Olympia in Deutschland? Ein Stimmungsbild der Gesellschaft im Sportsommer der Superlative
Fußball-EM in Deutschland und Olympische Spiele in Paris werden den Sportsommer beherrschen. Was bedeuten derartige Mega-Events für die Deutschen? Werden sie unter dem Eindruck der beiden Highlights fortan eine Olympia-Bewerbung unterstützen? Welche Sportart kann dazu beitragen, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu stärken? Das Marktforschungsinstitut ‚Futures Sport & Entertainment‘ und die Full-Service-Agentur Octagon Deutschland gehen solchen Fragen in ihrer aktuellen Studie auf den Grund. Wir baten im Interview um entsprechende Erläuterungen.
[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]
Von Frank Schneller
Olympisches Feuer: Ihr habt gerade die erste Umfrage des Market Landscape Tracker in Deutschland durchgeführt. Was genau ist der MLT?
Kevin Alavy (Global Managing Director, Futures): Der Market Landscape Tracker ist ein von uns entwickeltes Marktforschungstool, welches wir in Deutschland zusammen mit den elf wichtigsten Sportindustrien weltweit durchführen. Seit 2017 haben wir weltweit Hunderttausende von Sportfans befragt, um ihr Interesse am Sport, ihre Haltung und ihr Konsumverhalten besser zu verstehen. Letztendlich wollen wir wissen, welche Auswirkungen dies auf die Zukunft unserer Branche und der Sponsoren, die darin investieren, hat. Deshalb ist der Market Landscape Tracker für uns ein wichtiges Instrument. Damit erhalten wir kontinuierlich länder- und sportartenübergreifende Marktergebnisse, die wir Jahr für Jahr analysieren und vergleichen können.
Olympisches Feuer: Zahlreiche Studien und Forschungsinstitute widmen sich der Analyse und dem Verständnis der Sportbranche. Was unterscheidet den MLT von der Masse?
Kevin Alavy: Die Ergebnisse des Market Landscape Tracker stammen aus einer Online-Umfragen, die wir in jedem Land mit repräsentativen Zielgruppen aller Altersgruppen, Geschlechter und Wohnorte durchführen. Die Häufigkeit der Befragung variiert je nach Land. In manchen Ländern sammeln wir monatlich Daten, in anderen vierteljährlich oder halbjährlich. Dies gibt uns einen guten Einblick in die Entwicklung der Ergebnisse im Laufe der Zeit. Einzigartig ist, dass wir die Fragen kontrollieren und uns ausschließlich auf Sport und Sponsoring konzentrieren können. Es gibt zwar andere Umfragen dieser Art, aber typischerweise versuchen Forschungsinstitute, Fragen zu allem Möglichen zu stellen. Das führt zu sehr langen Umfragen, die tendenziell zu Daten minderer Qualität führen. Wir passen die Fragen an die Bedürfnisse unserer Kunden an und aktualisieren sie von einer Marktumfrage zur nächsten. Genau diese Anpassung ermöglicht eine wesentlich tiefere Analyse im Vergleich zu den standardisierten Marktforschungen, die es sonst in der Branche gibt.
Olympisches Feuer: Welche Implikationen hat das MLT für die Kundenberatung?
Tassilo von Hanau (Agency Director Germany, Octagon): Die Studie liefert uns einen sehr großen Mehrwert, insbesondere weil wir sie auf den deutschen Markt und unsere Bedürfnisse zuschneiden sowie auf relevante Fragen und Erkenntnisse aus unserer Markenberatung ausrichten konnten. Wir werden fast täglich mit Fragen zur Wahrnehmung von Sponsoren oder zum Einfluss des Sports auf Nachhaltigkeitsthemen konfrontiert. In letzter Zeit drehten sich viele Diskussionen um die bevorstehenden Großveranstaltungen in diesem Sommer und darum, wie sie die Aussichten der Sponsoringbranche beeinflussen. Die Synergien zwischen den Leistungen und der Expertise von Futures und den Anforderungen des Marktes im Hinblick auf die Bereitstellung der richtigen Beratung sind einfach perfekt und bereichern unser Dienstleistungsangebot erheblich.
Olympisches Feuer: Sprechen wir über Fakten: Welche Erkenntnisse gibt es aus der letzten Marktumfrage?
Kevin Alavy: Eine typische Ausgangsfrage wäre: Welche Sportarten begeistern die Deutschen? Geht man allerdings einen Schritt weiter und fragt sich: Welche Sportarten könnten die Deutschen in Zukunft begeistern? – wird es spannend. Es gibt einen auffälligen Unterschied in den Reaktionen der Generation Z im Vergleich zu denen ab 25 Jahren. Hierzu zwei Beispiele: Was den Lieblingssport der Generation Z betrifft, befindet sich Esports auf Platz zwei. Und wenn wir uns den Net Promoter Score (NPS) ansehen, also den Indikator dafür, wie viele Fans den Sport tatsächlich weiterempfehlen würden, ist der NPS innerhalb dieser Altersgruppe für Radsport der zweithöchste. Diese Ergebnisse weichen stark von denen der über 25-jährigen ab. Das weist wiederum auf ein längerfristiges Potenzial hin, das Esports und Radsport haben, um ihre Relevanz in der deutschen Sportlandschaft auszubauen.
Olympisches Feuer: Radsport hat ein solches Potenzial? Klar, Radfahren hat in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen – aber bezieht sich das nicht eher auf den Breitensport?
Kevin Alavy: Der Datenpunkt Radsport ist besonders interessant, wenn man an die 1990er Jahre und das wohl goldene Zeitalter des deutschen Radsports denkt, mit Jan Ulrichs Erfolgen bei der Tour de France und anderen großen Rundfahrten. Diejenigen, die alt genug sind, um sich zu erinnern, wissen natürlich, dass diese Zeit von Dopingvorwürfen überschattet wurde, die den Sport in den 1990er und 2000er Jahren erschütterten. Für die jüngere Generation, die zu jung ist, um sich an solche Ereignisse zu erinnern, hat der Radsport jetzt die Chance auf einen Neustart. Innerhalb einer neuen Generation, die nicht diese negative Konnotation von Doping hat, kann der Sport wieder große Marktanteile gewinnen – zumal diese das Fahrrad mit einem nachhaltigen Fortbewegungsmittel verbinden.
Tassilo von Hanau: Stichwort Nachhaltigkeit: Als zentraler Bestandteil wollten wir mehr darüber zu erfahren, wie der Aspekt der Nachhaltigkeit im Sport dazu beitragen kann, den gesellschaftlichen Diskurs voranzutreiben. Wir haben die verschiedenen Dimensionen der Nachhaltigkeit untersucht und analysiert, in welchen Sportarten sie wirklich Wirkung zeigen oder im Bewusstsein der Verbraucher akzentuiert werden können. Unter diesen Dimensionen stechen die sozialen und ökologischen Komponenten als Treiber hervor, von denen die Fans glauben, dass sie in einzigartiger Weise durch den Sport beeinflusst werden könnten. Wir haben uns sogar genauer damit beschäftigt, welche Marken und Sponsorenkategorie im Nachhaltigkeitskontext gut positioniert sind und somit einen authentischen kommunikativen Weg zu diesen Themen finden könnten. Das ist ein spannender Aspekt, der uns dabei hilft, die Gespräche mit unseren Kunden über Rechte und Aktivierungsentscheidungen zu steuern.
Kevin Alavy: Wenn es um die Rolle der Sportindustrie für die Herbeiführung positiver, sozialer Veränderungen geht, werden vor allem die Sportverbände selbst in die Pflicht genommen. Das wirft eine interessante Frage für die Arbeit auf, die wir mit Sportligen und -verbänden leisten: Was können sie tun, um voranzugehen und diesen gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben?
Olympisches Feuer: Im Sommer der Großereignisse ist die Debatte um die Austragung von Events wie der EM oder Olympia in Deutschland in vollem Gange. Doch wie steht die Bevölkerung dazu?
Tassilo von Hanau: Die Daten deuten durchaus darauf hin, dass es eine allgemeine und breite Unterstützung für die Ausrichtung von Großveranstaltungen in Deutschland gibt. Interessanterweise ist diese Unterstützung jedoch besonders stark bei den jüngeren Generationen, die die Möglichkeit, eine Veranstaltung auszurichten, deutlich höher einschätzen. Angesichts der Medienberichterstattung über die jüngsten Volksabstimmungen in Deutschland und dem öffentlichen Widerstand gegen namhafte Bewerbungsverfahren in Bayern für die Olympischen Winterspiele 2022 oder in Hamburg für die Olympischen Sommerspiele 2024 ist das eher widersprüchlich.
Kevin Alavy: Was erwarten die Menschen von einer Großveranstaltung? Das ist die Frage, die wir uns gestellt haben, und ich glaube, es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was uns die Forschung sagt, und dem, worauf sich ein Großteil der Kommunikation rund um Großveranstaltungen konzentriert.
Olympisches Feuer: Wie äußert sich dies?
Kevin Alavy: Schaut man sich Medienberichte an, nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland, steht oft die Frage im Fokus, ob die Ausrichtung von Großveranstaltungen wirtschaftlich sinnvoll ist. Werden x-tausend Arbeitsplätze geschaffen? Steigern sie das BIP um y-Prozent? Aber tatsächlich zeigt unsere Research, dass es den Menschen nicht auf die Auswirkungen auf die Wirtschaft ankommt. Es ist die Auswirkung auf das Glück und die Zufriedenheit der Menschen. Und das ergibt für mich instinktiv Sinn, weil das viel nachvollziehbarer ist. Wir verstehen, ob wir glücklich oder unglücklich sind oder ob unsere Nachbarn, Freunde oder Familie glücklich oder unglücklich sind. Ein halber Prozentpunkt des BIPs hingegen ist für die meisten Menschen ein relativ bedeutungsloses Konzept, sofern sie kein Ökonom sind.
Olympisches Feuer: Sollte sich die Kommunikation rund um die Ausrichtung von Großveranstaltungen daher nicht viel stärker auf dieses gesellschaftliche Glück konzentrieren?
Tassilo von Hanau: Definitiv. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich diese wesentlichen Ergebnisse unserer Studie im Verlauf des Sommers verändern. Vermutlich werden die großen Sport-Ereignisse dieses Sommers diese Wahrnehmungen maßgeblich beeinflussen. Wir werden dies, kurz nach der EURO, bei der nächsten Marktumfrage mit Spannung verfolgen.