Die Großplastik „Diskuswerfer“ von Karl Albiker an der Südosthecke des Olympiastadions nahe dem Coubertinplatz.
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Aufgewärmt, ja heuchlerisch – der Skulpturenstreit

von Volker KlugeC

„Weg mit diesen Skulpturen!“ Unter dieser Überschrift appellierte der ehemalige Berliner SPD-Politiker Peter Strieder am 14. Mai 2020 in der ZEIT, keine Steuergelder mehr für das Berliner Olympiastadion einschließlich Olympiapark auszugeben. Seine Forderung: „Das gesamte Gelände und den Denkmalsschutz einer kritischen Revision unterziehen und das Gelände entnazifizieren, modernisieren und transformieren in einen lebendigen Sport- und Freizeitpark.“ Alle Skulpturen, Reliefs und Sgrafittos, die Strieder als „Nazi-Kunst“ bezeichnet, sollen beseitigt werden. Straßen und Plätze möchte er umbenannt wissen; das Maifeld samt Tribünen will er abräumen lassen.

Als Begründung verwies Strieder auf die Wahlerfolge der AfD und die Morde von Halle und Hanau: „Der Geist des Rechtsextremismus und Nationalismus – wie er sich auf dem gesamten Olympiagelände manifestiert – ist fruchtbar noch.“ Übrigens war Strieder von 1996 bis 2004, also in einer Zeit, in der das Olympiastadion saniert und modernisiert wurde, Senator für Stadtentwicklung und – man höre und staune! – für Denkmalsschutz.

Doch die Diskussion ist keineswegs neu. Sie wurde schon vor zwanzig, ja dreißig Jahren geführt. Das damalige Ergebnis lautete: kein Abriss, keine „Kolosseum-Lösung“. Die Denkmäler sollten belassen, weder auf den Kopf gestellt, noch „künstlerisch“ beschmutzt oder begrünt werden. Stattdessen erklären, wie das seit Jahren mit einem historischen Pfad im Olympiapark geschieht.

Dass das Thema gerade jetzt, inmitten der Corona-Krise, von Strieder neu aufgewärmt wird, ist gewiss kein Zufall. Das allgemeine beinahe lustvolle Genießen eines Shutdowns ganzer gesellschaftlicher Bereiche hat unverkennbar zugenommen. Aber: Was einmal verschwunden ist, kommt selten wieder.

Vermutlich trägt dazu auch die „Black Lives Matter“-Bewegung bei, die sieben Jahre nach ihrer Gründung und als Folge rassistisch motivierter Polizeigewalt in den USA gerade einen Höhepunkt erlebte. Begleiterscheinungen waren Straßenschlachten, aber auch Vandalismus. Geplündert wurden Geschäfte, und der Zorn der Massen richtete sich manchmal auch – nicht ganz unverständlich – gegen Denkmäler von Sklavenhändlern, Konföderierten-Generälen, Amerika-Entdecker Christoph Kolumbus und George Washington. In London fiel ihm eine Gandhi-Statue zum Opfer. Sorry, Kollateralschaden!

Bei so viel Dynamik kann Deutschland nicht abseits stehen. Um die Denkmäler der Kolonialkrieger mag es nicht schade sein, und irgendwie klingt auch die Idee innovativ, den 34,3 Meter hohen Bismarck-Koloss in Hamburg „einen Kopf kürzer“ zu machen. Aber an große Denker wie Immanuel Kant „ranzugehen“, wie zu lesen war, weil dieser vor 220 Jahren anthropologische Wissenslücken aufwies, überschreitet dann doch die Grenzen reiner Vernunft.

March war und blieb der große Macher

Als das IOC 1931 Berlin die Spiele der XI. Olympiade an Berlin vergab, fiel die Entscheidung in die Zeit der Weltwirtschaftskrise. Dementsprechend sparsam waren die Planungen. Der 37-jährige Berliner Architekt Werner March bekam den Auftrag, das einst im Innenraum der Grunewald-Rennbahn gelegene Deutsche Stadion, das Vater Otto für die Olympischen Spiele von 1916 entworfen hatte, umzubauen und zu erweitern. Seinen jüngeren Bruder Walter machte er zu seinem ersten Mitarbeiter.

Werner und Walter March hatten bereits 1926 gemeinsam den 1. Preis für den Entwurf des Deutschen Sportforums gewonnen, das im Norden der Rennbahn gebaut werden sollte. Seine Errichtung zog sich dann aus Kostengründen ein Jahrzehnt hin. Zur selben Zeit ging Walter, der 1923 bei der Einrichtung des Weimarer Bauhauses Assistent von Walter Gropius gewesen war, in die Vereinigten Staaten, deren Staatsbürgerschaft er 1928 erhielt. Fünf Jahre später kehrte auf Bitten seines Bruders vorübergehend nach Berlin zurück. In seinem Gepäck befanden sich wichtige Erkenntnisse für den Stadionbau, die er 1932 beim Besuch der Olympischen Spiele in Los Angeles gesammelt hatte.

Hitlers „Machtergreifung“ bedeutete erst einmal Stillstand. Bis dahin hatten die Nationalsozialisten die Spiele wegen ihrer Internationalität und Liberalität abgelehnt. Das änderte sich innerhalb weniger Wochen, nachdem Theodor Lewald, der Präsident des Organisationskomitees, Hitler und Goebbels die „ungeheure Propagandawirkung“ begreifbar gemacht hatte, die durch die Berichterstattung von den Spielen ausgehen würde.

Schwerwiegende Entscheidungen fielen aber erst im Oktober 1933, nachdem sich das Regime brutal konsolidiert hatte. Nach einem Besuch des Deutschen Stadions befahl Hitler dessen Abriss und die Errichtung einer 100.000-Zuschauer-Arena, mit der er die Welt beeindrucken wollte.

Die Großplastik „Diskuswerfer“ von Karl Albiker an der Südosthecke des Olympiastadions nahe dem Coubertinplatz.

Der „Ideale Sportplatz“, den der Generalsekretär des Organisationskomitees, Carl Diem, in den 1920er-Jahren entwickelte hatte, wurde plötzlich Wirklichkeit. Das Konzept, für das Diem in Werner March einen kongenialen Partner fand, lehnte sich an die Antike an. Neben der Kampfbahn (stadion) entstanden ein Aufmarschfeld (forum), die Langemarkhalle mit Glockenturm (templon), die Freilichtbühne (theatron), eine Reichsakademie (gymnasium), das Haus des Deutschen Sports (prytaneion) und das öffentliche Übungs- und Erholungsgelände (palästra).

Hitler, dem die Moderne fremd war und der den Neoklassizismus favorisierte, äußerte einige Sonderwünsche, die March mehr oder weniger widerwillig berücksichtigte. Trotz anderweitiger Darstellung, für die nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem Hitlers Lieblingsarchitekt Albert Speer sorgte, dominierte immer Marchs Handschrift. Er war und blieb der große Macher.

Statt antiker Kopien säulenartige Kunstwerke

Das betraf auch die Ausschmückung der Anlage, die anfangs aus finanziellen Gründen gar nicht vorgesehen war. Da Hitler seine Zustimmung aber an die Bedingung geknüpft hatte, dass das Reich als Bauherr auftreten sollte, befahl er seinen Gauleitern, Kunstobjekte „als Gabe darzubringen“. Dem kamen die Duodezfürsten so zögerlich nach, worauf die ganze Aktion abgeblasen wurde.

Stattdessen verfiel Lewald, auf die Idee, das Gelände mit antiken Abgüssen und bekannten deutschen Kunstwerken wie dem „Siegesboten von Marathon“ zu verschönern. Das entsprach jedoch nicht Marchs Intention. Er wollte weder das alte Olympia kopieren, wo Statuen in der Altis im losen Zusammenhang mit den Bauwerken gestanden hatten, noch schwebte ihm das 1928 eröffnete römische Marmorstadion im Foro Mussolini (heute Foro Italico) vor, das mit einem Kranz von 65 Athletenfiguren verziert worden war.

Statt dekorativer Elemente suchte March monumentale, aufrecht stehende Kunstwerke, die er nach streng räumlichen Beziehungen in die Achsen eines städtebaulichen Ensembles einbauen konnte. Um den vertikalen Eindruck des Säulenringes, mit dem er das Stadion umgab, zu verlängern, entschied er sich für sieben Meter hohe Figurengruppen beiderseits des Osteingangs. Sie wurden ihm als „Diskuswerfer“ und „Staffelläufer“ vom Dresdner Bildhauer Karl Albiker (1881-1961) geliefert.

Als Gegengewicht im Westen, gleichzeitig als Trennlinie von Stadion und Aufmarschfeld2 gedacht, entschied sich March für eine dritte Figurengruppe namens „Sportkameraden“ von Sepp Mages (1895-1977) und für eine „Siegesgöttin“ von Willy Meller (1887-1974), auch „Deutsche Nike“ genannt.

Zur Betonung der Ost-West-Achse wählte der Architekt zwei „Rosseführer“ von Josef Wackerle (1880-1959), die die Eckblöcke des Marathontores wiederholen. Wer Rom kennt, wird bei ihrem Anblick vielleicht an das Dioskuren-Paar vom Monte Cavallo vor dem Quirinalspalast erinnert.

Anders als die antiken Kunstwerke, die sich durch Leichtigkeit auszeichnen und zumeist aus Bronze oder Marmor aufs Feinste durchgearbeitet wurden, machen die Statuen des Olympiastadions aus der Nähe einen geradezu unförmigen Eindruck, zumal die Bildhauer die Bosse1 teilweise stehen ließen. Gefertigt wurden die Figuren aus Gauinger Travertin, einem hellen, mehr oder weniger porösen Kalkstein, so dass sich die dargestellten Menschentypen wohl kaum einer speziellen Ethnie zuordnen lassen. Ihre Wirkung verändert sich zum Positiven, je weiter der Betrachter entfernt ist, denn Marchs Konzept beschränkte sich allein auf Fernsicht.

Was ihm im Olympiastadion glückte, gelang auch im Sportforum. Hier hatte der Architekt nichts dagegen einzuwenden, Bauten und Plätze mit Bronzeplastiken auszustaffieren. Die heutige Kritik konzentriert sich vor allem auf die Kolossalfiguren „Siegerin“ und „Zehnkämpfer“ in der Pfeilerhalle am Jahnplatz, mit denen Arno Breker (1900-1991) der breiten Freitreppe ein feierliches Gepräge verleihen wollte. Anders als behauptet, war er unter den Bildhauern damals keineswegs Hitlers Favorit. Vielmehr war Breker so wenig bekannt, dass er im „Ausschuss für künstlerische Ausschmückung des Reichssportfeldes (Kunstausschuss)“ „Brecker“ genannt und als „figürlicher Plastiker mehr realistischer Art“ bezeichnet wurde.

Der mit Aristide Maillol befreundete Breker übersiedelte erst 1934 von Frankreich nach Berlin, wo er von der Witwe Max Liebermanns gebeten wurde, dem berühmten jüdischen Maler die Totenmaske abzunehmen. Den „Zehnkämpfer“ schuf er auf Anregung Diems für den Olympischen Kunstwettbewerb von 1936. Die archaisch anmutende Idealfigur brachte Breker zwar eine Silbermedaille ein, sie wirkte am Ende aber steif, weshalb der Kunstausschuss ihn beauftragte, die für den Jahnplatz gedachte, auf 2,50 m vergrößerte Replik durch ein Handtuch aufzulockern.

Pfeilerhalle am „Haus des Deutschen Sports“ mit einem Zitat von Friedrich Ludwig Jahn und den Breker-Figuren „Zehnkämpfer“ und Siegerin“.

Als Pendant zu Brekers Statuen verwendete March zwei Tierfiguren von Lois Gruber (1892-?), die den Platz nach Westen abschlossen – Kuh und Stier, wohl als Fruchtbarkeitssymbole gedacht. Der „Ruhende Athlet“ von Georg Kolbe (1877-1947), der der Obrigkeit wegen seiner lässigen Beinhaltung weniger gut gefiel, wurde zwar angekauft, aber ins Abseits nahe der Schwimmhalle gestellt. Auch Kolbes „Zehnkampfmann“ – schon 1933 gegossen – fand keinen großen Beifall. Die Bronze kam in die Lichthalle des Hauptgebäudes, wo sich 40 Jahre die Briten in der „schönsten Kaserne von Berlin“, wie sie das Sportforum nannten, an ihrem Anblick erfreuten.

Bilderstürmerei ist als Entnazifizierung untauglich

Der Streit um das architektonische Erbe der NS-Zeit ist fruchtlos, da sich Baudenkmäler (und nur bedingt ihr baukünstlerischer Schmuck) nicht entnazifizieren lassen. Man sollte sie auch nicht für die Ideen ihrer Urheber büßen lassen.

Und womit will man beispielsweise in Berlin anfangen? Eine kleine Auswahl: Fehrbelliner Platz, Messegelände, Kasernen der SS-Leibstandarte (heute Bundesarchiv Lichterfelde), Reichsluftfahrtministerium (heute Bundesfinanzministerium), Propagandaministerium (heute Bundesministerium für Arbeit und Soziales), Reichsbank (heute Auswärtiges Amt), Flughafen Tempelhof, Diplomatenviertel im Tiergarten, Großer Stern, Ostwest-Achse, Nord-Süd-S-Bahn, Straßen und Brücken, die im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von 1936 entstanden?

Eine respektlose Bilderstürmerei, wie sie von einem ehemaligen Senator verlangt wird, erspart zwar eine inhaltliche Auseinandersetzung, sie legt aber auch den Keim zu neuer Unbill. Zur Bekämpfung alter und neuer Nazis ist sie ganz gewiss untauglich.

Zur Ehrenrettung Strieders sei jedoch gesagt, dass er schon in seiner Amtszeit das Olympiastadion abreißen und Hertha BSC im Olympiapark eine Fußballarena mit 1a-Verkehrsanbindung servieren wollte. Wenn das die Absicht war, den Streit erneut anzuzetteln, dann kann man diesen nur durchschaubar, ja heuchlerisch nennen. Die aus den USA bei uns angekommene „identity politics“ spaltet schon jetzt die Gesellschaft zunehmend in Kleingruppen von Esoterikern bis Impfgegnern und maskenlosen „Freiheitkämpfern“, die sich lautstark als das „Volk“ auszugeben, um tatsächlich eigene Interessen durchzusetzen.

Beitragsbild: Georg Kolbes „Ruhender Athlet“, auch „Großer liegender Mann“ genannt, für den Kolbe den jüdischen Musiker Hans Loewy als Modell verpflichtet hatte.

Fotos: Beitragsbild und Fotos im Artikel: Peter Frenkel; Foto Autor: Volker Kluge

Volker Kluge, Diplom-Journalist, Berichterstatter von 18 Olympischen Spielen, freier Publizist und Buchautor. Seit 2008 Mitglied des Exekutivkomitees der International Society of Olympic Historians (ISOH); seit 2012 Herausgeber und Chefredakteur des Journal of Olympic History; ISOH Lifetime Award 2008.

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