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Humorvoll, hellwach, charmant und immer für Überraschungen gut.

Volker Schneller erlebte Joachim Deckarm vor dessen Unfall aus nächster Nähe, aus beruflicher Verbundenheit wurde Freundschaft – und diese pflegte er auch danach. Als ‚Jo‘ sich ins Leben zurückkämpfte war er nicht selten dabei. Der Feldhandballweltmeister von 1966 hält hier einige seiner Erinnerungen an diese Zeit für uns fest.

[ALLGEMEIN | GESELLSCHAFT]

Von Volker Schneller

 

Wie nur fange ich an, über diesen großartigen Mann zu schreiben?  Vielleicht damit, wie ich ihm erstmals begegnete: Von 1968 bis 1984 war ich als damaliger Adidas-Mitarbeiter von Herzogenaurach aus unter anderem für die Betreuung unserer deutschen und zum Teil internationalen Handballpartner verantwortlich, entsprechend eng waren die geschäftlichen wie persönlichen Beziehungen zu den jeweiligen Verantwortlichen. Folglich auch zum VfL Gummersbach, dem damaligen Aushängeschild des westdeutschen Handballs. Dort schrieben sie Sportgeschichte: Die Brand-Brüder, Hansi Schmidt, später natürlich auch Erhard Wunderlich. Und …

 

Wie auf Federn die Treppe hinauf

Irgendwann im Jahre 1973 erhielt ich von dem damals legendären Gummersbacher Handball-Funktionär Eugen Haas, der diesen Verein an die Weltspitze geführt hatte, die Nachricht, dass man soeben das größte deutsche Handballtalent namens Joachim Deckarm verpflichtet habe und man ihn zeitnah einsetzen möchte. Da er aber Knöchel stabilisierende Handballstiefel brauche, würde man gerne am nächsten Tag zur Anprobe nach Herzogenaurach kommen. 24 Stunden später begegnete ich dann erstmals jenem Hünen, der schon bald weltweit im Handballsport für Furore sorgen sollte.

Als ich ihn und Haas in mein Büro bat, das sich immerhin im dritten Stock befand, ist er uns mit einer Leichtigkeit die Stufen davongelaufen, dass ich erstmals ahnte, warum er in den Jahren zuvor zu Deutschlands besten Hochspringern im Jugendbereich zählte. Wie er diese physische Stärke dann in seinem Handballspiel umsetzte, konnte ich wenig später live in den Hallen bestaunen, denn neben seiner Spielintelligenz, seinem Mut und seiner Schnelligkeit waren es vor allem gewaltige Sprungwürfe, mit denen er sich auch rasch in die Nationalmannschaft katapultierte.

Mit Hilfe eines Gehwagens und gestützt auf Schwester Luise Locapo (l) läuft Deckarm 1999 durch den Park der Fachklinik Herzogenaurach. Dort trainierte er vor der Jahrtausendwende besonders
das Sprach-und Bewegungsvermögen.

 

Charakterstark und zuverlässig – auch außerhalb des Spielfelds

Da ich ihm nachfolgend oft begegnete, sei es bei den internationalen Begegnungen des VFL oder auch bei Länderspielen (beide Mannschaften wurden damals von adidas unterstützt), nicht zuletzt auch während der Vorbereitung auf die WM 1978 in Dänemark und während des Turniers bis hin zum sensationellen Titelgewinn in Kopenhagen, entstand eine echte Sportkameradschaft zwischen uns. Und so lernte ich auch jene Eigenschaften an ihm sehr gut kennen, die ihm überall angerechnet wurden: Joachim war auch außerhalb des Spielfeldes ein charakterstarker und zuverlässiger Mensch.

Ich war entsetzt, als ich 1979 die Bilder von seinem furchtbaren Unfall in Tatabanya (Ungarn) sah, und mehr noch, als die Diagnosen langsam aus Ungarn zu uns durchsickerten. Als Joachim dann einige Zeit später in die Spezial-Rehaklinik Godeshöhe (Bonn) verlegt wurde, habe ich ihn dort in der Folgezeit zweimal besucht – wohlwissend, dass er mich nicht wahrnehmen konnte, befand er sich da noch im Koma. Ich erinnere mich noch genau: Das Gefühl diesen einstigen Musterathleten so hilflos im Krankenbett liegen zu sehen, war furchtbar. Die Bilder, wie er mir in Herzogenaurach federhaft auf den Stufen in mein Büro davonsprang, und sein Zustand in diesem Moment standen in derart krassem Gegensatz zueinander, dass es mich extrem anfasste und traurig machte.

 

Rückkehr ins Leben, Begegnungen in Herzogenaurach

Über Eugen Haas sowie dem damals schon langjährigen und treuen Freund Joachims, Reinhard Peters aus dem Saarland, verfolgte ich nachfolgend die weitere Entwicklung und war zutiefst gerührt als bekannt wurde, dass ‚Jo‘ nach 131 Tagen aus dem Koma erwacht war. Und noch mehr bewegte es mich, dass er mich Wochen später auf Anhieb erkannte.

Der Kontakt zwischen uns riss nie ganz ab, und als ich 1998 von Peters gebeten wurde einen Kontakt zwischen ihm und der angesehenen Fachklinik Herzogenaurach herzustellen, um eine mögliche Behandlung von Joachim abzuklären, fiel mir dies nicht schwer. Zum einen war Joachim und sein schweres Schicksal auch hier bekannt, zum anderen war der Neurologe und Chefarzt Dr. Wilfried Schupp ein unermüdlicher Forscher in der Behandlung von Hirntrauma-Patienten.

 

Ausflüge und Schachduelle

In den folgenden vier Jahren befand Joachim sich zu fünf Behandlungen in der Fachklinik – und wo ich vormals in der Godeshöhe nichts für ihn tun konnte, war die Situation jetzt eine andere: Ich konnte ihn regelmäßig zwischen den Anwendungen in der Klinik besuchen, mit ihm und einem anderen Freund Ausflüge im Erlanger Einzugsgebiet unternehmen, hin und wieder luden meine Frau und ich ihn auch zu uns zum Essen ein. Dabei waren wir immer wieder angetan von seinem ganz speziellen Humor, der ihm schon vor dem Unfall zu eigen war. Hellwach verfolgte er alles was um ihn herum passierte. Auch ließ er immer wieder seinen Charme spielen. Von seiner großen Leidenschaft, dem Schachspiel, berichtete übrigens auch die regionale Tageszeitung.

Das führte dann immer wieder zu vielfach beachteten Partien mit Mitgliedern des regionalen Schachclubs, bei denen sich Joachim in seinem Element fühlte und für manche Überraschung gut war. So durften meine Familie und ich hautnah über Jahrzehnte hinweg erleben, wie dieser wunderbare Sportler sich dem Leitspruch seines Betreuers rund um die Uhr stellte, der da lautete “Ich kann, ich will, ich muss!” Welch Inspiration. Welch Bereicherung.

Inzwischen bin ich selbst nicht mehr mobil, der telefonische Kontakt besteht aber noch immer – und dies so lange wir dazu beide noch in der Lage sind.

 

Volker Schneller, Feldhandball-Weltmeister und u.a. mehrfacher Deutscher Meister als Spieler und Trainer ist Joachim Deckarm seit vielen Jahren verbunden. Aus der Handballer-Verbindung erwuchs eine Freundschaft, die vor allem in den Jahren nach dem Unfall zum Tragen kam, als Deckarm viel Reha-Zeit in Herzogenaurach verbrachte. Er würdigt jedoch lieber „so manch wahren Helfer Joachims, der in all den Jahren leider unbeachtet blieb. Ihnen gilt mein allerhöchster Respekt.“

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