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In Deutschland im Schatten, anderswo in voller Blüte

Von Frank Heike (Mitarbeit: Frank Schneller)

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91.533 Zuschauerinnen und Zuschauer: das Duell zwischen dem FC Barcelona und Real Madrid füllte das Stadion Camp Nou. Weltrekord. Im März war das. Beim Frauenfußball, wohlgemerkt. Das Image ‚Clasico‘ wurde ganz bewusst auch bei den Frauen gesetzt. Die deutsche Bestmarke steht bei genau 12.464 Fans. 2014, Wolfsburg gegen Frankfurt. In der abgelaufenen Frauen-Saison in der Bundesliga waren 3.500 Fans der Topwert. Die Stadionauslastung ist deswegen ein neuralgischer Punkt, weil mehr Fans ganz simpel für ein höheres Sponsoringvolumen stehen. Während die Märkte in England, Spanien und Frankreich mit jährlichen Zuwachsraten von 50 Prozent bei den Sponsoringerlösen boomen, schaut der Frauenfußball hierzulande trotz historisch gewachsener Erfolge in die Röhre, was Erlöse und Fanzuspruch betrifft, obwohl acht der zwölf Klubs in der Bundesliga inzwischen große Vereine mit langer Tradition im Männer-Profifußball sind.

Dass jüngst in den Vereinigten Staaten Geschichte geschrieben wurde, weil die US-Fußballspielerinnen ihren Kampf um Gleichstellung gewonnen haben, ist einerseits ein Meilenstein. Andererseits auch ein Hinweis auf die Diskrepanz zwischen dem Status des Frauenfußballs dort und in Deutschland. Der Fußballverband der USA sowie die Gewerkschaften der Frauen- und Männer-Nationalmannschaften hatten sich auf einen Tarifvertrag geeinigt, der allen Aktiven die gleiche Bezahlung einschließlich Boni garantiert.

Großer Sport, große Leere auf den Rängen: Selbst bei Topspielen wie einem Pokalfinale (hier 2021) keine Seltenheit im Frauenfußball

 

Meilenstein für den Frauenfußball made in USA

So stellen die bis 2028 laufenden Verträge sicher, dass die im Vergleich zu den Männern um ein Vielfaches erfolgreichere Frauen-Nationalmannschaft die gleichen Prämienzahlungen bei Großturnieren erhält sowie generell die gleichen Bezüge wie das Männer-Team. Auch schüttet der Verband einen Teil seiner Einnahmen aus Übertragungen, Ticketverkäufen und Sponsoring zu gleichen Teilen an beide Teams aus.

„Es ist historisch und ich denke, es wird viele andere Dinge im Sport auslösen, nicht nur in den USA, sondern weltweit“, sagte US-Nationalstürmerin Margaret Purce. Ihre deutschen Kolleginnen sind dagegen vorerst noch Zaungäste solcher Entwicklungen.

Warum das so ist, ergründeten Max Bisch und Christopher Kinnel von der global agierenden Beratungsagentur Octagon in ihrem Impulsvortrag beim ‚Clubmanager Online Symposium‘ (COS). Dabei brach Kinnel eine Lanze für strategische Partnerschaften im Frauensport – und somit eben auch mit Frauenfußball-Klubs: „Viele Marken verpassen es bisher beinahe sträflich, das sich bietende Potential zu nutzen: Wirtschaftlich und als Mitgestalter des gesellschaftlichen Diskurses. Ich wünsche mir in Deutschland noch mehr Mut, den wir anderswo sehen und der durchaus belohnt wird. Es liegt so nahe, Verantwortung zu übernehmen, die Geschichten des Sports packend zu erzählen und sich so aktiv an einem anhaltenden Kernthema unserer Gesellschaft zu beteiligen.“ Gerade die FA Women’s Super League mit ihrem Sponsor Barclays  und der weibliche Ableger von „La Liga“ in Spanien ließen die Branchenkenner mit der Zunge schnalzen. Bisch: „Durch ein starkes Commitment gegenüber dem Lizensierungsverfahren in der Women’s Super League gibt es ein Minimum an Qualitätsstandards. Wenn die Qualität des Produkts gut ist, lockt das immer auch Sponsoren und Partner an.“ Dabei werden die Standards der Liga im Board erarbeitet. Dort sitzen neben Verbands-, und Ligavertreter*innen auch externe Strategie-Experten. In Spanien habe ein staatlicher Tarifvertrag die Rechte der Spielerinnen gestärkt, berichtete Bisch.

 

Klubs brauchen eine langfristige Strategie

Kinnel erinnerte an den Kreislauf aus Geld, Aufmerksamkeit, neuen Talenten und Erfolg: „Im Frauenfußball will man den Kreislauf meist an der Stelle der Aufmerksamkeit betreten. Wir erleben international immense Anstrengungen, online und offline Anreize zu bieten, Spiele zu besuchen und zu schauen.“ Er markierte drei Voraussetzungen des erfolgreichen Markteintritts: Klubs brauchten eine langfristige Strategie, wie sie Olympique Lyon schon in den 2000er-Jahren hatte – der Klub holte seitdem acht Mal die Champions League.

Die Vereine brauchen professionelle Strukturen, vor allem ein gutes Trainingsgelände – für deutsche Klubs beileibe keine Selbstverständlichkeit. Teams, die unabhängig von dem männlichen Pendant im Verein vermarktet werden, erzielen höherer Erlöse. Auch international haben allerdings immer noch nur knapp die Hälfte der Frauen-Klubs überhaupt eigene Büros, die andere Hälfte wird vom jeweiligen Männer-Team „mitverwaltet“. Das ist auch in Deutschland so. Kinnel indes ist sicher: „Professionelle Strukturen innerhalb des Vereins zu nutzen, ist natürlich zu begrüßen. Eine gewisse Trennung macht allerdings Sinn, da die Argumentation in der Vermarktung und auch die Zielgruppe eine durchaus andere ist.“

Berater Stefan Backs (r.), hier im Gespräch mit seinem Klienten Alex Nübel

 

Braucht der Frauenfußball eine eigene Identität?

In der anschließenden Diskussion schalteten sich COS-Veranstalter Stefan Eickelmann sowie Spielerberater und Ex-Journalist Stefan Backs ein und erörterten die Frage nach den Wachstumsmöglichkeiten im deutschen Frauenfußball. Backs, der nicht zuletzt auch aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Perspektiven keine Fußballerinnen berät, wandte kritisch ein: „Die Frage ist, ob der DFB Themen wie Diversität und Gleichberechtigung nur als politisches Feigenblatt nimmt oder seinen Einsatz für den Frauenfußball wirklich ernst nimmt.“ Sei der Frauenfußball nur ein Anhang des Männerfußballs, komme er nicht von der Stelle. Damit stellt der Berater von – u.a. – Alexander Nübel und André Breitenreiter so etwas wie eine Identitätsfrage: Sollte der Frauenfußball zum Zwecke der Expansion möglichst in die Fußstapfen des Männerfußballs steigen – oder sich gezielt abgrenzen? „Der Männerfußball war hierzulande noch nie so schwach wie derzeit. Die Voraussetzungen für den Frauenfußball sind günstig“, sagt Backs. Allerdings spiegele sich der Erfolg der Frauen nicht in den Zuschauerzahlen wider. Eickelmann, lange in verantwortlicher Position im Frauenhandball, erinnerte daran, dass die weiblichen Ableger in anderen Sportarten noch wesentlich unsichtbarer seien als im Fußball. Ausnahmen seien – was auch Kinnel betonte – Volleyball und Tennis.

Sollte man nicht die „Amateurhaftigkeit“ des Frauensports in den Vordergrund rücken, fragte sich Eickelmann, also aus der Vereinbarkeit von halbprofessionellem Sport und Beruf oder Ausbildung eine Stärke machen, die medial ausgeleuchtet werde? Backs sagte dazu: „In dem Moment, in dem der DFB das Amateurhafte des Frauenfußballs hervorhebt, Stichwort: der echte Fußball, stellt er sein Hochglanzprodukt Männerfußball massiv in Frage. Das ist das DFB-Dilemma.“ Er brachte Regeländerungen im Fußball der Frauen als idee ins Spiel, etwa den Verzicht auf die Abseitsregel: „Dann gehen die Spiele 8:5 aus, nicht 1:0. Der Frauenfußball kann nur besser werden, wenn er etwas anders macht als der Männerfußball. Die Strukturen des Männerfußballs schützen den Frauenfußball, lassen ihn aber auch erstarren.“

 

Fanentfremdung im Frauenfußball kein Thema

Christopher Kinnel relativiert: „Das ‚anders‘ ist im Frauenfußball bereits gegeben. Vieles, was in den letzten Jahren bei den Männern zu Fanentfremdung geführt hat, sehen wir hier nicht. Zuschauende haben ein anderes Wertekorsett und ordnen die Rolle von Partnern entschieden positiver ein. Wir erleben gerade jetzt ein deutliches Momentum.“

Langfristige Engagements würden zum Aufschwung beitragen und sich auch als profitabel erweisen. Eine Win-Win-Situation also. Laut Kinnel mit viel Raum für kreative Ideen: „Natürlich gibt – u.a. – der DFB die Richtung vor. Er unternimmt viel. Aber auch abseits von Verbandsstrukturen und -vorgaben können Vereine und Unternehmen aktiv werden.“

Was anmutet wie eine Ermunterung, ja beinahe wie eine Aufforderung, legt folgende Zwischenbilanz offen: Es ist hierzulande noch Luft nach oben. Denn der Frauenfußball-Standort Deutschland befindet sich trotz zwei Welt- und acht Europameisterschaften sowie vier Olympia-Medaillen (einmal Gold, dreimal Bronze) der DFB-Frauen im Vergleich zu Ländern wie den USA, England, Frankreich, Spanien und einigen anderen Nationen noch im Schatten. Insbesondere mit Blick auf den Ligabetrieb. Kinnel erwartet deutlich mehr Initiative und Engagement in den kommenden Jahren: „2027 feiern wir hier hoffentlich ein großes Frauenfußball-Fest.“ Bis dahin werde sich, so der Marketingexperte, nicht nur auf Verbandsseite sicher noch einiges tun. Soll gewiss heißen: Es muss sich auch noch einiges tun.

 

Sportjournalist Frank Heike (52) schreibt seit vielen Jahren als Korrespondent regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der gebürtige Flensburger ist zudem Mitglied der Hamburger Medienmannschaft. Neben Fußball und Handball gehören Sportbusiness-Themen inzwischen zu Heikes Kern-Expertise.

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