hat sich die Maccabiah zur drittgrößten Sportveranstaltung weltweit nach den Olympischen und Paralympischen Spielen entwickelt.
Die European Maccabi Games sind das größte jüdische Event Europas überhaupt und finden an wechselnden Orten statt. Sie nach Berlin zu holen, wurde zunächst natürlich mit großer Skepsis betrachtet.
Doch gemeinsam mit meinen damals ganz frisch gewählten Präsidiumsmitgliedern war ich davon überzeugt, dass es an der Zeit war. Dass die junge Generation den Blick in die Zukunft richtet. Und dass es für die alte Generation vielleicht genau eine solche Gelegenheit braucht, denn das jüdische Leben war in Deutschland bis dato vollkommen unterrepräsentiert.
Und wir sollten Recht behalten: Viele kamen zurück in das „Land der Täter“ und haben uns dafür gedankt. Und die EMG 2015 haben das jüdische Leben mit all seiner Lebensfreude und Selbstverständlichkeit in Deutschland und Europa sichtbar gemacht. Wir hatten 2.500 Teilnehmende aus 30 Nationen in 19 Sportarten.
Aus meiner Sicht hat dieses Sportgroßereignis einen immensen Beitrag zur Wiedereingliederung von Makkabi in das deutsche Sportsystem und Selbstverständnis geleistet. Es macht mich glücklich zu sehen, dass es für unsere Kinder wieder völlig normal ist, Schwarz-Rot-Gold zu tragen, die deutsche Nationalhymne mitzusingen und stolz auf ihre Heimat zu sein.“
Olympisches Feuer: „Mit welchen Zielen und Vorstellungen geht Makkabi in die Zukunft, sportlich und gesellschaftlich?“
Alon Meyer: „Unsere Vision ist es, mit unserer Offenheit und unseren gelebten Werten viele Menschen und vor allem Jugendliche zu erreichen. Dabei möchten wir mit Hilfe des Sportes viel mehr als nur die sportliche Entfaltung und Entwicklung fördern, nämlich vielmehr noch Vorurteile abbauen, Brücken bauen und somit Botschafter des Guten, unserer demokratischen Werteordnung ausbilden. Wenn wir diesen Spirit weitergeben können, werden unsere Mitglieder zu Multiplikatoren.
Das alles ist beim Sport treiben ganz leicht und unterschwellig zu vermitteln, aber für unsere Gesellschaft von essentieller Bedeutung!“
Fotos: picture alliance/dpa | Fabian Strauch – im Beitrag: picture alliance / dpa | Roland Holschneider und Rainer Jensen
Hans-Joachim Lorenz ist Vizepräsident Kommunikation / Werbung der Deutschen Olympischen Gesellschaft e.V. (DOG)