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Die Sportwelt im Wandel: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Nichtstun ist keine Option: Bei der Branchenmesse ‚SPoBis‘ in Düsseldorf ging es – u.a. – um die aktuell omnipräsenten Themen Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit im Ökosystem Sport sowie um die Zukunft der Mega-Events. Und um Visionen. Zwei davon: Die erste Frau in der Formel1 und Olympische Spiele in Deutschland. Viele Anwesende des zweitägigen Events waren sich aber auch einig: Es darf nicht bei Visionen bleiben, wenn sich die Sportwelt wandeln soll, wie unser Gastautor vor Ort festhielt. Auch der Sportausschuss des Bundestages hat mittlerweile reagiert.

Von Frank Heike (Mitarbeit: Frank Schneller)

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

 

Yoo-Jin Shin musste keine Sekunde überlegen. Welche Botschaft Unternehmen sendeten, die sich nicht mit dem Thema Gleichberechtigung auseinandersetzten, wurde sie bei ihrem Auftritt auf der Sportbusiness-Messe ‚SpoBis‘ gefragt. „Die senden keine gute Botschaft“, antwortete Shin, „das geht nicht mehr“. Und weiter: „Wenn Unternehmen Gleichberechtigung vernachlässigen, werden wir die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen nicht erreichen.“

 „Jetzt oder nie: Warum das Sponsoring im Frauensport vor einer Revolution steht“, hatten die Veranstalter die Diskussion plakativ überschrieben und sich gefragt, warum nur ein Bruchteil der rund 48 Milliarden Euro im weltweiten Sportsponsoring auf den Frauensport entfalle.

Neben Yoo-Jin Shin, Client Service Director Europe bei Octagon Germany, saßen Jessica Claar von Mastercard Deutschland und die Rennfahrerin Sophia Flörsch auf dem Podium.

 

Vielfalt selbst leben

Dabei appellierte Shin daran, die von Partnern geforderten Werte im eigenen Unternehmen zu adaptieren: „Wir müssen Vielfalt vorleben. Wenn wir dafür nicht offen sind, wird es schwierig. Und wir müssen dahinterstehen, für unsere Werte einstehen – es fällt auf, wenn wir etwas nur oberflächlich machen.“ Jessica Claar stimmte entschieden zu: „Ich erwarte intrinsische Motivation. Ich erwarte von jemandem, mit dem wir arbeiten, dass er Gleichberechtigung vorantreibt.“

Mutig und nachahmenswert findet Yoo-Jin Shin den Weg des Fußballs der Frauen in England. Sie sagte: „England ist weit vorn, was den Fußball der Frauen betrifft. Viele Top-Partner sind dort reingegangen, und es wurden wichtige Themen verhandelt: Zum Beispiel Equal Play, die gleichen Voraussetzungen von Frauen und Männern im Fußball. Auch in Frankreich und Spanien profitieren Klubs und Spielerinnen von der zunehmenden Professionalisierung. In den USA sehe ich zudem den Einstieg vieler Partner in die NWSL. Diversity und Inklusion sind dort als Themen noch viel wichtiger als bei uns. In Deutschland ist der Druck noch nicht ganz so hoch.“

 

Formel 1 als Männerdomäne

Was schlecht für Sophia Flörsch ist. „Bei meinem Sport bemerke ich keine Revolution“, sagte die 21 Jahre alte Autorennfahrerin aus München. „Es ist eine Männerdomäne. Stünden wir vor einer Revolution, würden mehr Partner in den Sport investieren und den Mut haben, eine besondere Geschichte zu erzählen. Haben sie aber nicht. Dabei wäre die erste Frau in der Formel 1 doch die letzte Geschichte, die im Sport noch erzählt werden kann.“

Unverständlich, fand Yoo-Jin Shin: „Wir müssen nicht nur über das Thema Gleichberechtigung reden, sondern ins Handeln kommen. Wir müssen Vorbilder schaffen, um den Nachwuchs zu fördern. Wir müssen Unterschiede aufzeigen, um zur Gleichberechtigung zu kommen.“ Ihrer Auffassung nach hätte der Bühnentalk auch anders tituliert werden können: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Jessica Claar stimmte zu: „Frauen fordern ihren Platz am Tisch. Eines der Nachhaltigkeitsziele der UN ist die Gleichstellung von Mann und Frau bis 2030. Wir haben einiges vor.“

Rennfahrerin Sophia Flörsch gilt in der Motorsport-’Szene’ oftmals noch als Exotin. Sie hofft auf einen Wandel.

 

Der notwendige Treiber

Yoo-Jin Shin sah die Gleichberechtigung auch als notwendigen Treiber unternehmerischer und persönlicher Entwicklungen, als sie zum Abschluss sagte: „Wir wollen nicht nochmal zehn Jahre warten, um das Thema Vielfalt voranzutreiben. Das muss jetzt passieren. Wenn wir es nicht tun, wird es keine Sophia Flörsch in der Formel1 geben, werden wir als Agentur nicht weiter wachsen, wird Mastercard keine neue Kunden haben. Es führt gar kein Weg dran vorbei.“

 

Ohne Nachhaltigkeit kein Großereignis

Andere Bühne, anderes Thema, aber auch mit starkem Augenmerk auf eines der spannendsten Themen dieser Zeit. „Mega Events – von Millionengräbern zu gesellschaftlichen Leuchtturmprojekten?“, hieß die Masterclass am zweiten SpoBis-Tag. Hier waren sich Dennis Trautwein, Max Gies und Thomas Zimmermann einig: ohne Konzepte zur Nachhaltigkeit wird kein sportliches Großereignis der Gegenwart mehr auskommen. Dazu sagte Trautwein, Managing Director Germany und France bei Octagon, bezogen auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris: „Nachhaltigkeit ist der Akzent von Paris 24. Es sollen Spiele werden, die einen Effekt für das ganze Land haben. Die soziale, gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung des Landes soll vorangetrieben werden. Das sorgt für Rückhalt in der Bevölkerung.“

Nachhaltigkeit sei nichts mehr, was man nur behaupten, aber nicht leben könne, sagte Max Gies, Senior Management Communication der Euro 2024 GmbH: „Die Fußball-Europameisterschaft generiert die Aufmerksamkeit von 48 SuperBowls, von elf Saisons Fußball-Bundesliga. Da lastet der Druck auf uns Veranstaltern. Wir wollen das Thema Nachhaltigkeit nicht abhaken, sondern glaubwürdig in unsere Turnierorganisation einbeziehen.“ Thomas Zimmermann, Vorstand Marketing und Kommunikation beim Deutschen Handballbund (DHB) führte aus: „Für uns ist es auch ein Teil der Nachhaltigkeit, dass wir Personal nicht ständig wechseln, sondern mit einem kleinen, feinen Team von zehn bis zwölf Leuten unsere vier großen Turniere im „Jahrzehnt des Handballs“ bis 2027 organisieren.“ Der DHB setzt vor allem auf soziale Nachhaltigkeit: „Es geht uns nicht um Gewinnmaximierung. Wir machen das, damit junge Leute Handball spielen.“

Yoo-Jin Shin fordert nicht nur im Sport, sondern auch im dazugehörigen Sponsoren- und Marketing-Business vorgelebte Gleichberechtigung.

 

Unter Rechtfertigungsdruck

Trautwein wähnt das eigene Unternehmen, die Partner und den Sport weitgehend in einem Boot, wenn er sagt: „Unsere Partner denken das Thema mit. Wir haben mit unserem Partner Toyota schon ganz früh über das Thema Inklusion bezogen auf Paris geredet. Bei der Nachhaltigkeit ist letztlich das wichtigste, dass man tut, was man angekündigt hat. Wir stehen bei sportlichen Großveranstaltungen unter starkem Rechtfertigungsdruck. Das hilft beim Thema Nachhaltigkeit, weil sich dann alle damit beschäftigen.“

Die Fußball-Euro beispielsweise will Reisen der Fans quer durch die Republik verhindern, indem „Fancluster“ gebildet wurden – Deutschland spielt in München, Frankfurt, Stuttgart. Das reduziert Reisebewegungen. Auch auf kritischere Zuschauerinnen und Zuschauer wies Gies hin: „Es reicht nicht mehr, ins Stadion zu gehen und Spiele zu sehen. Eine große Gruppe von Menschen hinterfragt uns. Die 16-, 17-Jährigen haben ganz andere Erwartungen an uns als noch vor zehn Jahren. Erfüllen wir die nicht, werden wir abgehängt.“

Trautwein bemerkte, dass es in der Kommerzialisierung der Veranstaltungen nicht mehr so rosig liefe: „Sie haben nicht den Zulauf der Vergangenheit, vor allem nicht von den Partnern, die sie gerne hätten.“ Dem stimmte Max Gies zu: „UEFA und DFB sind keine ‚love brands‘. Der Sport muss viel Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Wir werden sowohl für die Fußball- als auch für die Handball-EM viele Partner finden – nur derzeit können sie sich wegen der vielen Herausforderungen noch nicht darauf comitten.“

 

Hoffen auf Olympische Spiele in Deutschland

Was die drei Männer einte, war die Hoffnung auf strahlende sportliche Momente in Ländern, die als Ausrichter weniger problematisch erscheinen als Russland oder Katar, nämlich Paris, Mailand, Los Angeles oder eben Deutschland. Trautwein sagte: „Wir kommen aus einem dunklen Jahrzehnt, was Sportgroßveranstaltungen betrifft. Jeder, der sich in der Branche bewegt, freut sich auf die nächsten zehn Jahre. Auch bei den großen Sport-Organisationen besteht nicht mehr die Riesenlust darauf, sich in autokratischen Staaten zu bewegen. Wir können nun wieder andere Themen in den Vordergrund stellen. Das wird Auswirkungen darauf haben, wie Sportgroßveranstaltungen wahrgenommen werden – und welche Akzeptanz sie in der Bevölkerung haben werden. Vielleicht eröffnet das die Chance, irgendwann einmal Olympische Spiele in Deutschland zu haben.“

Zimmermann, Gies und Trautwein bewerteten dabei die European Championships im August in München sehr positiv. Zimmermann sagte: „München hat gezeigt, was möglich ist. Es ging ein Spirit von München aus.“ Trautwein ergänzte: „München hat den Anfang gemacht. Die Euro und die Handball-EM 2024 werden weiter dafür werben, sportliche Großveranstaltungen in Deutschland zu haben.“

Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), bei der Preisverleihung des Team D Awards im Europa-Park.

 

Auch Sportausschuss befasst sich mit Großveranstaltungen

Auch in Berlin ist das Thema auf der Agenda. Der Sportausschuss des Bundestages hat sich in einer öffentlichen Anhörung mit der Zukunft nationaler und internationaler Sportgroßveranstaltungen befasst: Ist Deutschland reif für eine erneute Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele? Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Olypischen Sportbunds DOSB) stellte gleich eingangs die entscheidende Frage. Und beantwortete sie positiv. Zumindest hätten, so Weikert, die European Championships und die Basketball-Europameisterschaft gezeigt: „Deutschland kann Sportgroßveranstaltungen.“ Für den DOSB sei daher klar, dass man mittel- bis langfristig wieder einen Versuch unternehmen wolle, Olympische und Paralympische Spiele nach Deutschland zu holen. Aber: „Wir wollen diese Spiele nicht um jeden Preis“, fügte Weikert hinzu. „Wir wollen sie mit einer möglichst breiten Rückendeckung der Bevölkerung.“ Dafür solle es eine neue Strategie geben. Motivation und gute Konzepte allein reichten nicht, es brauche zum Beispiel mehr Partizipation der Bevölkerung und weniger Gigantismus. Die Weichenstellung steht bevor. Auch Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS), Teamsport Deutschland-Sprecher Andreas Michelmann, die ehemalige Leichtathletin Sylvia Schenk als Vertreterin von Transparency International, Marion Schöne von der Olympiapark München GmbH und Sport- und Eventmanager Michael Mronz formulierten aus ihrer jeweiligen Perspektive noch viele weitere Argumente für Deutschland als Standort großer Sport-Events. Nachzulesen hier: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw39-pa-sport-908964

Es hat den Anschein, als sei der Wandel in der deutschen Sportlandschaft in vielen Bereichen zumindest in Gang gesetzt worden. Der Transfer in die Realität indes steht mitunter erst noch bevor.

 

Sportjournalist Frank Heike (52) schreibt seit vielen Jahren als Korrespondent regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der gebürtige Flensburger ist zudem Mitglied der Hamburger Medienmannschaft. Neben Fußball und Handball gehören Sportbusiness-Themen inzwischen zu Heikes Kern-Expertise.

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