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Südafrika und die Olympischen Spiele: IOC als Motor der Isolation

von Jan Hangebrauck [ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT | HISTORIE]

Die weltweiten Proteste gegen Rassismus haben im letzten Jahr einen spürbaren Aufwind erfahren. Dies gilt auch für den Sport, wo beispielsweise mehrere Stars der amerikanischen Basketballliga NBA monatelang gestreikt haben. Für die Olympischen Spiele in Tokio sind, sofern sie stattfinden, Widerstandsaktionen US-amerikanischer Athleten und Athletinnen geplant. Diese Aktivitäten verdeutlichen die Rolle des Sports als Mittel des Widerstands gegen soziale und politische Missstände. Dies ist gut zu erkennen, wenn man den Blick auf die Geschichte der Proteste bei den Olympischen Spielen richtet. Interessant ist beispielsweise der Fall Südafrikas, der in Deutschland vielen nur eingeschränkt bekannt sein dürfte.

Südafrika und das IOC

In Südafrika existierte seit 1948 das System der Apartheid, der Rassentrennung, was die vier Bevölkerungsgruppen „blacks“, „whites“, „coloureds“ und „asians“ dazu zwang, sich in allen Einrichtungen des öffentlichen Lebens voneinander zu separieren und in getrennten Wohngebieten zu leben.

Gegen diese Praxis regte sich bereits früh nationaler und internationaler Widerstand, auch im Sport. Im IOC verlangten insbesondere die nichtrassistische South African Sports Association (SASA) und das sowjetische IOC-Mitglied Aleksei Romanow seit der Mitte der 1950er Jahre, Südafrika von den Olympischen Spielen auszuschließen. Unter dem Eindruck des Sharpeville-Massakers im März 1960 mit 69 Toten und aufgrund zunehmender Drohungen afrikanischer Länder, die Olympischen Spiele 1964 in Tokio zu boykottieren, schloss das IOC Südafrika am 18. August 1964 schließlich von den Wettkämpfen aus.

Auch 1968 durfte Südafrika nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen. Als Ersatz veranstaltete das rassistische NOK Südafrikas, das South African National Olympic Committee (SANOC), die sogenannten „Südafrikaspiele“, die für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen getrennt und mit internationaler Beteiligung abgehalten wurden. 1969 richtete das SANOC die Spiele für Südafrikaner:innen mit europäischer Abstammung aus, die außer von südafrikanischen Sportlern:innen jedoch nur von wenigen Athleten:innen aus Neuseeland, der Bundesrepublik und Großbritannien besucht wurden. Die Beteiligung westdeutscher Aktiver war sehr verhalten, denn das Supreme Council for Sport in Africa (SCSA), eine zwischenstaatliche Organisation afrikanischer Nationen, hatte im Vorfeld der Veranstaltung damit gedroht, die Olympischen Spiele 1972 in München zu boykottieren, falls westdeutsche Sportler:innen teilnehmen sollten. 1970 organisierte das SANOC die Spiele für schwarze Südafrikaner:innen, wofür es die fünf olympischen Ringe als Symbol verwendete, ohne das IOC um Erlaubnis gebeten zu haben. Dieses Vorgehen stieß beim IOC auf großes Missfallen. An den Spielen nahmen zudem nur wenige schwarze Sportler:innen teil und auch die Zuschauerzahlen waren gering, da die Mehrzahl der Menschen mit schwarzer Hautfarbe diese Sportveranstaltung aufgrund der dort fortbestehenden Trennung zwischen den Bevölkerungsgruppen ablehnte.

Proteste bei der Springboktour nach Großbritannien im November 1969 in Oxford; Foto: Ullsteinbild.

 

Auf der IOC-Session im Mai 1970 in Amsterdam präsentierte das SCSA eine Resolution, in der es Südafrika einen Verstoß gegen die Prinzipien der Olympischen Charta, unter anderem gegen die erste Regel, welche Diskriminierung von Sportlern:innen verbietet, vorwarf. Letztlich wurde Südafrika mit 35:28-Stimmen aus der Olympischen Bewegung ausgeschlossen. Dieser Schritt fand in Südafrika ein sehr geteiltes mediales Echo: „Die Burger“, das Sprachrohr der Apartheidregierung, bezeichnete diesen am 16. Mai als Maßnahme, deren Ursachen „personnlikke verheerliking, chauvinistiése aspirasies en bevredigiing wat spruit uit haat”, also „persönlicher Ruhm, chauvinistisches Bestreben und Befriedigung, die aus Hass entspringt“ seien, während der liberale Daily Dispatch den Ausschluss aufgrund der Diskriminierung nichtweißer Aktiver als gerechtfertigt ansah.

Neben der bereits erwähnten unerlaubten Verwendung der Ringe des IOC spielten der wachsende Widerstand gegen dieses Unrechtsregime, primär durch afrikanische Staaten, und die Verweigerung eines Visums für den afroamerikanischen Tennisspieler Arthur Ashe eine zentrale Rolle für die Entscheidung des IOC. Der Ausschluss Südafrikas aus der Olympischen Bewegung stellte einen Katalysator für zahlreiche andere Ausschlüsse dieses Landes aus internationalen Sportdachverbänden dar, etwa aus der FIFA und aus der IAAF 1976. Laut dem Wissenschaftler Rob Nixon war der südafrikanische Sport auf internationaler Ebene seit den 1980er Jahren daher „as sealed off as a faulty nuclear reactor“.

Steinige Rückkehr

In den folgenden Jahren sprach sich das IOC vehement gegen die Apartheid aus und kooperierte bei deren Bekämpfung mit dem SCSA und anderen nationalen und internationalen Sportorganisationen, beispielsweise mit dem südafrikanischen South African Non-Racial Olympic Committee (SANROC). 1980 wurde Juan Antonio Samaranch Nachfolger Lord Killanins als Präsident des IOC. Während seiner Amtszeit wurde im Juli 1988 die sogenannte „Apartheid and Olympism Commission“ gegründet, die sich insbesondere aus Vertretern von Sportorganisationen aus Afrika und Osteuropa zusammensetzte. Ziel der Kommission war die Gründung eines nicht-rassistischen südafrikanischen NOK. Nach der Entlassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis am 11. Februar 1990 und der vollständigen Beseitigung der 317 Apartheidgesetze bis zum März 1991 sandte das IOC eine Untersuchungskommission nach Südafrika. Ihre Mitglieder führten mit südafrikanischen Sportfunktionären und Politikern Gespräche über eine Rückkehr Südafrikas in die Olympische Bewegung. Als Ergebnis wurde im März 1991 das Interim National Committee of South Africa (INOCSA) in Gaborone gegründet. Sam Ramsamy wurde zum Präsidenten, Johan du Plessis zum Generalsekretär ernannt. Die Tatsache, dass jeweils ein Mann mit schwarzer und weißer Hautfarbe ausgewählt wurden, unterstreicht die Absicht des INOCSA, ein ethnisch integriertes Komitee zu schaffen.

Das IOC akzeptierte am 9. Juli 1991 dieses Komitee und erlaubte Südafrika die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 1992. Dieser Wendepunkt in Südafrikas Sportgeschichte wurde von südafrikanischen Zeitungen aller politischen Richtungen mit großer Begeisterung aufgenommen. So titelte der Daily Dispatch „We’re back!“ (Wir sind zurück!), der Sowetan „Get set, go!“ (Auf geht’s!), „die Beeld“ „SA out sportkoue“ (Südafrika verlässt die Sportkälte) und „die Burger“ bezeichnete die Entscheidung des IOC gar als „Beste nuus in 31 jaar“ (Beste Nachricht seit 31 Jahren).

An den Olympischen Sommerspielen in Barcelona nahm eine südafrikanische Mannschaft mit 97 Aktiven, davon zehn mit schwarzer Hautfarbe, teil. Insgesamt gewann das Team eine Bronze- und eine Silbermedaille. Das Foto der weißen Südafrikanerin Elana Mayer, Zweitplatzierte im 10.000 Meter-Lauf, die ihre schwarze äthiopische Konkurrentin und Siegerin dieses Laufs, Derartu Tulu, umarmt, erlangte weltweit Berühmtheit als Symbol für das große Potenzial des Sports, Menschen unterschiedlicher Hautfarben und Herkunftsländer zusammenzubringen.

Effekte des Olympiaausschlusses

Abschließend bleibt die Frage offen, welchen Effekt der Ausschluss Südafrikas von den Olympischen Spielen auf das Ende der Apartheid hatte? Es kann von einem großen Einfluss ausgegangen werden, da Sport insbesondere bei weißen Südafrikanern teilweise eine nahezu religiöse Bedeutung hat. Diese These wird beispielsweise durch eine Aussage des langjährigen Präsidenten des SANOC, Frank H. Braun, gestützt. Er gestand 1967, dass „Expulsion from the Olympic Games has deprived us of the very reason for our existence. […] The stigma of being looked upon as an outcast has not been an easy cross to bear.” Rob Nixon bezeichnet Sport daher treffend als „achilles heel for white national moral.“

Sport erhält weltweit eine hohe Aufmerksamkeit. Die Proteste gegen die Apartheid, etwa bei der Springboktour 1969/70 nach Großbritannien, trugen zu einem Bewusstseinswandel vieler europäischer Menschen bei, welche die Ungerechtigkeit dieses Systems erkannten. Dieses Potenzial des Sports können Demonstrierende möglicherweise auch in der Gegenwart nutzen, etwa durch Protestaktionen im Rahmen von Fußballspielen. Die Bilder von knieenden Fußballern in der Ersten Bundesliga, die sich solidarisch mit den Black Lifes Matter-Protesten zeigten, sind sicherlich vielen Menschen im Gedächtnis geblieben und weisen auf die Fähigkeit des Sports hin, Menschen unmittelbar und auf einer emotionalen Ebene anzusprechen – oft mehr, als es die Reden von Politikern oder Sanktionen im Bereich der Wirtschaft schaffen. Dennoch ist die Bedeutung von sportbezogenen Protesten nicht zu überschätzen, denn einschneidende Veränderungen in politischen Systemen können vor allem harte wirtschaftliche Sanktionen bewirken.

Teil 2 folgt am Mittwoch

Fotos: Beitrag: picture alliance / dpa | Ihsaan Haffejee | Text: Ullsteinbild/Jan Hangebrauck

Dr. Jan Hangebrauck ist Lehrer an der Oberschule Falkensee, DOG-Mitglied und Forscher mit den Schwerpunkten Geschichte des Protests (im Sport), Geschichte des Rassismus und des Judo. Im Januar ist seine Dissertation „Sportbezogene Proteste gegen die Apartheid in Südafrika 1956-1992“ im Akademia-Verlag erschienen: https://www.nomos-shop.de/nomos/titel/sportbezogener-protest-gegen-die-apartheid-in-suedafrika-1956-1992-id-89220/

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