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Walking Football: Auch im Alter immer am Ball

Von Thomas Flehmer

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„Komm, spiel ab!“, „Schieß!“ – Die Kommunikation auf dem Rasen ist seit Jahren unverändert. Und auch das Ziel, ein Tor zu bejubeln, treibt die gestandenen Damen und Herren im Alter zwischen 55 und 78 Jahren beim Sechs gegen Sechs auf zwei Tore an. Nur das Tempo hat im Laufe der Jahre abgenommen. Anstatt dem Spielgerät hinterherzurennen, wird der Ball im Gehen weitergepasst, bis sich die Chance zum Abschluss auf das drei Meter breite und ein Meter hohe Tor ergibt. Walking Football heißt die neue Sportart, die es in England seit zehn Jahren gibt, und bei der immer ein Fuß den Boden berühren muss und Hochschüsse nicht erlaubt sind.

„Wir spielen aus gesundheitlichen Gründen, um uns fit zu halten. Und wir lieben den Mannschaftssport“, sagt Achim Bock, der der Walking Football-Abteilung des VfL Wolfsburg vorsteht, „unsere Truppe besteht seit dem Sommer 2016. Wir waren der erste Bundesligist mit einer eigenen Walking Football-Abteilung, dann zogen Werder Bremen und Schalke 04 nach“. Ältere Profis des Fußball-Bundesligisten finden sich in der Gruppe nicht, auch wenn die Beziehung zum Verein – viele Mitglieder waren früher bei VW beschäftigt – sehr eng ist. „Wir sind Mitglieder des Wölfe-Clubs 55 Plus, alles Freizeitfußballer mit teils schweren Handicaps“, sagt der 70-Jährige. Einmal in der Woche trifft sich die rund 15-köpfige Gruppe zum zweistündigen Training. Ein Teil davon bildet die Gymnastik unter Anleitung, dann wird auch an der Technik gefeilt, ehe gespielt wird“, sagt Bock.

Auch beim Walking Football ist gutes Positionsspiel wichtig

 

Willkommene Alternative zum Nordic Walking

Anstatt mit Stöcken ihren Frauen beim Nordic Walking hinterherzulaufen, bleibt der Ball beim Walking Football im Mittelpunkt, ohne dass die nicht mehr optimal funktionierenden Gelenke an Knien oder der Hüfte strapaziert werden. Im Gegenteil: Der Bewegungsablauf tut dem im Laufe der Jahrzehnte geschundenen Körper gut, sodass die junge Sportart zum Bereich Gesundheitssport zählt. „Medizinisch ist bewiesen, dass der Walking Football positive Auswirkungen auf die gesundheitliche Konstitution der einzelnen hat“, sagt Karl Felix Heinz, Inklusionsbeauftragter beim Berliner Fußball-Verband (BFV). So stoßen Menschen mit in der Zeit erfahrenen Behinderungen zum Walking Football, aber auch jüngere Menschen mit Einschränkungen.

Doch Walking Football bietet noch weitere Anreize: „Die Leute kommen aus der Isolation in die Vereine. Dort erfolgt die soziale Interaktion und die neuen alten Sportler können teilweise noch andere Tätigkeiten im Verein übernehmen“, sagt Heinz, der seit 2020 für den Verband in diesem Bereich tätig ist.

Drei Meter breit, ein Meter hoch: Das Walking Football-Tor

 

Regelmäßiger Spielbetrieb als Turnierserie denkbar

In Berlin spielen knapp zehn Vereine mit Gruppen zwischen acht und 30 Personen Walking Football, Vorreiter in der Hauptstadt war der FV Wannsee Anfang des vergangenen Jahres. Bei Turnieren treffen sich die Mannschaften stets wieder. Da der Gesundheitsaspekt im Vordergrund steht, geht es auf dem Rasen sehr freundschaftlich zu, auch wenn sich der eine oder andere über die Gangart oder den Pfiff des Schiedsrichters aufregt. Trotzdem will jede Mannschaft natürlich erfolgreich spielen. Heinz, studierter Master im Bereich Marketing, will einen regelmäßigen Spielbetrieb aufbauen: „Das wird kein Ligaspielbetrieb sein, sondern eher eine Turnierserie, bei der die gemeinsame Erfahrung im Vordergrund steht.“

BFV-Präsident Bernd Schultz kann sich indes vorstellen, dass es zu einer Meisterschaft kommen könne, wie der 64-Jährige am Rande eines vom FV Wannsee organisierten überregionalen Turniers, das eine erstmals angetretene Berliner Auswahl gewann, sagte. Im TSV Settmarshausen aus Niedersachsen trat dabei auch eine fast reine Frauenmannschaft an. Auch würde den Präsidenten eine Spaltung in einen breitensportorientierten sowie eher leistungssportorientierten Zweig, der dann eventuell gar in einer eigenen Liga spielt, nicht überraschen.

Weniger Tempo – gewiss. Aber mit Ball am Fuß ist weiterhin Überblick gefragt

 

In England gibt es bereits einen eigenständigen Verband

Im Westen starteten Schalke und Bayer Leverkusen eine Walking Football League mit Bremen und niederländischen Clubs in Turnierform. In England sind solche Serien inzwischen Gang und Gäbe. Im Mutterland des Fußballs gibt es auch schon einen eigenständigen Verband. Dort wird mit einem festen Torwart gespielt. In Deutschland gibt es dagegen noch keine einheitlichen Regeln.

Genauso wichtig wie die sportliche Bewegung ist die sogenannte dritte Halbzeit. „Die Kameradschaft ist sehr wichtig“, sagt Frank Kroß vom TV Waidmannslust aus Berlin. Vor allem im fortgeschrittenen Alter wirken sich soziale Kontakte als förderlich aus. „Walking Football war ein Lückenfüller in der Corona-Zeit“, sagt Günther Poggel, der sich um die Pressearbeit im TV Waidmannslust kümmert, und spielt damit vor allem auf das soziale Miteinander an, das trotz der Pandemie auch in den anderen Sportarten funktionierte.

Beim VfL Wolfsburg wurden in der Coronazeit weitere Ableger wie eine Fahrradgruppe gegründet, „andere sind auch mit Stöcken gegangen“, sagt Bock, der Angst hatte, dass nach dem Abklingen der Pandemie auch die Lust am Walking Football abgeklungen wäre. „Ich hätte gedacht, der eine oder andere macht den Absprung. Doch alle waren wieder da.“ Die Lust am Walking Football sowie am Kontakt untereinander blieb bestehen.

 

Thomas Flehmer ist seit Mitte der Neunziger im Sportjournalismus unterwegs. Als Pauschalist bei der Deutschen Presse-Agentur zog es den gebürtigen Berliner (Jahrgang 1965) zur Jahrtausendwende zur Netzeitung, die später im Berliner Verlag aufging. Der gelernte Religionspädagoge verabschiedete sich 2006 aus dem Sport und begleitete zwölf Jahre lang die Strömungen in der Automobilbranche, ehe 2018 die Rückkehr in den Sport erfolgte – ohne dabei den automobilen Strang zu verlassen.

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