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Mütter im Spitzensport: Mama ist die Weltbeste

Der Text stammt aus dem Sporthilfe-Magazin go!d – Ausgabe 1/2021 [SPORTHILFE | SPORTHILFE ‘gold’ | RINGE | MENSCHEN]

Cindy Roleder geht neuerdings bereits um 20:30 Uhr ins Bett. Edina Müller stellt manchmal erst bei der Arbeit fest, kein Mittagessen dabei zu haben. Und Dajana Eitberger verpasst die Radio-Show ihres Freundes, weil ein spontaner Mittagsschlaf dazwischenkommt. Bei jungen Müttern alles keine Besonderheit, wenn sich die Prioritäten in Richtung Familie verschieben und quasi nebenbei die eigene Karriere organisiert werden muss. Einfach ist das in keinem Job – erst recht nicht, wenn es sich um Leistungssport auf Weltklasse-Niveau handelt. Zumindest 100-Meter-Hürdensprinterin Cindy Roleder ist es aus ihrem Sport gewohnt, Hindernisse zu überwinden – egal, ob 84 Zentimeter hohe Hürden auf der Tartanbahn oder mittlerweile auch die Herausforderungen, die ein Alltag als Spitzenathletin und Mutter mit sich bringt.

Dass auch während einer Schwangerschaft Sport betrieben werden kann, zeigt Cindy Roleder: Ihre letzte Trainingseinheit absolvierte die 100-Meter-Hürdensprinterin zwei Tage vor der Entbindung. (Foto: Instagram)

„Ich habe nie verstanden, warum Mama-Sein gleichzeitig das Karriereende bedeuten muss“, sagt die WM-Zweite, die plant, gut sechs Monate nach der Geburt ihrer Tochter, an den Olympischen Spielen in Tokio teilzunehmen. Eine Schwangerschaft als aktive Athletin will gut getimt sein, sofern das überhaupt möglich ist. Und selbst wenn das Timing stimmt, gibt es viele weitere Unsicherheiten und Vorurteile, mit denen Spitzensportlerinnen konfrontiert werden.

Der Kopf

Die Leistungssportkarriere für mindestens ein Jahr zu unterbrechen, vielleicht sogar auf ihrem Höhepunkt, ist keine einfache Entscheidung. Zumindest keine, die einer Athletin von offizieller Seite leicht gemacht wird. „Es passt eigentlich nie in unserem Sport, weil wir jedes Jahr ein Highlight haben. Wenn man sich aktiv dafür entscheidet, Mama zu werden, dann auch dafür, eine Weile auf den Sport zu verzichten“, sagt Roleder. Ein Weg, den auch Dajana Eitberger gegangen ist, Olympia-Zweite im Rennrodeln und jetzt Mutter eines einjährigen Jungen.

„Als Spitzensportlerin ist man angehalten, mit der Familiengründung zu warten, bis man seine Höchstleistungen absolviert hat, also bis man Mitte 30, Anfang 40 ist. Das ist der Preis, den es bislang zu bezahlen galt“, sagt die Wintersportlerin. Nach einem Jahr Pause hat die 30-Jährige in der vergangenen Saison den Wiedereinstieg geschafft und ihr Comeback mit ihrer ersten WM-Einzelmedaille überhaupt gekrönt.

Die gebürtige Thüringerin ist als Sportsoldatin über ihren Arbeitgeber abgesichert. Sie weiß aber von vielen älteren Athletinnen, die sich auch in Ermangelung einer abgeschlossenen Berufsausbildung nie an das Thema Familienplanung herangetraut haben. Gerade für junge Sportlerinnen kann diese Frage sehr beängstigend und auch belastend sein, glaubt Eitberger. „Manchmal scheint es schwierig, sich für Familie und gegen den Sport zu entscheiden. Ich sage ganz klar: Es geht beides. Die Grenzen setzt man sich nur selbst im Kopf.“

Geschlossene Trainingsstätten und Fitnessstudios – in Zeiten einer Pandemie ist Improvisation gefragt. Rennrodlerin Dajana Eitberger betätigt sich deshalb sportlich zu Hause, hier mit dem kleinen Levi als Trainingspartner. (Foto: Instagram)

Das Umfeld

Bei aller persönlicher Freude: Trainer:innen, Funktionär:innen und nicht zuletzt Sponsoren brechen nur selten in Jubelarien aus, wenn eine erfolgreiche Athletin zunächst einmal nicht mehr zur Verfügung steht. Eitberger hat dafür durchaus Verständnis, schließlich hat der Erfolg der Athlet:innen unmittelbare Auswirkung auf die Finanzierung der Spitzenverbände. Umgekehrt wäre ein Treuebekenntnis auch eine Chance, vorausgesetzt, das Comeback gelingt. „Das spricht dann ja für den Verband“, sagt Eitberger. Auf ihre Sponsoren war sie vor ihrer Pause proaktiv zugegangen, hatte ihnen freigestellt, sie weiterhin zu unterstützen – auch zu zunächst geringeren Bezügen. Niemand sprang ab. Cindy Roleder entschloss sich nach der Olympia-Verschiebung im Frühjahr 2020, es mit dem Kinderkriegen zu probieren und danach einen neuen sportlichen Anlauf zu wagen. Auch ihre Partner blieben an Bord, manche sprangen sogar thematisch auf den Schwangerschaftszug auf. „Allerdings kenne ich auch Geschichten von Athletinnen, denen die Sponsoren weggebrochen sind“, sagt Roleder.

International machte die Story von US-Sprinterin Allyson Felix Schlagzeilen, als sechsmalige Olympiasiegerin und zwölfmalige Weltmeisterin erfolgreichste Leichtathletin der Geschichte. Nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2018 machte Felix öffentlich, dass ihr wichtigster Sponsor ihr wegen der Schwangerschaft die Bezüge gekürzt hatte. Was folgte, war ein Sturm der Entrüstung und eine Flut an Solidaritätsbekundungen. Für das Unternehmen ein PR-Desaster. Roleder macht inzwischen aber ein Umdenken in der Branche aus: „Viele Athletinnen haben inzwischen bewiesen, dass sie nach einer Schwangerschaft sogar neue Bestleistungen erzielen können. Für einen Sponsor kann das auch ein extra Bonus sein.“

Die Schwangerschaft

Wie lange und in welchem Umfang eine Athletin auch während der Schwangerschaft noch Sport treiben kann, ist selbstverständlich höchst individuell. „Natürlich muss man aufpassen, aber man kann weiter Sport treiben und sich auch am Ende der Schwangerschaft noch lange fit halten“, sagt Cindy Roleder. In den ersten drei Monaten trainierte sie beinahe normal, die letzte Einheit absolvierte sie noch zwei Tage vor der Entbindung. „Ich will mit solchen Mythen aufräumen und aufklären. Aber natürlich sieht das bei einer Risikoschwangerschaft anders aus“, betont die 31-Jährige.

Bereits nach sieben Wochen saß die Para-Kanutin Edina Müller wieder auf dem Ergometer. Auch ihr kleiner Sohn Liam ist seither immer mit dabei. (Foto: Instagram)

In dieser Hinsicht Glück hatte auch Edina Müller, Welt- und Europameisterin im Para-Kanu auf der Rennstrecke. Nicht mehr als sieben Kilo nahm die querschnittgelähmte Athletin, die 2012 noch als Rollstuhlbasketballerin Paralympics-Gold gewonnen hatte, in ihrer Schwangerschaft zu. Sie hielt sich bis kurz vor der Entbindung fit, vor allem mit Stabilitätstraining. Sieben Wochen nach der Geburt ihres Sohnes saß sie schon wieder auf dem Ergometer. Eine Art Trainingsplan, wie sie als schwangere Leistungssportlerin trainieren sollte, fehlte ihr dabei allerdings. Beim Training sei sie häufig unsicher gewesen, was geht, was nicht und bastelte sich vieles selbst mit ihrem Trainer zusammen.

Fotos: Beitragsbild: Picture alliance / Beautiful Sports | Raphael Schmitt, Text: Instagram

Die Deutsche Sporthilfe portraitiert in ihrem Magazin “gold” Sportlerinnen und Sportlern und gibt auch den Lesern und Leserinnen des Olympischen Feuers die Gelegenheit, mehr über die Menschen zu erfahren, die wir ansonsten allzu oft nur durch ihre sportlichen Erfolge kennen.

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