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Wieder ein Sommermärchen

Die 2. European Championships vom 11. bis zum 21. August 2022 in München waren in jeder Hinsicht ein riesiger Erfolg. Auf dem Programm standen Europameisterschaften in den Sportarten Leichtathletik, Radsport, Kunstturnen, Rudern, Triathlon, Kanurennsport, Beachvolleyball, Tischtennis und Sportklettern. Und: Jede Menge Begeisterung.  Eine Bilanz.

Von Elisabeth Schlammerl

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

 

Als die letzten Medaillen vergeben waren, kam ein bisschen Wehmut auf. Dass die European Championships nun zu Ende seien, „ist wie ein Entzug“, sagte Konstanze Klosterhalfen. Die Leichtathletin, die ein paar Tage zuvor überraschend Gold über 5000 Meter gewonnen hatte, sagte, was viele dachten. Elf Tage lange sorgten die Zuschauer, mehr als 1,2 Millionen waren es insgesamt, für eine unglaubliche Atmosphäre an den verschiedenen Wettkampfstätten in und um München. Die Fernsehübertragungen in ARD und ZDF erreichen Marktanteile bis weit über 20 Prozent. Athletinnen und Athleten in den neun Sportarten haben sich von der Stimmung tragen lassen, nicht nur die Deutschen. „Mir sind fast die Ohren weggeflogen“, sagte Zehnkampf-Europameister Niklas Kaul.

Schon die Eröffnungsfeier am Abend vor den ersten Wettbewerben war ein Vorbote, der den Veranstaltern Mut machte: Der Olympiapark musste wegen Überfüllung geschlossen werden. Marion Schöne, Chefin des Olympiaparks und des Organisationskomitees, hofft, mit der Veranstaltung 50 Jahre nach den Olympischen Sommerspielen in München „etwas angestoßen“ zu haben. „Ich bin sicher, dass das weiterleben wird“, das Konzept, Europameisterschaften in mehreren Sportarten an einem Ort auszutragen. 2018 feierten die European Championships in Glasgow Premiere, damals ohne Leichtathletik. In München gab es nun die zweite Auflage.

Die Europameisterschaften von München lebten von ihrer fantastischen Atmosphäre – schon während der Eröffnungszeremonie.

 

Herzstück Olympiapark, Begeisterung in der ganzen Stadt

Das Herzstück war wie 1972 der Olympiapark. Dort fand nicht nur die Mehrzahl der Wettbewerbe statt, sondern auch ein beachtliches Rahmenprogramm mit einem Mix aus Kunst, Kultur und Gastronomie wie täglichen Live-Konzerten, Workshops oder Ausstellungen. Vom Coubertinplatz schwappte bei den täglichen Siegerehrungen der Jubel über den Olympiasee ans andere Ufer und hinauf auf den Schuttberg in die Biergärten. Bei den frei zugänglichen Entscheidungen im Triathlon, Mountainbike und BMX im Park säumten die Besucher die Hänge des einst aus Trümmern entstandenen Hügels und sorgten für eine beeindruckende Kulisse. „Man hat die Begeisterung gespürt, im Stadion, im Park, in der ganzen Stadt“, sagte Klosterhalfen.

Nirgendwo gelang die Symbiose zwischen Klassik und Moderne so gut wie auf dem Königsplatz.  Dort wo einst König Ludwig I. ein Ensemble nach Vorbild der Akropolis hatte errichten lassen, sorgten mit Beachvolleyball und Sportklettern zwei relativ junge olympische Sportarten für einen Hype und konnten sich perfekt inszenieren. Bei den Vorrunden und Qualifikationswettbewerben standen die Besuche am Vormittag bereits Schlange, um eines der begehrten Freitickets zu bekommen für die Wettbewerbe im Sand oder an den spektakulären mobilen Kletterwänden zwischen Propyläen, Glyptothek und Antikensammlung. „Wahrscheinlich die beste Atmosphäre, in der ich je geklettert bin“, sagte der Tscheche Adam Ondra, einer der besten Kletterer und Europameister im Lead.

Königin der Championships: Die Leichtathletik. Königin der Herzen: 100m- und Staffel-Europameisterin Gina Lückenkemper

 

Randsportarten im Rampenlicht

Auf der Olympiaregattastrecke knapp hinter der Stadtgrenze im Münchner Norden blieben Ruderer und Kanuten zwar ziemlich unter sich und bekamen von der Stimmung in der Stadt nicht viel mit, aber die in die Jahre gekommene Wettkampfstätte wurde zum Leben erweckt. Die letzten großen Regatten liegen ein paar Jahre zurück, 2007 gab es dort eine Ruder-WM, später noch ein paar Weltcups, aber seitdem dient der See fast ausschließlich Trainingszwecken. Trotz der nicht optimalen Verkehrsanbindung waren die Tribünen gut gefüllt – für Lokalmatador Oliver Zeidler ein ganz neues Erlebnis.  „Bekannte Stimmen von der Tribüne schreien zu hören“ kenne er nicht, auch nicht von anderen Regatten, sagte der Weltmeister im Einer-Rudern, der bei den European Championships eine Medaille knapp verpasste. Die Messe München entpuppte sich nicht nur als idealer Ort für die Bahnradwettbewerbe, sondern als Goldgrube für die deutschen Starter und Starterinnen im Oval. Tickets für die Finaltage waren heiß begehrt und schnell vergriffen.

Sportarten, die sich sonst jenseits von Olympia selbst bei Europa- und Weltmeisterschaften über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen, standen plötzlich im Rampenlicht. Die Tischtennis-Asse füllten die Rudi-Sedlmayer-Halle, dort, wo sonst die Basketballer des FC Bayern spielen. Die Turnerinnen feierten vor großer Kulisse unerwartete Erfolge – wie der Sieg der erst 18 Jahre alten Emma Malewski am Schwebebalken. „Die Stimmung ist nicht zu fassen“, sagte sie. Ihre Teamkollegin Kim Bui wird die Tage von München nicht nur wegen des dritten Platzes mit der Mannschaft im Mehrkampf in besonderer Erinnerung behalten. „Ein schöneres Karriereende hätte ich mir nicht vorstellen können“, sagte sie nach ihrem letzten Wettkampf.

Werbung für den Sport: Auch beim Beachvolleyball in der City

 

Es braucht nicht immer neue, teure Stadien

Dass es nach einem Großereignis fast nur Lob gibt, kommt selten vor. Aber die Veranstaltung in München bot all das, was sich Sportler und Sportlerinnen und Zuschauer, aber Veranstalter, Sponsoren und Medien erwarten.  Ein fröhliches, lockeres Sportfest für Jung und Alt, aber nicht nur Sportinteressierte, das Maßstäbe setzte. Alte Wettkampfstätten erwiesen sich auch gut 50 Jahre nach ihrer Errichtung noch als modern genug. Und diese European Championships haben gezeigt, dass es manchmal keine teuren neuen Stadien oder Hallen braucht, sondern der öffentliche Raum, Straßen und Plätze andere, vielleicht sogar bessere Möglichkeiten bieten. „Unsere Vision ist absolut übertroffen worden“, sagte Marion Schöne. „Wir haben wieder ein Sommermärchen geschafft nach 2006.”

 

Elisabeth Schlammerl ist eine der etabliertesten Sport-Journalistinnen. Nach einem Volontariat beim “Münchner Merkur” arbeitete sie dort anschließend zwölf Jahre lang als Sportreporterin, wechselte für einige Jahre zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung und wurde in der Folge Freelancerin in München. Als Frau, die jahrelang den FC Bayern begleitete – und weiterhin begleitet -, hatte sie in der deutschen Presselandschaft lange Zeit eine Ausnahmeposition. Sie berichtet aber auch über andere Disziplinen mit großer Expertise. Gleichzeitig ist Elisabeth Schlammerl Vizepräsidentin des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS).

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