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Die nächste große Chance

Was folgt auf den tollen Auftritt der deutschen Fußballerinnen? Eine Expertenrunde sprach während der EM in Herzogenaurach, dem Vorbereitungs-Hauptquartier der DFB-Auswahl, über Wachstumschancen, Perspektiven und anhaltende Probleme des deutschen und internationalen Fußballs der Frauen. Das Fazit: Bei einem Momentum dürfe es diesmal nicht bleiben. Es komme auf die Nachhaltigkeit des großen Image-Erfolges an.

Von Frank Heike und Frank Schneller

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Die Krönung, der neunte EM-Titel, blieb dem DFB-Team zwar versagt. In der Verlängerung unterlag Deutschland den Gastgeberinnen aus England unglücklich 1:2. Historisches aber war schon vor dem Finale geschehen. Das Fußballfachmagazin ‚Kicker‘ hatte vor dem Finale in Wembley erstmals in seiner Geschichte Fußball der Frauen als Topthema auf seinem Titel präsentiert. Sinnbildlich für den medialen Hype, der nach jedem Sieg des deutschen Teams auf dem Weg ins Endspiel von Wembley zunahm. Das Momentum, soviel stand fest, lag ganz auf der Seite der DFB-Auswahl, die bei der EM in England viel Werbung betrieb. Für sich selbst insbesondere – und die ganze Sportart. Trotz der vielen Erfolge in der Vergangenheit: Nie war die Frauennationalmannschaft so angesagt wie in den Tagen von England.

Apropos: Ist Frauenfußball, oder Fußball der Frauen, nun eine eigene Sportart – oder nicht? Claudia Krobitzsch, Senior Manager Diversity and Inclusion beim DFB, beantwortet diese Frage so: „Ich sprach zuletzt mit Celia Sasic, unserer Vizepräsidentin zuständig für Diversität und Gleichstellung. Sie sagte, früher sei es Frauen extrem wichtig gewesen, dass ihr Fußball nicht mit dem der Männer verglichen wird. Das seien zwei verschiedene Sportarten. Trotzdem gab es den Vergleich immer. Jetzt wünschen sich viele Frauen dass man sagt „Fußball der Frauen“, „Fußball der Männer“, sie wollen den Vergleich – das ist eine Sportart mit den gleichen Regeln. Es soll nicht mehr groß unterschieden werden. Das verändert sich mit dem gesellschaftlichen Diskurs und zeigt uns, wo der Fußball der Frauen jetzt steht, welchen Stellenwert er hat. Es ist der Fußball. Es gibt eine weibliche, eine männliche Variante, wie es Tennis für Frauen und Männer gibt. Völlig wertfrei.“ Schon während der Gala-Auftritte der DFB-Auswahl wurde in Deutschland lebhaft diskutiert, wie nachhaltig diese sein würden.

Die DFB-Auswahl entfachte eine große Euphorie. Teamgeist und Zusammenhalt waren – siehe Foto oben – ebenfalls Markenzeichen bei dieser EM und brachten erhebliche Sympathiepunkte

 

WM-Bewerbung 2027 ein weiteres Momentum

Es gab sie nämlich schon einmal, die große Chance. „Vor der Heim-WM 2011 wurde unheimlich viel investiert. Aber es gab einen Abschwung nach dieser Veranstaltung. Das deutsche Team war völlig überlastet und übertrainiert angetreten – der Verband hatte es auf regelrechte Mission geschickt, aber psychologisch nicht ausreichend darauf vorbereitet. Der große Favorit scheiterte frühzeitig. Die Konsistenz der Investitionen auf Seiten des DFB hat zudem einfach gefehlt“, erinnert sich Dennis Trautwein, Managing Director von Octagon Germany&France. Die aktuellen Signale wertet er äußerst positiv: „Die Bewerbung um die WM 2027 liefert dem DFB eine Riesenchance, dem Ganzen wieder ein Momentum zu geben.“

Das sei auch dringend nötig, sagte der Octagon-Manager bei einer Podiumsdiskussion, die während der EM dort veranstaltet wurde, wo das DFB-Team den Grundstein für sein tolles Turnier gelegt hatte: In der Sportschuhstadt Herzogenaurach. Organisiert durch die Rotarier vor Ort. Eine weitere Erkenntnis des Abends: Verglichen mit der Entwicklung in England, Frankreich und Spanien hinke der DFB mit seiner Frauen-Bundesliga hinterher, was Trautwein allerdings nicht nur an den Verband, sondern auch an Partner und Sponsoren adressierte: „Es muss Nachhaltig in die Infrastruktur für den Fußball der Frauen investiert werden – auf allen Ebenen.“

Und die Vermarktungschancen? „Im internationalen Vergleich sieht man, was ein konsolidiertes Investment und ein strukturierter Plan mit sich bringen können“, sagte Trautwein und brachte das Beispiel der „Women’s Super League“ in England an. Vor elf Jahren gegründet, gilt die Liga als weltweit mit Abstand stärkste mit einer gesunden kommerziellen Struktur – auch, weil im „Board“ neben VereinsvertreterInnen externe BeraterInnen sitzen. „Ein sehr kollaborativer Prozess“, lobte Trautwein, der hervorhob, dass der Partner „Barclays“ über drei Jahre circa 30 Millionen Pfund für sein Namensponsoring zahle. Trautwein weiter: „Die Liga konnte so professionell aufgestellt werden, dass die Aufmerksamkeit einen angemessenen Medienvertrag und ebensolche Sponsoringverträge erbringt. Getrieben ist das ganze vom Verband – die haben das Potential des Fußballs der Frauen gesehen und daran geglaubt.“ Und in Deutschland? Trautwein antwortete: „Das Potential ist in Deutschland nicht geringer, es bedarf nur der Konsequenz, die geplanten Schritte auch durchzuziehen.“

 

Equal play statt equal pay

Dabei gehe es den meisten Vereinen und Spielerinnen im Fußball der Frauen hierzulande weniger um „equal pay“ als vielmehr um „equal play“. „Für sie ist die Frage entscheidend: Dürfen wir die Infrastruktur der Männer nutzen? Bekommen wir die gleichen Voraussetzungen, uns zu entwickeln? Die gleiche Basis zu schaffen, ist sehr wichtig, um zu einer Annäherung zu kommen. Dann können sich Spielerinnen voll und ganz auf ihren Sport konzentrieren und müssen nicht nebenbei arbeiten. Ich glaube aber nicht, dass es eine realistische Möglichkeit gibt, in absehbarer Zeit zum equal pay zu kommen. Auch wenn es immer Fußball ist, sind der Frauen und der Männersport unterschiedliche Produkte mit unterschiedlichen Wertschöpfungsketten. Aber equal play ist auf jeden Fall möglich und auch notwendig.“

Zumindest auf Verbandsebene könne eine Besserstellung der Frauen in finanzieller Hinsicht bald kommen: „In einigen Nationen wurden Prämien der Nationalteams angeglichen“, sagte Trautwein. Auch dem DFB, der laut des langjährigen PUMA-Marketingleiters Helmut Fischer „leider so manch gute Idee blockiert“, wenn es beispielsweise darum geht, eventuell sogar Aktionen wie die Social Media-Kampagne „She moves us“ gemeinsam mit dem Rivalen ADIDAS durchzuführen, schlug Trautwein eine solche Gleichberechtigung vor: „Der Umsatz aus dem Männerfußball ist für den Verband natürlich ein anderer, deswegen ist es rein betriebswirtschaftlich betrachtet schwierig, den Frauen gleichviel zu zahlen. Aber es aus reiner Überzeugung zu tun, wäre möglich – das könnte der DFB finanziell verkraften, und vielleicht ließe sich für diese Idee auch aus dem Kreis der Partner und Sponsoren Befürworter finden, die das entsprechend unterstützen.“

Marketing-Experte Dennis Trautwein am Rande des Expertentreffs der Rotarier in Herzogenaurach

 

Forderung nach Grundgehalt aktuell eher problematisch

Bezogen auf „equal play“ stimmte Holger Schwiewagner zu, Geschäftsführer der Spielvereinigung Greuther Fürth. Die dortige Frauenmannschaft spielt in der Bayernliga. „Wir haben uns für equal play entschieden. Wir wollen die Breite fördern. Wir bieten exzellente sportliche Voraussetzungen, sagen unseren Spielerinnen aber auch bewusst, die Schwerpunkte sind Schule, Ausbildung, Beruf. Haben wir eine Spielerin mit herausragendem Talent, sind wir bereit, sie abzugeben.“

Zur aktuell erhobenen Forderung, Spielerinnen in der ersten und zweiten Bundesliga sollten ein Grundgehalt von 2000 bis 3000 Euro brutto im Monat erhalten, sagte Harald Sauer, Vorstand Mädchen- und Frauenfußball beim 1. FC Nürnberg: „In der zweiten Liga, in der wir spielen, besteht bereits die halbe Liga aus zweiten Mannschaften von Erstligisten.“ Das geforderte Grundgehalt wäre wünschenswert, es würde diesen Effekt indes gleichzeitig stimulieren, so Sauer – und sei aktuell ohnehin unrealistisch: „Wir würden dann mit zwei Spielerinnen auflaufen.“

 

Authentisches Storytelling für Partner besonders wichtig

Was beide Vereinsvertreter hervorhoben, war das „Besondere“ am Frauenfußball: „Der Männermarkt ist sehr Geld getrieben, ein Verdrängungswettbewerb“, sagte Schwiewagner, „bei den Frauen stehen der Fußball, der Teamgeist im Mittelpunkt, dass man sich über gute Trainingsbedingungen, eine gute Ausrüstung freut, dass man gemeinsam Sport macht. Ehrgeiz ja, Verbissenheit nein.“

Trautwein brach trotzdem eine Lanze für den Profi-Fußball der Frauen in den großen Lizenzklubs aus der Männer-Bundesliga. „Für mich hat das fast nur Vorteile für den Fußball der Frauen, wenn sie die Infrastruktur des Männerbereichs mitnutzen. Denn diese Professionalisierung trägt unheimlich viel dazu bei, alle anderen Marktmechanismen, die dahinter hängen, auszulösen: Sponsorengelder, Zuschauereinnahmen, Medienerlöse. So werden alle weiteren Schritte einfacher, weil das Produkt einfach attraktiver wird.“

Um für dieses Produkt zu werben, bräuchten die Partner ein durchdachtes, authentisches Storytelling: „Das ist der Kern einer jeden Partnerschaft“, sagte Trautwein, der hervorhob, dass man gerade auch im Bereich Social Media schon für geringe Beträge gute Erfolge als Partner/Sponsor einer Mannschaft im Fußball der Frauen oder einer Einzelspielerin erzielen könne. Trautwein weiter: „Partner sollten den Fußball der Frauen auch in der Breite fördern. Wenn man in den Fußball der Frauen investiert, muss man das auch als Invest in den Sport als solchen, nicht nur als Invest in die Spitze sehen.“

Von solch einer Kulisse wie im Finale von Wembley können die Spielerinnen in der Bundesliga nur träumen

 

Medien spielen eine weitere Schlüsselrolle

Die Rolle der Medien spielt dabei natürlich eine erhebliche Rolle: Auch wenn sie diese nicht immer gut ausfüllen. „Es ist leider immer noch eine eventbezogene Begeisterung“, sagte bei dem Expertentreff in Herzogenaurach Elisabeth Schlammerl, die Vizepräsidentin des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS). „Die Berichterstattung geht bei EM und WM rauf, kippt dann aber ab – die traditionelle Bundesligaberichterstattung wie bei den Männern findet bei den Frauen nur sehr spärlich statt. Allerdings wurde 2011 auch eine große Chance vergeben, weil die deutschen Frauen so früh ausschieden. Es geht überall um Click-Zahlen – lässt das Interesse der LeserInnen nach, sinkt auch die Bereitschaft der Medienhäuser, über Frauenfußball zu berichten.“ Aktuelle Umfragen bestätigen diesen Trend.  In Sachen Einschaltquoten – auch diese schossen bei der EM in die Höhe – sind die gleichen Phänomene zu beobachten. Der Liga-Alltag wird ein Indikator sein, wie nachhaltig die EM in England wirklich wirkt. Mediales Interesse und Fanzuspruch abseits des Event- und Erfolgspublikums dürfen kein Verfallsdatum mehr haben. Sonst ist der momentane Hype wenig wert.

Mit einem Beispiel aus dem Motorsport schlug im mittelfränkischen Herzogenaurach schließlich Sören Zinner den Bogen zur gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen. In Carrie Schreiner und Sophia Floersch hat Schaeffler zwei erfolgreiche Rennfahrerinnen als Markenbotschafterinnen. Der Direktor Corporate Sponsoring der Schaeffler Technologies AG & Co. KG sagte: „Wir wollen, dass es normaler wird, dass Mädchen auf die Kartbahn gehen, um die Grundgesamtheit an weiblichen Talenten zu erhöhen, damit es völlig normal wird, dass Frauen gegen Männer Auto fahren.“ Mit Carrie Schreiner und Sophia Floersch ist ein Anfang gemacht. Doch Zinner reicht der Blick auf den Sport nicht. Er sagte: „Wir wollen die Eintrittsbarrieren für junge Frauen und Mädchen deutlich niedriger machen – auch in Mechaniker- und Ingenieurs-Berufe. Diesen Transfer wollen wir ins Unternehmen schaffen. Schaeffler ist an ähnlicher Stelle wie der Motorsport: Man hat die Wichtigkeit eines Themas erkannt, ist aber noch nicht da, wo man hinwill.“

 

Sportjournalist Frank Heike (52) schreibt seit vielen Jahren als Korrespondent regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der gebürtige Flensburger ist zudem Mitglied der Hamburger Medienmannschaft. Neben Fußball und Handball gehören Sportbusiness-Themen inzwischen zu Heikes Kern-Expertise.

 

Frank Schneller (52), Sportjournalist und Themenproduzent aus Hamburg. Seine Laufbahn begann Frank Schneller beim SportInformationsDienst, arbeitete dann viele Jahre in der Redaktion der Sport-Bild. Seit 2001 arbeitet Schneller als Freelancer und ist seit 2011 Leiter des Reporter- und Dienstleister-Netzwerks Medienmannschaft.

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